Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

„Jedes Büchel erzählt eine Geschichte“#

Horte des Wissens: Die Stiftsbibliotheken Klosterneuburg, Melk, Göttweig und Altenburg bieten viel mehr als nur atemberaubende Architektur und edle Buchrücken. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von morgen (1/17)

Von

Ursula Philadelphy


Prunksaal Stiftsbibliothek Klosterneuburg
Prunksaal Stiftsbibliothek Klosterneuburg: Wohl geordnete Unterschiedlichkeit
Foto: Paul Philadelphy

Das Chorgesangsbuch aus 1420
Gut bewacht und wohltemperiert: Das Chorgesangsbuch aus 1420 berührt auch Bibliothekar Martin Haltrich ausschließlich mit Hand schuhen. Paul Philadelphy

Spricht der Bibliothekar der Stiftsbibliothek Klosterneuburg ehrfurchts- und liebevoll und mit hohem Respekt von einem „Büchel“, subsumiert unsereins dies ohne Umweg unter der Kategorie „Schwarte“. Der Herr dieser Schätze des Augustiner-Chorherrenstiftes ist Martin Haltrich, er präsentiert mit großem Enthusiasmus die literarischen Besonderheiten, die in den unzähligen Räumen verwahrt werden, in die man ausschließlich zu Forschungszwecken gelangt. In diesen „heiligen Hallen“ finden sich keine einheitlichen oder genormten Bücherrücken sondern neben großen, kleinen und ganz schmalen genauso auch extrem breite Bücher, die scheinbar kunterbunt nebeneinander stehen. In Wahrheit natürlich alles wohlgeordnet, geht es hier doch um die Inhalte und nicht um den schönen Schein. Das Repräsentieren überlässt man gerne den barocken Prunkbibliotheken. Hier in Klosterneuburg liegt die spezielle Qualität der Bibliothek darin, dass mit den Büchern auch praktisch gearbeitet werden kann und gearbeitet wird.

BESONDERE PFLEGE. #

Studierende der Universität Wien sind als Praktikanten dabei ebenso Nutznießer wie aktuell ein Chorherr aus Klosterneuburg, der hier an seiner Dissertation arbeitet. Haltrich betreibt hier „gezielte Benutzerpolitik, ganz ohne Touristen“. Neben hervor ragenden Klimaverhältnissen – „Die Bibliothek liegt im zweiten Stock von der Donau weggewandt und die Luftfeuchtigkeit beträgt konstant circa 50 Prozent“ – tragen auch die Benutzer der Bibliothek zur Pflege und Erhaltung der Bücher bei. Die Praktikanten, die meist für vier Wochen im Haus sind, bekommen nicht nur die Grundkenntnisse der Pflege vermittelt, sondern werden auch mit der Digitalisierung der teilweise unglaublich kostbaren Exponate vertraut gemacht. „Es gibt so viel Material aus dem Mittelalter, dass man der Massen kaum Herr wird“, meint Haltrich. Von den 1250 mittelalterlichen Handschriften in Klosterneuburg sind gerade einmal 400 nach wissenschaftlichen Kriterien katalogisiert.

MITTELALTERLICHER INFODIENST #

Im 15. Jahrhundert entwickelten sich das Skriptorium und die Bibliothek von Klosterneuburg, damals unter der Leitung von Propst Georg Muestinger, zum Mittelpunkt eines wissenschaftlichen Netzwerkes, das sowohl eng mit der Universität Wien verbunden war, als auch Beziehungen zu Stift Melk pflegte. In diesem Ambiente entstand der Grundstock für die heute so reiche Büchersammlung der Stiftsbibliothek. Enorme Summen wurden investiert, juristische Standardwerke in Italien bestellt und Bücher aus allen nur erdenklichen Wissensgebieten abgeschrieben – eine Wikipedia des Mittelalters, dekorative Bebilderung inklusive.

