Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Wettrennen ums Welterbe#

Wirtschaftliche Interessen und Gefälligkeiten dominieren die Verhandlungen um neue Welterbe-Stätten.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Mittwoch, 11. Juni 2014)

Von

Andreas Lorenz-Meyer


Wien Innenstadt
Zum Welterbe zu gehören, bringt auch Verantwortung in der Planung mit sich: So müssen sich Hochhaus-Pläne in Wien danach richten, dass der Blick auf die markanten Punkte des Weltkulturerbes Innenstadt nicht verstellt oder getrübt wird.
© apa/Barbara Gindl

Wenn ab Sonntag das Welterbekomittee in Katar zusammentritt, um neue Stätten in die begehrte Liste aufzunehmen, ist von vorneherein eines sicher: dass erstmals die Tausendermarke überschritten wird. Aber der Hunger auf Welterbe ist noch lange nicht gestillt.

Nur Güter "von außergewöhnlichem universellem Wert" dürfen zum Welterbe ernannt werden, so schreibt es die Unesco-Welterbekonvention von 1972 vor. Mittlerweile genügen 981 Denkmäler aus 160 Ländern diesem hohen Anspruch. Ausgewogen ist die Welterbeliste aber nicht. Frankreich und Deutschland verzeichnen fast 40, Spanien und Italien über 40 Einträge. Zwar sind auch außereuropäische Staaten wie China und Mexiko mit reichlich Titeln ausgestattet. Aber andere bevölkerungsreiche Länder liegen deutlich zurück: Brasilien kommt auf 19 Einträge, Indonesien auf 8, die Philippinen auf 5, Nigeria nur auf 2.

Korrektur des Ungleichgewichts#

Christoph Brumann vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle spricht von einem "Hase-und-Igel-Wettlauf". Bewerbungen seien inzwischen "langjährige, hohe Summen verschlingende Unternehmungen". Während finanzschwache Länder damit überfordert sind, stellen sich "die üblichen Welterbe-Verdächtigen" schnell auf neue Kategorien ein.

Dennoch soll das Ungleichgewicht korrigiert werden. Und zwar mithilfe des Welterbekomitees, in dem Delegierte aus 21 Staaten sitzen. Sie allein entscheiden, was zum Welterbe ernannt wird, denn Internationaler Denkmalrat (Icomos) und Internationale Naturschutzunion (Icun), die Bewerber vorab auf ihre Tauglichkeit prüfen, geben nur Empfehlungen ab.

Die Komiteesitzungen sind längst zum Großereignis geworden. Sogar Staatschefs und Minister reisen an, wenn es um die Vergabe des Titels geht. Auch das Komitee selbst ist mit politischen Leuten besetzt. Wo früher Natur- und Denkmalschützer abstimmten, dominieren heute Karrierediplomaten. Brumann: "Die dienen vor allem nationalen Eigeninteressen. So kommt es zunehmend zu Spannungen mit dem universalen Welterbeideal." Brumann war 2010 bei der Sitzung in Brasilia zu Gast.

Dort beobachtete er, wie wirtschaftlich starke Länder mit regionalem Führungsanspruch "unverblümt" für ihre Interessen eintraten - oder die ihrer Nachbarn. Brasilien etwa half Ecuador, die Galapagos-Inseln von der Roten Liste zu bekommen. Die Delegierten tauschten ganz offen Gefälligkeiten aus, so Brumann. Die Folge: Elf Kandidaten bekamen den Welterbetitel zugesprochen, obwohl sie bei den Icomos- und Icun-Fachleuten durchgefallen waren.

In Brasilia brach ein "nicht erklärter Konflikt" auf, der bis heute anhält, meint Brumann. Auf der einen Seite: Westeuropa und Nordamerika, die mit Titeln so reich Bedachten. Auf der anderen Seite: der Rest der Weltgemeinschaft, der sich mehr oder weniger benachteiligt fühlt. Gerade bei den aufstrebenden Staaten hat sich beträchtlicher Groll angestaut, so Brumann. Sie verlangen einen angemessenen Anteil am Welterbe - und wollen diesen im Komitee durchsetzen.

China ist ein besonderer Akteur auf der politisierten Welterbebühne. Zwar verzeichnet es schon 45 Einträge, aber der Hunger ist nicht gestillt. Denn der inländische Tourismus orientiert sich stark am Welterbetitel. Und: China will Nummer eins sein. Noch hat Italien mehr Stätten auf der Welterbeliste.

