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Wenn sich Flügel wieder schließen#

Prunkstall des Unteren Belvedere zeigt den frisch restaurierten Korbinianaltar von Friedrich Pacher.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 27. April 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Brigitte Borchhardt-Birbaumer


Im Juli geht ein spektakulärer Kunstkrimi zu Ende - Pacher-Altar kehrt nach 150 Jahren nach Osttirol zurück#

Stadthallenbad
Die Flügel des Korbinianaltars von Friedrich Pacher wurden in den vergangenen 150 Jahren zweifach gestohlen, in vier Teile zersägt auf dem Kunstmarkt gehandelt und nach der NS-Zeit restituiert.
© Foto: Bundesdenkmalamt, Wien

Es ist ein ganz besonderer Kunstkrimi. Der Autor ist das Leben selbst. Im Zentrum steht die – 150 Jahre lange – Wanderschaft von zwei Flügeln eines spätgotischen Altars aus dem Ort Assling im Pustertal von Osttirol. Das ungewöhnliche Werk des bekannten Malers Friedrich Pacher entstand in dessen Brunecker Zeit um 1480 – und wurde Inhalt von zweifachem Raub, Kunsthandel, Wiederentdeckung und Restitution. Nun ist der kostbare Altar rundum restauriert im Unteren Belvedere zu bestaunen. Die Geschichte eines außergewöhnlichen Kunstwerks.

An sich hätte der ehemalige Hochaltar für die Kirche St. Korbinian mit gleichnamigem Heiligen als geschnitzte Figur von Hubert Klocker aus Brixen im Zentrum mit seinem verlorenen Gesprenge wohl kaum in den Prunkstall des Unteren Belvedere gepasst, wo er nach seiner Restaurierung durch das Bundesdenkmalamt bis Juli aufgestellt ist. Danach kehrt er nach 150 Jahren beflügelt in die Osttiroler Pfarrkirche zurück. Was den Altar von anderen unterscheidet, ist seine wechselvolle Geschichte. Und die ist in der vom Publikum sehr geschätzten Kooperation „Gefährdet-Konserviert-Präsentiert“ im Belvedere daher auch in Form eines Filmes und einer mehrteiliger Wand-Dokumentation erläutert. All das wurde jedoch nur möglich durch die Wiederentdeckung der beiden Flügel, die dem Münchner Kunstgeschichteprofessor Ulrich Söding im Museum der niederländischen Kleinstadt Zutphen im Jahr 1999 gelang.

Der Torso des Altars kam in Assling an die Südwand der Kirche, nachdem er 1660 durch einen barocken Hochaltar ersetzt wurde. Als Zwitter zwischen Flügelaltar und oberitalienischem Polyptychon von mittlerer Größe zeigt er den Patronatsheiligen dreimal groß und im Predellenbild mit Wundertaten Korbinians fünfmal kleiner. Das ist inhaltlich nicht ungewöhnlich für die Zeit, und ein Vergleich mit einem zweiten Altar aus der Werkstatt Friedrich Pachers für die nahe Burg Vergein weist eine ähnliche Kombination einer kleineren geschnitzten Mittelfigur mit größeren Heiligengestalten in Malerei auf.

Grafisch-expressiv und wenig plastisch#

Die Spezialität Friedrich Pachers kam wohl erst nach der Lösung von Michael Pacher und Gründung einer eigenen Werkstatt zur Ausführung. Die Eigenhändigkeit des Meisters, der für Kaiser Maximilian I. auch Restaurierungen vornahm, gilt vor allem für die Predella sowie die Heiligen Florian und Magdalena der Flügel durch seinen typischen grafisch-expressiven und wenig plastischen Stil. Anregungen holte er sich von Andrea Mantegna und den Manierismus Cosimé Turas, weniger von Michael Pacher, dem er davor für den Altar von St. Wolfgang die Außenflügel lieferte.

Der Freisinger Lokalheilige Korbinian hat neben bischöflichen Attributen den Bären als besonderen Begleiter. Die Legende der wunderbaren Zähmung des Tieres, das sein Pferd gerissen hatte, verweist ebenso wie zwei Fischwunder auf alte Verbindungen zu Schamanen der Naturreligion, die ins frühe Christentum – Korbinian soll 730 verstorben sein – einwanderten. Im Zentrum der Predella lädt der Diener Anserich das Gepäck auf den Bären um, dahinter rettet der Heilige einen Mann vor dem Galgen und schlägt Wasser aus einem Felsen.

