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Bauhaus und Werbegrafik#

Zwei neue kunstwissenschaftliche Studien untersuchen die Berliner Jahre des aus Oberösterreich stammenden Bauhaus-Meisters Herbert Bayer (1900-1985).#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 6./7. September 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Bernhard Widder


Herbert Bayer
Der junge und erfolgreiche Werbe- und Gebrauchsgrafiker Herbert Bayer.
© Foto: Studio Dorland, 1933

Im Johannes-Gutenberg-Museum in Mainz findet zur Zeit eine Ausstellung statt, die etwa zweihundert originale Werbegrafiken aus Herbert Bayers Berliner Jahren vorstellt: "mein reklame-fegefeuer / Werbegrafik 1928-1938". Ausgestellt werden Plakate, Gestaltungen von Büchern und Zeitschriften, Broschüren, Kataloge, Anzeigen und Handzettel.

Im letzten Winter war diese Ausstellung im "bauhaus-archiv / museum für gestaltung" in Berlin-Tiergarten gezeigt worden. Der Entwurf für dieses moderne Bauwerk stammte von Walter Gropius (1883-1969), einem der Begründer der modernen Architektur Europas und 1919 Gründungsdirektor der "Staatlichen Hochschule Bauhaus" in Weimar, nach 1925 in Dessau. Herbert Bayer und Walter Gropius waren ab 1921, als der junge Künstler Bayer sich am Bauhaus um Aufnahme zum Studium bewarb, bis zum Tod des älteren Mentors im Jahr 1969 eng befreundet gewesen.

Zeitgleich mit der Ausstellung erschienen zwei neue Bücher des Erfurter Professors für Kommunikationswissenschaften, Patrick Rössler, der 2007 eine Publikation über ein verwandtes Thema vorgelegt hat: "Das Bauhaus am Kiosk. die neue linie 1929-1943" beschreibt die Geschichte einer deutschen Life-Style-Zeitschrift, die in jenen Jahren zumindest bis 1933 einen modernen Lebensstil propagierte. Einige bedeutende Künstler des im Jahr 1933 von den Nazis gewaltsam geschlossenen Bauhauses (u.a. Lászlo Moholy-Nagy, Xanti Schawinsky, Herbert Bayer ) entwarfen die Covers der Monatszeitschrift.

Neue Materialien#

Durch diese Arbeit stieß Rössler auf das Werk Herbert Bayers, wobei sich ihm im Jahr 2007 die besondere Möglichkeit bot, bisher unbekannte Materialien zu sichten: malerische und grafische Arbeiten, grafisches Design, Tage- und Notizbücher, Fotografien sowie umfangreiche Briefwechsel, die Herbert Bayer mit verschiedenen Personen über Jahrzehnte geführt hatte, in Deutschland und ab 1938 in den USA. Sie stammten aus dem Nachlass der Witwe Bayers, Joella Bayer, die 2006 mit 99 Jahren im kalifornischen Santa Barbara gestorben ist.

Archivmaterialien bieten einem akribischen Forscher die Möglichkeit, neue Einsichten zu gewinnen oder im günstigsten Fall völlig neue Entdeckungen zu sichten, die in der Aufarbeitung den Gesamtblick auf Biografie und Werkverzeichnis des Künstlers vertiefen, erweitern oder korrigieren.

Rösslers besonderes Interesse gilt dem grafischen Design, also der umfangreichen kommerziellen "Reklame" (Zitat Bayers) in einer bestimmten Periode.

Bayer war jedoch ein "universeller Gestalter", ein Allround-Künstler, der während seines langen Lebens verschiedenste Bereiche der bildenden Kunst berührte: also nicht nur grafisches Design oder Ausstellungsgestaltungen, wodurch er etwa ab 1930, zu einem gefragten europäischen "Designer" wurde (auch wenn es den Begriff damals noch kaum gab). Damit verfolgte Bayer sein Leben lang Gedanken der Bauhaus-Lehre: Ein moderner Gestalter sollte jeden Bereich der visuellen und gestalterischen Künste umfassen können.