Wirtschaftliche Interessen gehen vor#

Bei allem Ehrgeiz gehen aber wirtschaftliche Interessen vor. Etwa wenn der Schutzstatus einer Stätte im Weg steht. China ließ 2010 einen Teil der Drei Parallelflüsse Yunnans aus dem Welterbe herausnehmen - genau dort soll künftig Bergbau betrieben werden. Das Manöver findet Nachahmer. Tansania gelang es 2012, auf der Sitzung in St. Petersburg, ein Stück aus dem Selous Game Reserve herauszuschneiden. Jetzt kann man dort Uran abbauen. Der Profit werde dem Schutz des restlichen Parks zugute kommen, argumentierte die tansanische Regierung. Dieser Rest ist immer noch so groß wie Belgien.

Ein Welterbetitel verleiht Glanz, lockt zusätzliche Touristen an. Allerdings muss eine Stätte auch geschützt werden, dazu verpflichten sich die Staaten. Bei großflächigen Stadtlandschaften wird es kompliziert. Denn urbane Räume verändern sich kontinuierlich. Istanbul etwa, seit 1985 auf der Liste, steht unter gewaltigem Veränderungsdruck. Im Jahr der Einschreibung lag die Einwohnerzahl noch bei 5 Millionen, heute leben geschätzt 13 oder 14 Millionen in der Megacity.

Um den Verkehrskollaps zu vermeiden, hat die Stadt eine neue Metrobrücke gebaut. Sie überspannt das Goldene Horn, die Bucht, die Istanbuls europäische Seite in zwei Hälften teilt. Die Bahnstrecke soll pro Tag etwa 700.000 Fahrgäste aufnehmen - die dringend benötigte Alternative zum Autoverkehr, der Istanbul zu ersticken droht.

82 Meter sollten die Brückenpfeiler aufragen - so sahen es die ursprünglichen Pläne vor. Die Unesco befürchtete nachteilige Einflüsse auf das Bild der historischen Halbinsel. Denn dort versammelt sich Welterbe-Architektur: die Hagia Sophia, die Blaue Moschee, die Süleymaniya Moschee, in unmittelbarer Nähe der Brücke gelegen. Istanbul wollte keine Konfrontation mit der Unesco, die Pläne wurden korrigiert. Jetzt ragen die Pfeiler der mittlerweile eröffneten Brücke nur 55 Meter auf, die Überdachung der Metrostation ist um die Hälfte verkürzt. Und auch Farbgebung und Beleuchtung der Brücke fallen zurückhaltender aus als ursprünglich geplant.

Hochhäuser können zum Problem werden#

Auch ein Hochhaus kann mit dem Welterbestatus kollidieren - Wien hat damit seine Erfahrungen. Schon 2005 sah die Unesco die Sichtbeziehungen im historischen Stadtbild wegen eines Bauprojekts gefährdet. Die Stadt zog daraufhin die Baugenehmigung zurück. Nun droht neuer Ärger. Auf dem einem Investor gehörenden Heumarkt-Areal soll ein 73 Meter hoher Wohnturm stehen. Ein Beschluss der Unesco liegt zwar noch nicht vor, aber nach Ansicht von Icomos darf der Turm das schon bestehende Hotel Intercontinental nicht überragen. Dieses ist 45 Meter hoch.

Auch andere Welterbestädte wachsen himmelwärts. In London plant man derzeit um die 240 Hochhäuser - die Stadt könnte auf eine Auseinandersetzung mit der Unesco zusteuern. Die hat Köln hinter sich. Der Dom stand, wenn auch nur vorübergehend, auf der "Roten Liste". Geplante Hochhäuser hätten die freie Sicht auf die Kathedrale gefährdet.

Die "Rote Liste" soll auf bedrohtes Welterbe aufmerksam machen und öffentliche Diskussionen anstoßen. Momentan stehen 44 Stätten auf der Liste, die Nationalparks im unruhigen Kongo als Dauergäste. 2013 kamen alle sechs syrischen Stätten dazu, darunter das von Fassbomben zerstörte Aleppo. Gegen die kriegerische Wirklichkeit ist die Welterbekonvention eben machtlos.

Genau wie gegen den Klimawandel, dessen Folgen namhafte Stätten gefährden. Der Anstieg der Wassertemperatur zerstört die Korallenriffe im Großen Barriereriff, Venedig droht unterzugehen, über die Lehmmoscheen Timbuktus legt sich der Wüstensand, in der Schweiz schmilzt der Aletschgletscher. Die Unesco versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegenzusteuern. Sie lässt den Zustand der Welterbe-Wälder untersuchen - danach werden Schutzstrategien entworfen. Auf der Unesco-Liste stehen unter anderem der Amazonas und die Regenwälder Sumatras. Sie lagern riesige Mengen an Kohlendioxid. Hilft der begrenzte Schutz, den der Welterbetitel bietet, diese großen CO2Speicher zu erhalten?

Wiener Zeitung, Mittwoch, 11. Juni 2014