Stiftsbibliothek von Altenburg
Bücher in höchst repräsentativem Umfeld: prachtvolle Kuppelfresken in der Stiftsbibliothek von Altenburg
Foto: Stift Altenburg

NUR HÖCHSTE QUALITÄT. #

Die Stiftsbibliothek ist mit über 280.000 Bänden die größte Privatbibliothek Österreichs. Neben Publikationen verschiedener theologischer Wissenschaften – „es wurde immer nur „best of“ gekauft“, so Martin Haltrich – finden sich in den Buchbeständen auch „Austriaca“ – Geschichte und Kunst aus und über Österreich, beginnend mit den Handschriften und Inkunabeln (Drucke vor dem Jahr 1500) bis zur Gegenwart. Kontinuierlich wird selbstverständlich weiter Sekundärliteratur angekauft.

„Das Spannende an jedem einzelnen Buch ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Geschichte des Buches, sein Umfeld, warum es hier steht, wer es geschrieben hat, wer den Auftrag dazu gegeben hat …“, schwärmt der Bibliothekar. In einem schmalen Raum mit maximal 10 Grad Raumtemperatur sieht man in einer der zahlreichen verschlossenen Vitrinen einen ganz besonderen Schatz: Das große „Klosterneuburger Antiphonar“, ein Chorgesangsbuch, 1420 von Propst Muestinger in Auftrag gegeben. Das Werk besteht aus vier riesigen Pergamentbänden, wofür man die Häute von etwa 750 Schafen und Ziegen verarbeiten musste. Die Arbeit auf den sündteuren Pergamentblättern musste genauestens geplant und aufgeteilt werden, die schreibenden Chorherren ließen einen vordefinierten Platz für Initialen und Verzierungen, der später von den Buchmalern, sogenannten Illuminatoren, gefüllt wurde, und es gab bereits damals Korrektoren und eigene Spezialisten für die Notenschrift. Faszinierend sind die Drolerien des Buchmalers Meister Michael, der in die Akanthusranken der Randverzierungen der einzelnen Seiten grotesk überzeichnete Darstellungen von Menschen, Fabelwesen und Tieren einarbeitete.

Stiftsbibliothek Melk
Alles „Ton in Ton“ – Goldrücken und farblich abgestimmte Ledereinbände: In der Stiftsbibliothek Melk liegt der Schwerpunkt auf Theologie, Jurisprudenz, Philosophie und Landwirtschaft.
Foto: Günter Prinesdom

SYNONYMWÖRTERBUCH AUS 806. #

Die älteste Handschrift der Bibliothek, der Codex CCl 848, ist 1200 Jahre alt, also circa 300 Jahre älter als das Stift selbst. Dieser Codex aus der Zeit Karls des Großen ist ein lateinisches Synonymwörterbuch für Bibelforschung. Er wurde der Anfang des 9. Jahrhunderts in Salzburg geschrieben und enthält auch eine Passage zur Geschichte Kleopatras – kopiert aus den Etymologien des Isidor von Sevilla (um 560–636), der als einer der wichtigsten Gelehrten seiner Zeit galt. Man nimmt an, dass dieser Codex Mitte des 12. Jahrhunderts gleichzeitig mit der Etablierung des Stiftes als ein intellektuelles Zentrum nach Klosterneuburg kam.

GOLDRÜCKEN IN MELK. #

Ab 1446 ist der Buchmaler Meister Michael dann in Stift Melk zu finden. Diese Bibliothek ist eine überaus pompöse, barocke Inszenierung mit einheitlich in braunes Rindsleder gebundenen Bänden mit Goldrückenprägung, farblich abgestimmt auf die Architektur und die Möblierung des Raumes. Der Schwerpunkt liegt zwar im Bereich der Theologie, aber auch Philosophie, Jurisprudenz und Landwirtschaft waren für die Patres von Interesse. Die gegenwärtigen Ankäufe beschränken sich auf Zeitschriftenabonnements, Standardwerke für den Unterricht der Patres und Bücher nach deren Interessengebieten. Aus Nachlässen und Schenkungen hat die Melker Bibliothek, die, genauso wie Klosterneuburg, ebenfalls nicht öffentlich zugänglich, sondern nur der Wissenschaft vorbehalten ist, etwa 100.000 gedruckte Bücher, etwa 700 Inkunabeln und 1.200 mittelalterliche Handschriften. Auch hier wurde zwar in den 1960er Jahren viel auf Mikrofilm übertragen, die Digitalisierung ist jedoch noch nicht weit fortgeschritten. Im heutigen Bibliothekstrakt, der im Zuge des hochbarocken Neubaus der Klosteranlage durch Abt Berthold Dietmayr (1700–1739) entstand, besticht das 1731 geschaffene Deckenfresko des Südtiroler Künstlers Paul Troger.

