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"Der Jux hat sich auszahlt"#

Der österreichische Schauspieler Josef Meinrad war ein gefeierter Publikumsliebling und eine nationale Projektionsfigur. Am 21. April jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 13./14. April 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


Von

Oliver vom Hove


Er war ein Volksschauspieler mit Gardemaß, innerlich wie äußerlich. Ein Charakterdarsteller mit Charakter, nehmt alles nur in allem. Und er war, als einzigartiger Rolleninterpret österreichischer Autoren wie Nestroy, Raimund oder Hofmannsthal, die willkommene Identifikationsfigur im Neobiedermeier des Nachkriegsösterreich. Ein Publikumsliebling, der wie gerufen kam in einem Land, das nach Unschuld gierte und alle Schuld, sogar als Staatsdoktrin, geflissentlich von sich wies.

Josef Meinrad war das aus dem Volk gekommene, mit dem Volk einige Idol, an dessen allzeit spürbarer Spielfreude man nur zu gern die eigene gänzliche Gegenwartshingabe und leidenschaftliche Selbstvergessenheit anlehnte. Hier schien sich ein tadelsfreier Österreicher als Protagonist auf jenen Brettern darzubieten, die wieder ausschließlich die Welt bedeuten sollten.

Aber Josef Meinrad war auch Träger des Iffland-Rings, der bedeutendsten Auszeichnung für deutschsprachige Schauspieler. "Einfachheit, Schlichtheit, Wahrhaftigkeit" seien jene Eigenschaften, die ihn als "den Würdigsten" bestimmten, begründete Werner Krauss 1959 sein Ring-Vermächtnis. Tatsächlich hat Meinrad mit dem Pfunde solchen Vertrauens künstlerisch gewuchert: Seine Menschendarstellung verdichtete sich durch die spätere ausschließliche Konzentration auf die Bühne und auf ihre Autoren zusehends.

Hohepriester der Bühne#

Sein Enthusiasmus von der Bühne herab war ansteckend. Er war erfüllt von einer Spiellust, die rückhaltlos dem Mimus huldigte und selbst vor Ausflügen ins forciert Freudige, künstlich Erregte gelegentlich nicht zurückscheute. Dies war der Kipp-Punkt Meinradscher Darstellungskunst: hart auf der Schneide von lebensfroher Begeisterung und wienerisch abgeschmeckter Selbstfeier. Gewissermaßen ein sich auf der Bühne einstellender ansteckender Vitalismus mit strenger ästhetischer Selbstfesselung.

Priester der katholischen Kirche hätte er werden sollen, Hohepriester der Bühnenkunst wurde er. Die Verbindungskorridore dazwischen waren wohl einst für den Schüler ebenso irritierend wie später für den Erwachsenen verlockend: Pfarrer, Pater, Kardinal, Papst, Heiliger - das alles gehörte zu seinem Rollenrepertoire.

Als Josef Moucka wurde er vor hundert Jahren, am 21. April 1913, im Wiener Arbeiterbezirk Hernals geboren. Er war das vierte und jüngste Kind eines Straßenbahners und einer Milchfrau. Der Wunsch, dass er Priester werde, kam von der Mutter; also bezog er, nach dem Besuch der Volksschule, als Gymnasiast einen Freiplatz bei den Redemptoristen in Katzelsdorf nahe Wiener Neustadt. Anschließend wechselte er ins Priesterseminar, das er 1929 wieder verließ. In einer Lackfabrik verdingte er sich als angehender Bürokaufmann, schloss 1932 die Lehre erfolgreich ab und blieb noch vier Jahre in dem Betrieb.

Inzwischen hatte er bereits in kleineren Einsätzen am Theater mitgewirkt und in seiner Freizeit heimlich Schauspielunterricht genommen. Schließlich schrieb er sich förmlich bei der Schauspielschule Zdenko Kestranek am Kohlmarkt, später bei Carlheinz Roth in der Grünangergasse ein, wo ihn unter anderen Egon Friedell in Kulturgeschichte unterrichtete. 1937 legte er vor dem Ring österreichischer Bühnenkünstler die Schauspielprüfung ab.

