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Das Genie, die Kirche und die Gicht#

von Christa Hauser

Schönbrunn, das Belvedere, die Karlskirche, die Hofburg: Stararchitekten aus aller Welt bauten im 17. und 18. Jahrhundert das barocke Österreich zu einem Weltkulturerbe aus wie keines irgendwo in Europa. Dann aber kam ein Bergbauernsohn und Maurerlehrling aus dem fernen Tirol und konzipierte ein phänomenales Meisterwerk auf einem Felsen über der Donau -das Stift von Melk. Vor 350 Jahren wurde Jakob Prandtauer geboren.

Stift Melk (mit Klick vergrößern!) © Österreich-Werbung/Trumler
Stift Melk
Wie aber ist das Phänomen zu erklären, dass da kein „Studierter" am Werk war, sondern ein Praktiker mit eigenständigen, ja genialen Ideen? Bewundert schon von seinen Zeitgenossen, hoch geschätzt von seinen Bauherren - Äbten, Pröpsten und Prälaten - konnte er jedenfalls seine eigenen Ideen tatsächlich optimal umsetzen. Als „fürnehmen Bau Maister zu St. Polten, und vülleicht fühmemensten in gantz Österreich" bezeichnete ihn der Propst des Stiftes Dürnstein 1715 in seinem Tagebuch. Ein Zitat, das die Zeit überdauert hat. Jakob Prandtauer gilt bis heute als der Meister des typischen „österreichischen Barock".

Symbol dafür ist Stift Melk, Prandtauers Lebenswerk, an dem er von 1702 bis zu seinem Tod im Jahre 1726 plante, veränderte, weiterbaute: ein Denkmal barocker Prachtentfaltung, Spiegel imperialer und kirchlicher Macht. Es bestimmt das Bild der Donaulandschaft am Eingang der Wachau, prägt sich jedem Besucher ein. Und dieser merkt wohl kaum, dass in die gewaltige Anlage Bauteile des alten Klosters einbezogen und dessen Strukturen beibehalten wurden. Prandtauer gelang der Umgang mit altem „Gemäuer", und er schuf ein völlig neues Erscheinungsbild. Zur Donau hin hat Prandtauer die majestätische Fassade mit der großen Empore ausgerichtet, vom Süden aus erblickt man über dem Ort Melk die 320 m lange Seitenfront des Stiftes mit ihrer Fensterflut. Perfekt inszeniert hat Prandtauer den Eingangsbereich mit den beiden Türmen und der Zufahrt zum Prälatenhof. Im Hintergrund die Kuppel der Stiftskirche, die anstelle der gotischen Kirche errichtet wurde. Bauherr war der knapp 30-jährige Abt Berthold Dietmayr, ein versierter Kunst- und Architekturkenner, der sich mit Melk auch selbst verwirklichen wollte und konnte.

Für Prandtauer hatte Melk den Durchbruch bedeutet. Er bekam Aufträge für Um- und Neubauten von Garsten, St. Florian, Kremsmünster und Herzogenburg, wurde Nachfolger des eben verstorbenen führenden Klosterbaumeisters Carlo Antonio Carlone und musste sich mit dessen - noch dem 17. Jahrhundert verbundener - Architektur auseinandersetzen, dabei Kompromisse schließen, auch die Launen der eher knauserigen Bauherren ertragen. So hatte der Abt von Melk mit der schon vollendeten Kuppel der Melker Stiftskirche keine rechte Freude: Also wurde sie abgebrochen und noch einmal gebaut. In Herzogenburg sollte Prandtauer hingegen 1713 nicht nur eine bestehende Klosteranlage umbauen und modernisieren, sondern komplett neu errichten; was sich das Stift aber in Wahrheit eigentlich nicht leisten konnte. Nach mehreren Umplanungen überraschte ihn der Propst von Herzogenburg: Prandtauer sollte mit Fischer von Erlach zusammenarbeiten, was wohl beide nervte. Doch die Bauaufsicht leitete doch Prandtauer, und das bis zu seinem Tod.

TIROLER VERGANGENHEIT. #

Der Lebensweg des „Michelangelo aus Tirol", wie ihn ein dichtender Fan einmal nannte, war keineswegs vorgezeichnet. Sein Elternhaus steht in Stanz bei Landeck im Oberinntal. Acht Kinder, sieben Mädchen und einen einzigen Buben, hatten die einfachen Bauersleute Simon Prandtauer und Maria Lentsch. Jakobs Geburtsdatum ist nicht überliefert, getauft wurde er am 16. Juni 1660 in der Pfarrkirche Zams.

Das Leben im Oberinntal war hart. Im Frühjahr zogen viele Männer als Hilfsarbeiter nach Bayern, Schwaben und sogar nach Luxemburg. Auch wer ein Handwerk erlernt hatte - ein Privileg für begabte Burschen - musste für mindestens drei Jahre in die Fremde. Das schrieb die Zunftordnung vor. Maurer, Stuckateure und Steinmetze aus Tirol waren überall gefragt Mit 17 Jahren begann Prandtauer eine Maurerlehre bei Georg Asam im nahen Schnann, die er 1680 abschloss. Wie und wo er die nächsten Jahre verbrachte, darüber rätseln Kunsthistoriker noch immer, denn Quellen fehlen.

