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„Ohne Fühler und Zifferblatt“ #

Clemens J. Setz hat mit „Die Vogelstraußtrompete“ seinen ersten Lyrikband herausgebracht. In seinen Texträumen beschreitet er strukturell und thematisch eigene Wege. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 15. Mai 2014).

Von

Maria Renhardt


Wespe
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© Shutterstock

Ein englischer Wikipedia-Eintrag zum „Reality Checkpoint“ in Cambridge als Motto? Zumindest beginnt der Grazer Autor Clemens J. Setz seinen Lyrikband „Die Vogelstraußtrompete“ ganz unkonventionell mit einem in Verse gesetzten Internetbeitrag, der als Alltagstext einen doch innovativen Auftakt bildet.

Setz hat in den letzten Jahren mit seinem Erzählband „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“, für den er den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat, und mit seinem Roman „Indigo“ aufhorchen lassen. Einen Lyrikband hat er bislang noch nicht herausgebracht. Doch es erstaunt nicht, dass ihn angesichts seiner literarischen Sozialisation das poetische Terrain interessiert. Erst kürzlich hat Setz in einem Interview wieder betont, dass seine Vorbilder unter anderem Ernst Jandl und Edward Gorey seien, aber auch den Barockdichter Quirinus Kuhlmann habe er gerade entdeckt. Früher hat er auch gerne auf das Werk Konrad Bayers, eines Mitglieds der Wiener Gruppe, verwiesen. Und dennoch sind die Texte, die er hier präsentiert, nicht im genuin sprachexperimentellen Genre zu verorten. Denn Setz beschreitet strukturell und thematisch vielmehr eigene Wege.

Unterwegs in eigenen Texträumen #

Seine Lyrik erinnert zum Teil an eine in den Flattersatz gesetzte Prosa, auch wenn gelegentlich etablierte lyrische Strophenformen wie Lied oder Sestine im Titel aufblitzen, täuscht das nur. Denn Setz ist gerne in eigenen Texträumen unterwegs. Diese Gedichte sind fokussiert auf besondere, auch abwegige Begebenheiten, auf Alltagsszenen und Abstraktes, scheinen oft lakonisch hingeworfen zu sein, dann wieder zeigen sie sich sprachlich dicht oder geben sich als Zufallsfindungen zu erkennen. In einem Gespräch mit Werner Krause weist Setz selbst den Weg durch seine Poetik: „Etwas mehr als die Hälfte der Gedichte ... bilden sich aus kuriosen Fundstücken, also ‚found poetry‘, wie zum Beispiel das allererste Gedicht über Bibi Blocksbergs Bruder Boris. Das fand ich, so wie das Motto des Buches, eines Tages auf Wikipedia.“ Auch „Gedichte über Objekte“ reizen ihn, etwa über Gegensprechanlagen oder „orangerote Haltegriffe“. Moderne Dinggedichte also? Nicht wirklich, denn hier wird das Objekt im Unterschied zu Rilkes Lyrik nur zum drängenden Leitmotiv.

Strauß u. Papageien
Strauß u. Papageien
© Istockphoto

Setz legt eine weite thematische Amplitude über diesen Lyrikband. Da geht es beispielsweise einmal um Tiere, vor allem um Katzen, aber auch um Regenwürmer, Insekten, Straußenvögel oder um Motten. Papageien füttern in Ermangelung von Kindern Schuhe: „Kein noch so hochhackiges / fremdes Paar Stiefel / das nur eine Nacht hier stehen blieb / muss leer nach Hause gehn“ Laufende Traum-Straußenvögel werden mit „Cancantänzerinnen auf der Flucht“ verglichen, der Kopf eines dieser Vögel erinnert an einen „Trompetentrichter“. Diese Assoziation wird zum titelgebenden Impuls. Und was passiert, wenn der Straußenvogel im Traum seinen Kopf in den Sand steckt? „Ich hielt mein Ohr zur Erde, / aber statt des erwarteten Tons / hörte ich nur seine dröhnenden / ängstlichen Atemzüge im Dunkel.“ Wenn Setz die Tradition beschwört wie beispielsweise in Form einer Anspielung auf Goethes berühmte fünfte Römische Elegie, experimentiert er mit dem „freien Vers“, indem er beherzt mit den herkömmlichen Regeln der Worttrennung bricht. Enjambements schneiden direkt in das Wort hinein, auch wenn manchmal nur mehr rudimentäre Buchstabenkombinationen übrig bleiben. Goethes amouröses Spiel mit dem Hexameter steht einer „Sauerei“ gegenüber: „Und das Kind das wir gezeugt haben / in dieser Nacht ist bl/ ind und taub und sieht aus wie / ein überfahrener Kürbis / mit Augen wie die Ziffer 9“

Aphoristischer Charakter #

Ein anderes Gedicht erinnert an das Erdbeben in San Francisco im Jahre 1906, als ein Mann inmitten brennender Trümmer einen Polizisten um den Tod anfleht. Dieser kommt der Bitte des Mannes nach, zuvor jedoch notiert er sich dessen Daten in einem Notizbuch.

Wir erfahren, wie Darwin die Musikalität von Regenwürmern erprobt, indem er sie dem Fagottspiel seines Sohnes aussetzt, oder wie Blaise Pascal mit seiner Migräne umgeht und trotz peinigender Kopfschmerzen dazu imstande ist, „über die Angst und über das Schweigen / dieser unendlichen Räume“ zu schreiben. An anderer Stelle präsentiert Setz reines Prosageflecht, wenn er zum Beispiel über den Spaziergang in der „Objektiven Realität“ schreibt. Der hat zu tun mit „demokratischen Blicken“ oder mit dem „All-das-gibt-es-wirklich-Gefühl“. Manche Texte haben sogar aphoristischen, ja auch surrealen Charakter oder evozieren ein Schmunzeln wie das Gedicht „Weltenlauf“: „Und sie bewegt sich doch, / sagte der Jäger / nach dem verfehlten Schuss“

Setz’ Lyrik ist ungewöhnlich, vielleicht auf den ersten Blick sogar ein wenig spröde, weil sie widerständig ist. Doch beim Lesen dieser Gedichte wird eine große Eindringlichkeit spürbar, ein neuer, schräger Blick auf das Leben und das Sein, mitunter ein Verrücken der Perspektive, das zu anderen Sichtweisen führt. Diese Lyrik ist anregend und fordert zur näheren Beschäftigung auf: „Die Zeit: Eine Ameise / ohne Fühler und Zifferblatt.“

Die Vogelstraußtrompete Gedichte von Clemens J. Setz, Suhrkamp 2014. 88 Seiten, gebunden, 16,50EUR

DIE FURCHE, Donnerstag, 15. Mai 2014