Die Flügel des Altars wurden – natürlich ohne Einwilligung der Vorgesetzten – schon um 1860 von Pfarrer Martin Winkler an den späteren Bezirksrichter von Bozen mit Namen Peske oder Peschke verkauft. Von dessen Erben kamen sie nach 1864 über Lienz nach München an die Kunstsammlung Mahr oder Mair, alles um eher geringe Summen. Danach verliert sich die Spur von den vier gemalten Heiligen auf zwei Tafeln, die wegen des Kunsthandels wohl in vier Teile zersägt wurden.

Jüdische Kunsthändler und Wiener Heurigen#

Irgendwann landeten sie wohl nach einer Odyssee im St. Ignatius Kolleg in Valckenburg nahe Maastricht, wo sie durch ein Foto belegt sind. 1936 kommt Jacques Goudstikker ins Spiel, ein bekannter jüdischer Kunsthändler für gehobene Klientel in Amsterdam, der die in vier Teile gespaltenen Tafeln erwirbt. Er hängt sie in seinen feudalen Landsitz Kasteel Nijenrode bei Breukelen, nahe Utrecht, wo er 1937 das Wiener Heurigenfest "Ausg’steckt" veranstaltete. Österreich steuerte eine Fremdenverkehrswerbebroschüre bei, die Sängerin Desirée Halban-Kurz aus Wien wurde bald danach seine Frau. 1940 musste das Paar mit Sohn Edo nach England vor den Nationalsozialisten flüchten. Goudstikker verunglückte nachts am 16. 5. auf dem Schiff im Alter von 42 Jahren durch Sturz in eine Deckluke tödlich. In seiner Manteltasche war das kleine Inventarbuch seiner Kunstsammlung, darin auch der Vermerk der Asslinger Tafeln unter "P".

Reichsmarschall Hermann Göring eilte – wie ein Foto belegt – selbst in die Amsterdamer Herrengracht 458, das Geschäftshaus Goudstikkers, um sich die bekannte Sammlung für sein Gut Carinhall nördlich von Berlin zu sichern. Er konnte sie von dem Bankier und Spekulanten Alois Miedl wenig später erwerben, allerdings gegen den Willen der Witwe, doch – wie für ihn typisch – „legal“ um einen Gegenwert von zwei Millionen Pfund. Zu Kriegsende kamen Teile der Sammlung Göring nach Berchtesgaden und – nach Plünderung des Waggons mit der Kunstfracht – nach München zum US-amerikanischen Central Collecting Point. 300 Werke der Sammlung Goudstikker, darunter die Pachers, wurden 1947 dem niederländischen Staat zugesprochen, der 1950 im Amsterdamer Rijksmuseum eine Ausstellung des Rückgabeguts veranstaltete.

Nach Södings Entdeckung in Zutphen, wo sich die Tafeln seit 1963 befanden und schlecht restauriert wurden, kam es erst 2006, schon nach dem Tod Desirée Halbans und ihres Sohnes zu einem Aufsehen erregenden Prozess, den Goudstikkers Schwiegertochter und Enkelinnen gewannen. Weitere 500 Werke der Sammlung sind nach wie vor verschollen.

Versteigerung, Stiftung und Denkmalpflege#

Christie’s in London versteigerte die Pachers, und die Landesgedächtnisstiftung Tirols konnte sie für Assling zurückerwerben. Ein besonderer Glücksfall, der nicht immer gelingt und vor allem nach Abgang der Klimts in die USA Anregungen sein sollte, eine staatliche Stiftung ähnlich dem National Trust in England für solche Fälle zu gründen.

Der erste Versuch des obersten Denkmalpflegers Erzherzog Franz Ferdinand 1910, die Tafeln wiederzufinden und nach Assling zurückzubringen, war gescheitert. Es sollte weitere hundert Jahre dauern und die Heiligen Magdalena, Florian, Andreas und Korbinian aus dem Pinsel Friedrich Pachers mit einem der wohl tragischsten Fälle von Enteignung in Zusammenhang bringen. Mit den im Interview einer Filmdokumentation sprechenden Goudstikkers ergeben sich aber auch Bezüge zu Wien, wo der Altar vom Bundesdenkmalamt nun in allen Teilen rekonstruiert, restauriert und wissenschaftlich untersucht wurde, bevor der Kunstkrimi im Sommer sein gutes Ende in Assling findet.

Der Korbinianaltar von Friedrich Pacher ist noch bis zum 18. Juli im Prunkstall des Unteren Belvedere in Wien zu sehen.

Wiener Zeitung, Dienstag, 27. April 2010