Indes, mit dem Namen Josef Moucka konnte man als Darsteller nicht gut Karriere machen. Also nannte sich der junge Mime gleich bei seinem ersten Auftritt, 1930 bei den Hans-Sachs-Festspielen in Korneuburg, Josef Meinrad.

Ab 1935 war er zum Ensemble der kabarettistischen Kleinbühne ABC gestoßen, die Hans Margulies, Inhaber der Zeitung "Wiener Tag", unterhielt und in der brisante tagespolitische Kritik mit antinationalsozialistischer Stoßrichtung auf den Programmen stand. Neben Jura Soyfer als Hausautor und Hans Weigel steuerte unter der Gesamtleitung von Leo Askenasy (dem späteren Leon Askin) auch schon einmal Ernst Toller eine Szene bei, und die Kritik schrieb: "Der junge, blonde Josef Meinrad, ein neuentdecktes Talent, wird noch seinen Weg machen."

Ein Jahr später führte Rudolf Steinboeck, der spätere Direktor des Theaters in der Josefstadt, im "ABC" erstmals Regie, und der junge Akteur spielte mehrere Rollen in der Uraufführung von Jura Soyfers "Weltuntergang". 1937 wechselte er auf Leon Epps "Insel" am Parkring, die nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland von der SS prompt geschlossen wurde. Doch Epp wurde 1939 Leiter der "Komödie" in der Johannesgasse, und Meinrad kam dort zu heftigem schauspielerischen Einsatz. Zugleich wirkte er am "Wiener Werkel" mit, dem einzigen während der NS-Herrschaft in der Stadt verbliebenen Kabarett, wo es dank den Autoren Rudolf Weys, Fritz Eckhardt und Kurt Nachmann gelang, trotz der Vorschriften des Reichspropagandaministeriums Kritik am NS-Regime anzubringen.

Im Spätherbst 1940 wechselte Meinrad an das Fronttheater in Metz und entkam so der Einberufung zur Deutschen Wehrmacht. Bis Kriegsende blieb er dort im Engagement, spielte Komödien- und Operettenrollen und lernte seine spätere Frau, die Lothringerin Germaine Clement, kennen.

Bonhomie und Dämonie#

Was ihm nach seiner Rückkehr 1945 in Wien widerfuhr, kann mit Fug eine Blitzkarriere genannt werden. Über die Salzburger Festspiele kam Meinrad 1947 ans Burgtheater, wo er bis zu seinem Abschied 1983 in fast 200 Bühnenrollen vor sein Publikum trat. Mit "Lumpazivagabundus" begann gleich 1947 seine Erfolgsserie als Nestroy-Darsteller: Es folgten "Die beiden Nachtwandler" (1949), "Zu ebener Erde und im ersten Stock" sowie "Der Färber und sein Zwillingsbruder" (1951), "Einen Jux will er sich machen" (1956, 1967), "Der Zerrissene" (1959), "Das Mädl aus der Vorstadt" (1962), "Liebesgeschichten und Heiratssachen" (1976) und "Kampl" (1978).

An seinem vor allem von den Regisseuren Leopold Lindtberg und Rudolf Steinboeck geförderten Nestroy-Spiel schieden sich später die Geister. Hielt sich Meinrad, je nach Regisseur, eher an einen gutherzig-komödiantischen Lustspielstil, war anderen diese unpolitisch-liebenswerte Interpretation zu wenig aufmüpfig, zu versöhnlich: Gutmensch gegen Wutbürger, könnte man die damals herbeigeschriebene ideologische Konfrontation Meinrad-Karl Paryla (die persönlich nie so bestand) heute nennen.

Für Hellhörige und Scharfsichtige im Publikum indes war in nicht wenigen von Meinrads Figurendarstellungen vor allem klassischer Autoren unter oberflächlicher Biederkeit und Bonhomie eine gut versteckte Abgründigkeit und Dämonie erkennbar. Das konnte sich bis zum Erschrecken steigern angesichts der Selbstverlorenheit eines Rappelkopf, der Weltverlorenheit eines Liliom, der Geldverlorenheit eines Fortunatus Wurzel.