Bayers Werkverzeichnis umfasst ein umfangreiches malerisches, druckgrafisches und experimentell-fotografisches Werk. In den USA, wo Bayer ab 1938 lebte, entstand ab 1946 in Aspen, Colorado (USA) ein eigenständiges Werk als Architekt, Gestalter von großen seriellen Skulpturen sowie Landschaftsgestaltungen. Seine ersten "skulpturierten Landschaften" in Aspen (1955) gelten bis heute als Pionierwerke der viel später formulierten nordamerikanischen "Land Art".

Diese Vielseitigkeit der Werkphasen mit gleichwertiger Aufmerksamkeit zu betrachten ist daher für einen einzelnen Forscher unmöglich. Was enthält nun Patrick Rösslers ausführliche monografische Studie an neuen Erkenntnissen? Die früheren, zum Teil umfangreichen Monografien wurden in den USA, Mexiko, Deutschland und Österreich von einer Reihe von Forschern und Kunstkritikern veröffentlicht, die zum größeren Teil mit Herbert Bayer bekannt waren.

Rösslers Blick auf die Berliner Jahre (1928-1938) ist von besonderer Genauigkeit geprägt. Das umfangreiche Buch enthält einen interpretierenden Teil, der auf 150 Seiten, in acht Kapiteln den Werdegang Bayers von seiner Kindheit und Jugend in Oberösterreich und Linz, den Anfängen in Deutschland ab 1920, ab 1921 am Bauhaus in Weimar und Dessau bis zur Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1928, und schließlich bis zur Emigration nach New York im Jahr 1938 (und noch etwas darüber hinaus) beschreibt und erläutert. Teil zwei enthält eine umfangreiche Werkübersicht des grafischen Designs der Zeit bis 1938, die etwa 500 in Farbe abgebildeten Werke sind in neun Werkgruppen gegliedert.

Generell konstatiert Rössler, dass die grafische Gestaltung des "studio dorland", das Bayer mit seinen Mitarbeitern etwa zehn Jahre lang betrieben hatte, von den richtungsweisenden Ideen der frühen Avantgarde am Bauhaus, des holländischen "De Stijl" und des russisch-sowjetischen Konstruktivismus beflügelt war. Durch Bayer kamen Einflüsse des Surrealismus, des deutschen expressionistischen Films und der frühen Experimental-Fotografie dazu, die mit den damals modernsten grafischen Mitteln umgesetzt wurden.

Moderne Schriften#

Die Techniken umfassten Airbrush, Fotomontage, Collage, Zeichnung, neue Typografie mit serifenlosen Typen und "Groteskschriften", sowie generell mehrfarbige Drucke, die bei Schwarz-Weiß-Arbeiten eine schärfere Tiefenwirkung erzeugen. Als jüngster Bauhaus-Meister hatte Herbert Bayer, damals für "Typographie und Werbsachen" als Lehrer tätig, moderne Schrifttypen entwickelt, so die "universal" (die den Unterschied zwischen Groß- und Kleinschreibung aufhob) und weitere, konventionellere Schrifttypen für die Berliner Firma Berthold.

Das Design-Labor Dorland war mit vielen Grafik-Arbeiten der Zeit um Jahrzehnte voraus, und es verwundert nicht, dass spätere Kritiker darin bereits eine verwegene Vorwegnahme der New Yorker Pop Art und anderer Richtungen der bildenden Kunst der 1960er und danach erkannten.

Im ersten Teil des Buchs, in den immer wieder private Bilder aus dem Leben Bayers in diesen Jahren eingefügt sind, stellt der Autor Rössler die chronologische Entwicklung in epischer Breite dar. Besondere Beachtung finden dabei die Aufzeichnungen Bayers und Zitate aus Briefen. Die umfangreich zitierten Quellen verlangen eine konzentrierte Lektüre, da der Autor mit nahezu unheimlicher Akribie vorgeht, um das Bild einer zerrütteten, fragilen Epoche (die wenige Jahre später zu einer Weltkatastrophe führte) erlebbar zu machen, was an sich spannender ist als eine distanzierte Nacherzählung.

Eine besondere Qualität dieses Buchs besteht in der genauen Aufarbeitung der grafischen Aufträge, die Dorland und Bayer für offizielle Veranstaltungen von NS-Deutschland übernahmen. Die Qualität der Grafiken war auch dem NS-Propagandaminister Goebbels aufgefallen. Für einige Ausstellungen, Messen sowie für die Olympiade in Berlin 1936 wurden Aufträge für Plakate, Broschüren oder Katalogumschläge an Dorland vergeben. Bayer entwarf aber keine Ausstellungen für die Nazis oder von ihnen geförderte Veranstaltungen, wie oft fälschlich behauptet wurde.

