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Sitzfleisch formt die Sessel #

Das MAK zeigt in der Ausstellungshalle "Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags"#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 24. Juni 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Brigitte Borchhardt-Birbaumer


Rudolf Steiners Universalphilosophie beeinflusste auch die Architektur
Rudolf Steiners Universalphilosophie beeinflusste auch die Architektur, etwa jene des Zweiten Goetheanums (Westfassade) bei Basel, das einem Entwurf Steiners folgt.
Foto: © Foto: Vitra Design Museum/Deidi von Schaewen

Die Ausstellung zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner (1861 bis 1925) wurde vom Vitra Design Museum gemeinsam mit den Kunstmuseen Wolfsburg und Stuttgart konzipiert. Als dritte Station bietet das MAK für „Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags“ einige Ergänzungen zu mehr als 200 Exponaten. Neben bisher als kubistisch geltenden Möbeln der Anthroposophen fand sich viel zur Farbenlehre Steiners im Nachlass von Stardesigner Josef Binder.

In Wien hatte Steiner an der Technischen Universität studiert, bevor er nach Weimar ging, um die Gesamtausgabe der Werke Goethes zu edieren. Dem metaphysikkritischen Wien hielt er ab 1910 von Berlin aus seinen universalistischen Anspruch einer „Geistesforschung“ entgegen, die besonders auf Künstler großen Einfluss ausübte. Piet Mondrian, Paul Klee und auch die Vertreter des Bauhauses fühlten sich wie Franz Kafka, Rainer Maria Rilke und Stefan Zweig mit dem von Steiner beschriebenen „Sehertum“ des Künstlers angesprochen. Sie übernahmen auch die „kosmische Wesensschönheit“, die sich in einem „Ätherleben“ gegenstandslos vermittelt, gerne in ihre Bilder. So gesehen ist Steiner Mitauslöser der Abstraktion und Ahnherr von New Age.

Innovative Züge#

Ganzheitlich verband er in seiner Philosophie soziale Struktur mit Natur- und Geisteswissenschaften, erdachte ein neues Geldwesen und eine ökologische Landwirtschaft, setzte auf die Selbstheilungskräfte in der Medizin. Kunst und Religion waren wieder eine Einheit wie im Mittelalter. In seiner Bauhütte gab es, angeregt von Wiener Forschern wie Alois Riegl und den Reformbewegungen seiner Tage, keinen Unterschied mehr zwischen Kunst und Design, Theater und Tanz. Daher zeigt sein Teamwork mit Architekten und Designern, dem diese Schau hauptsächlich gewidmet ist, innovative Züge. Neben archaischen wirken erstaunlich moderne Tendenzen auf ihn ein, die wohl auch Otto Wagner, den expressionistischen Film und die Gesamtsicht Frank Lloyd Wrights umfassen. Durch Übernahmen von diesen wirkt sein organisches Formdenken bis heute auf Zaha Hadid oder Herzog & de Meuron. Die Schau stellt die Modelle, Wandtafeln und Zeichnungen Steiners und seiner Mitarbeiter in Bezug zu den expressionistischen Architekten Bruno Taut, Hans Poelzig, Erich Mendelsohn und Richard Neutra. Mit Letztgenanntem hat Steiner (wie mit Kafka, Elsa Laske-Schüler oder Stefan Zweig) korrespondiert.

Seine unzähligen Vorträge hatten breiten Einfluss, ein Anhänger stellte ihm nach dem Scheitern des Versammlungsgebäudes „Johannesbau“ in München für seine Anthroposophische Gesellschaft das Grundstück in Dornach bei Basel zur Verfügung. 20 Nationen bauten am ersten Gothea Gotheanum, das Neujahr 1923 wohl von „völkischen“ Kreisen angezündet wurde. Den zweiten Bau aus Stahlbeton, mit all seinen typischen Details von expressiv eckig facettiert bis gerundet organisch, umgibt eine extrem eigenwillige Kolonie von Heizhaus, Glashaus und Transformator bis zu privaten Gebäuden.

Fließende Linien#

Die Bühnentechnik und die Möbel aus diesem Umfeld bilden zwei Schwerpunkte der Schau, die erstmals den Ähnlichkeiten zu den tschechischen Kubisten, Wright, aber auch Gropius und Schlemmer nachgeht und Steiners Kunstauffassung in der Zeit verankern kann. Von der fließenden Linie bis zu prozesshaft arbeitenden Künstlern der Nachmoderne wie Joseph Beuys oder Olafur Eliasson gibt es Verbindungen, die Parallele der Farbkapsel Steiners mit jener James Turrells erstaunt.

Le Corbusier hat in seiner Kirche von Ronchamp 1952 Elemente des Tempels aus Dornach aufgenommen, Steiners Heizhaus allerdings als „Kotelett“ bezeichnet. Problematische Aspekte werden in der Reform der Gesellschaft mit Waldorfschulen, Naturkosmetik und Ökolandwirtschaft nicht verschwiegen. So gesehen ist der Blick auf diese, laut Theodor Fischer, „sonderbar vergriffenen“ Formen spannend.

Wiener Zeitung, Freitag, 24. Juni 2011