Bei Recherchen für diesen Beitrag entdeckte die Autorin allerdings ein weiteres biographisches Rätsel: In der Tiroler Fachliteratur heißt Prandtauers Ehefrau und Mutter seiner drei Kinder Elisabeth Munggenast. In der übrigen Literatur, die auf Quellen in Niederösterreich fußt, wird jedoch Maria Elisabeth Rennberger (Remberger) genannt, Kammerzofe auf Schloss Thalheim in Niederösterreich, wo Prandtauer einen seiner ersten kleinen Bauten schuf: die Schlosskapelle, in der am 21. Juli 1692 (oder 1693?) die Trauung stattfand. Verwandt mit den Munggenasts aus dem Oberinntal war er zwar schon, denn Josef Munggenast, der Stiftsbaumeister, der lange an seiner Seite gearbeitet hatte, wird in den Quellen stets als Prandtauers Neffe bezeichnet. Ein Fall für geduldige Forscher oder aufregende Geschichtenerzähler?

In Niederösterreich war Prandtauer zum Zeitpunkt der Eheschließung jedoch schon einige Zeit zu Hause. In einem Dokument wird er im März 1689 als „Bildhauer bei St. Polten in Österreich" bezeichnet. 1692 kaufte er dort ein Haus im „Klosterviertel", wo er bis zu seinem Tode lebte. Erhalten haben sich nur wenige Teile im Originalzustand, eine dekorative Tafel auf der neobarocken Fassade von 1904 erinnert jedoch an den Hausherrn.

St. Pölten, weit genug von Wien entfernt und andererseits doch nahe zur kaiserlichen Residenz, war ein guter Platz zum Leben und Arbeiten. Nach Türkenkriegen und Reformationszeit herrschte Aufbruchsstimmung. Die katholische Kirche triumphierte, die Wirtschaft florierte, Adel und Bürgertum zeigten ihre soziale Bedeutung in der feudalen Gesellschaftsordnung. Die damit verbundene Bauwut kam so dem handwerklich perfekten und einfallsreichen Allrounder Prandtauer zugute. Er leitete ein professionelles Bauunternehmen und prägte gemeinsam mit seinem Neffen Joseph Munggenast (nebst anderen kleineren Baumeistern) das barocke Stadtbild der Stadt an der Traisen.

GROSSE WERKE IN NIEDERÖSTERREICH #

Schon 1695 hatte er von den niederösterreichischen Landständen den Auftrag bekommen, Brücken über die Nebenflüsse zu entwerfen - denn er schien ihnen auch ausreichend technisch versiert. Überdies sicherte ihm sein guter Draht zur Geistlichkeit bald Aufträge für die Adaptierung von kleinen kirchlichen Besitzungen in seiner Wahlheimat. So trägt auch der Dom von St. Polten, die ehemalige Chorherrenstiftskirche der Augustiner, Prandtauers Handschrift. Bei der nach ihm benannten Prandtauerkirche, der ehemaligen Kirche der Karmeliterinnen und dem dazu gehörenden Nonnenkloster hatte er nur die Bauausführung geleitet.

In dem schlichten Bau befindet sich heute das Stadtmuseum mit einem Gedenkraum für den berühmtesten Bürger der Stadt. Hier hängt auch eine Kopie seines bekannten, riesigen Porträts aus dem Stift Melk, das Abt Berthold Dietmayr in Auftrag gegeben hatte. Es zeigt den etwa 60-jährigen Mann im grauen Bürgerrock, wie er mit der rechten Hand auf den Plan seines Meisterwerkes zeigt, mit der Linken sich auf seinen Maßstab stützt. Wir wissen, dass ihn schwere Gicht plagte - und das sieht man auch. Er wirkt müde, die Stirn ist faltig, was allerdings angesichts seiner gewaltigen Leistung nicht verwundert.

Was aber ist Jakob Prandtauer noch alles zuzuordnen?

Da sind neben Klosteranlagen vor allem zahlreiche Kirchen zu erwähnen: Die eindrucksvolle Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg etwa, dann die bekannte Christkindlkirche in Oberösterreich; weiters kleine Schlösser für den Landadel, auch Kasernen.

Nun musste Prandtauer in unbequemen Kutschen auf holprigen Straßen von St. Polten zu den Baustellen eilen, wo er oft spontan Pläne korrigierte. Der heute altmodisch anmutende Leitspruch für Architekten war für ihn selbstverständlich: ein Architekt gehört auf die Baustelle. Auch diesem Einsatz ist seine Kunst zu danken. Prandtauer wusste, wie man Bauten in die Landschaft stellt, er konnte mit gewaltigen Dimensionen umgehen, setzte Akzente für die wichtigsten Bauteile, die Bibliotheken und Säle. Mit klaren Formen gliederte er Fassaden und suchte zeitgemäße Bauelemente mit dem Gestern zu verbinden, was ihm fast immer glückte. Einen „Angepassten", ein wenig Konservaliven würde man ihn wohl heute nennen.

Doch wer denkt schon an eine stilistische Einordnung, wenn er im Treppenhaus oder im Marmorsaal von St. Florian steht? Wer denkt an Kategorien, wenn er die Spiegelung der Silhouette von Melk in der Donau erlebt - oder die Christkindlkirche besucht?

Keine Frage: Jakob Prandtauer war ein Genie. Und er hat wie keines dem Land rundum seinen Stempel aufgedrückt.


Mit freundlicher Genehmigung der niederösterreichischen Kulturzeitschrift "morgen" 1/10