Viele zeitgenössische Stimmen bezeichneten Bayer generell als apolitisch in jenen Jahren, vielleicht als naiv, da er anfänglich glaubte, die Nazis würden wieder verschwinden würden. Seine damalige Frau Irene, amerikanische Staatsbürgerin jüdischen Glaubens, war zumindest eine Zeit lang ähnlicher Ansicht. 1937 wurde Bayer und anderen Künstlerkollegen klarer, wie die Nazis mit moderner Kunst verfuhren, als die Ausstellung "Entartete Kunst" in München eröffnet wurde. Mindestens zwei malerische Werke Bayers waren dabei vertreten. Die Absurdität bestand darin, dass Bayer als Grafik-Designer weiterhin anerkannt, aber als bildender Künstler verfemt war. Ab diesem Jahr und vor allem nach dem "Anschluss", der gewaltsamen Annexion Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938, bereitete er die Übersiedlung nach New York vor. Im August 1938 reiste Bayer vom Bremerhaven mit dem Schiff ab. Seine Frau Irene und die gemeinsame Tochter Julia folgten wenig später.

Patrick Rössler hat im Winter 2014 ein zweites Buch über Herbert Bayer veröffentlicht, eine Biografie jener Jahre: "Der einsame Großstädter". Diesmal mit der amerikanischen Bayer-Forscherin Gwen Chanzit aus Denver, die dort seit langem die umfangreiche "Herbert Bayer Collection and Archive" betreut. Sie beschreibt darin auf dreißig konzisen Seiten im Kapitel "Bayer in Amerika" eine kurze Version von Bayers Lebens ab 1938 in New York, Aspen/Colorado und Kalifornien.

Den ersten Teil nannte Rössler "Bayer in Deutschland". Im Wesentlichen ist es eine parallele Erzählung zum ersten Buch, der Unterschied ist die ausführliche Darstellung des privaten Lebens, von Bayers Familie und seinen Freunden bis 1938 in Deutschland, und danach bis 1946, als Bayer in Aspen ankam.

Neubeginn in den USA#

Bayer hatte von 1938-1946 in New York gelebt, war beruflich erfolgreich gewesen. Als Werbegrafiker hatte er auch in New York einen besonderen Ruf. Das private Leben, das Rössler in "Der einsame Großstädter" beschreibt, war viel schwieriger als die berufliche Karriere des Immigranten. In jenen Jahren in New York, die für Bayer generell deprimierend waren, lernte er seine zweite Frau kennen, Joella Haweis Levy, mit der er 1946 in die entlegene und verschlafene frühere Silber-Bergbaustadt Aspen in den tiefsten, einsamsten Rocky Mountains zog. Um ein neues Leben zu beginnen, das für ihn als Mitgestalter von Aspen, später als Architekt eines "Instituts für humanistische Studien" zu völlig neuen Aufgaben führte, die sein weiteres Leben künstlerisch bereicherten.

Patrick Rösslers Resümé über die Übersiedlung Bayers in den damals kaum bekannten Westen der USA lautet: "Der einsame Großstädter war endlich frei."

Bernhard Widder ist Schriftsteller in Wien. Er veröffentlichte zwei Bücher über Bayers Werk: "Architektur, Skulptur, Landschaftsgestaltung", 2000. "Ahoj Herbert! Bayer und die Moderne", mit E. Nowak-Thaller, 2009.

Information#

Patrick Rössler, "Herbert Bayer: Die Berliner Jahre - Werbegrafik 1928-1938", mit einem Beitrag von Ute Brüning, 297 Seiten (Hg. Bauhaus-Archiv Berlin, Vergangenheitsverlag, Berlin 2013)

Patrick Rössler, Gwen Chanzit: "Der einsame Großstädter. Herbert Bayer: Eine Kurzbiografie", 240 Seiten (Vergangenheitsverlag, Berlin 2014).

Wiener Zeitung, Sa./So., 6./7. September 2014