Die Geschichte Kleopatras - abgeschrieben im 9. Jahrhundert
Die Geschichte Kleopatras - abgeschrieben im 9. Jahrhundert, Stiftsbibliothek Klosterneuburg
Foto: Stift Klosterneuburg

GÖTTWEIG: ARBEIT IM FOKUS. #

Ganz anders ist Göttweig gepolt. Pater Franz Schuster, der hier als Bibliothekar für die Druckschriften zuständig ist, konzediert im Gespräch, dass die Bibliothek, im Vergleich zu etlichen anderen barocken Stiftsbibliotheken, „eher einfach gehalten ist, ohne Fresken und Statuen“. Der barocke Bibliothekssaal liegt im osten des Klosters, „wie üblich für eine Barockbibliothek, damit man am Vormittag studieren kann“, und war nie für Repräsentationszwecke, sondern hauptsächlich zum Arbeiten konzipiert, funktional ausgestattet, die Raumnutzung im Fokus. Die Regale reichen bis ins Deckengewölbe hinein und die Bücher sind in zwei, manchmal sogar drei Reihen hintereinander einsortiert. Die Bibliothek ist seit der Gründung des Klosters im Jahr 1083 kontinuierlich gewachsen und umfasst heute circa 145.000 Bände. Davon sind 1150 Handschriften und 1100 Inkunabeln. Den Schwerpunkt bilden Theologie, Philosophie und Historiographie. „Alles bei 40 Prozent Luftfeuchtigkeit und dabei fast schon zu trockenem Klima gelagert“, erklärt der Pater. Aktuelle Ankäufe erfolgen für die Handbibliothek, „hauptsächlich Lexika und Werke, die vom Inhalt her 30 Jahre überdauern“. Finanziert wird das Ganze aus dem Stiftsbudget.

Auch hier trifft man Paul Troger. Auf dem Weg über die sogenannte Kaiserstiege, das größte Barocktreppenhaus Österreichs. Das riesige Fresko zeigt die Apotheose Kaiser Karls VI., der als Sonnengott Apoll dargestellt ist.

Digitalisierung in Klosterneuburg
Gemeinsames kurzfristiges Ziel: Digitalisierung. In Klosterneuburg helfen die Studenten mit.
Foto: Paul Philadelphy

ALTENBURGS GROSSE ARCHITEKTUR. #

Die Bibliothek in Stift Altenburg wird als „Tempel des Geistes, der Wissenschaft und Erkenntnis“ tituliert (NÖ Landesregierung) und wurde zwischen 1740 und 1744 unter Abt Placidus Much von Joseph Munggenast als 48 Meter langer, nach Süden ausgerichteter Saal gebaut, der durch Pilaster und Säulen eindrucksvoll unterteilt ist. Diese Stiftsbibliothek gilt gemeinhin als eines der Hauptwerke des europäischen Hochbarock – zumindest was die Architektur betrifft. Lästerliche Stimmen behaupten heute, dass wegen der Baukosten danach kein Geld mehr für Bücher da war. Die offizielle Version des Stiftes besagt, dass „zur Zeit der Gründung nicht die Bücher im Mittelpunkt standen, sondern der Fokus ganz klar auf dem Saal selbst lag“. Im Zweiten Weltkrieg schrumpfte der Bestand sowohl in der großen Bibliothek als auch in der Konventsbibliothek im Klausurbereich auf jeweils etwa 10.000. Ankäufe sind heute rar – und: ja, man digitalisiere die Handschriften. Auch Stift Altenburg wurde Kunde bei Paul Troger. Der Künstler ist in der Bibliothek mit gleich drei prachtvollen Kuppelfresken mit allegorischen Personifikationen und szenischen Beispielen vertreten.

Weiterführendes#