Wie arglos-heiter sich die österreichische Seele inmitten höchster Lebenslust von Todesgedanken heimsuchen lässt, hat keiner schutzloser als Meinrad im Hobellied des Tischlers Valentin in Raimunds "Verschwender" auszuspielen gewusst. Welches Entsetzen die ungehemmte Eitelkeit eines bloßgestellten Menschen verbreiten kann, hat keiner greller und mit größerer schauspielerischer Selbstverleugnung vorgeführt wie Meinrad als verliebter Tor Malvolio in Shakespeares "Was ihr wollt". Und keiner hat für mich die unterwürfige Machtbesessenheit des zum Herrn aufgestiegenen Dieners Theodor in Hofmannsthals "Unbestechlichem" politisch bedrohlicher vorgeführt als dieser tugendreiche Schauspieler: Da wurde der scheinbar sittenstrenge Subalterne altösterreichischer Herrschaft durchweg als kommender Herr in Hitlers Pöbelreich kenntlich gemacht.

Privat verkörperte Meinrad die sprichwörtliche Bescheidenheit und ließ sich auch durch seine Gagenbegehrlichkeit nicht beirren. Adrienne Gessner quittierte seinen bekömmlichen Lebensstil samt imposanter Luxuslimousine einst spöttisch: "Seit der Pepi den Rolls-Royce hat, ist er noch bescheidener geworden." Große Popularität und Wohlhabenheit hatte Meinrad ab Mitte der 1940er Jahre auch durch seine Filmarbeit erlangt, etwa als Oberst Böckl in den "Sissi"-Filmen mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm.

Zuvor hatte er - neben zeitverhaftet Heimattümelndem - die Hauptrolle des österreichischen Ministerpräsidenten in dem 1952 von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Science-Fiction-Film "1. April 2000" übernommen.

Idealer Österreicher#

Darin erklärt die Republik Österreich nach bereits 55-jähriger Besatzungszeit einseitig ihre Unabhängigkeit und wird darob von der Weltgemeinschaft geächtet. In dem "Staatsfilm", der, unbeholfen und leichtgläubig, in der Eiszeit des Kalten Kriegs gleichsam einen patriotischen Verzweiflungsschrei nach Staatsvertrag und Freiheit ausstieß, verkörperte Meinrad den Spiritus rector eines herzhaft für sein Volk kämpfenden Verhandlungsführers, der das Anliegen des Landes mit Charme und Nachdruck vor der "Globalunion" vorträgt. Seither galt er nach einem Presseurteil "als jener Schauspieler der jungen Generation, der wie kaum ein zweiter das spezifisch Österreichische verkörpert".

Später, viel später meinte man auf der politischen Bühne in Auftritt und Tonfall eines gescheiterten Bundespräsidenten des Landes einen schlechten Imitator dieses guten Österreichers zu erkennen. Aber da hatte man in eine andere, finstere Richtung geblickt.

Der Vorhang ist, lang nach Josef Meinrads Tod am 18. Februar 1996, wieder offen, man sieht den Protagonisten heute unverstellt und unverklärt. Aber sehen wir ihn unverfälscht? In seinem irritierend behutsamen Spiel wurde eine extreme Sensibilität spürbar, ein uneingrenzbares Spannungsfeld von angestrengtem Selbstschutz und feinnerviger Empfindlichkeit. Noch in der Erinnerung vermag diese vibrierende Kraft von Tarnung und Verletzlichkeit nachzuwirken. Und man ahnt, welche Einsamkeit zu diesem Spannungsfeld gehört haben musste.

Oliver vom Hove, in Großbritannien geboren, war Dramaturg am Burgtheater, Volkstheater und am Schauspielhaus Zürich. Lebt als Publizist in Wien.

Information#

Unter demselben Titel ist im Mandelbaum-Verlag ein Band mit Aufsätzen zu Josef Meinrad erschienen (Hrsg. Julia Danielczyk). 320 S., 24,90 Euro.


Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 13./14. April 2013