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Mit dem Schah in der Disco#

Vor 90 Jahren wurde in Wien Fritz Mandelbaum geboren, aus dem in New York der große Schriftsteller Frederic Morton wurde. - Ein Würdigung.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 4./5. Oktober 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Gerald Schmickl


Frederic Morton
Frederic Morton bei der Präsentation seiner Autobiographie in Wien, 2006.
© Foto: Apa/Herbert Pfarrhofer

Als mich ein Freund eines Tages fragte, wen ich für den besten lebenden österreichischen Schriftsteller halte, wusste ich keine Antwort. Ich erwog einige Namen (Glavinic, Ransmayr, Schuh), verwarf sie dann aber doch allesamt wieder. Einige Tage später, als ich mein Bücherregal inspizierte, wusste ich es plötzlich: Frederic Morton! Wie konnte mir der nicht einfallen?

Auch wenn er, genau genommen, Amerikaner ist - und seine Bücher nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch schreibt. Trotzdem besteht für mich kein Zweifel, dass der am 5. Oktober 1924 in Wien als Fritz Mandelbaum Geborene der beste lebende österreichische Schriftsteller ist.

Wer diesem Urteil nicht folgen mag, dem seien zwei Bücher empfohlen, die meine Ein- und Wertschätzung vielleicht noch mehr stützen als das mit Abstand erfolgreichste Buch des nunmehrigen Jubilars, der am Sonntag seinen 90. Geburtstag begeht, nämlich "Die Rothschilds", das eine Weltauflage von 2,5 Millionen Exemplaren erreichte.

Ein Leben in 10 Tagen#

Die beiden Bücher sind "Die Ewigkeitsgasse" und "Durch die Welt nach Hause" - zwei Glanzlichter autobiographischen Erzählens. Wobei das eine ("Die Ewigkeitsgasse"), worin das Schicksal der jüdischen Familie Spiegelglas über drei Generationen rund um das sogenannte "Türkenplatzl" in Wien erzählt wird, stärker fiktionalisiert ist. Die Geschichte fußt auf jener der Familie Mandelbaum aus der Thelemanngasse in Wien-Hernals, mit der Zentralfigur Bernhard Mandelbaum, Mortons Großvater, einem gelernten Hufschmied (im Roman Berek Spiegelglas).

Das andere Buch hält sich, wie sein Untertitel - "Mein Leben zwischen Wien und New York" - verdeutlicht, noch mehr ans Faktische, obwohl auch darin der erzählerischen Phantasie - gepaart mit feiner Lakonie und Selbstironie - spielerischer Freiraum gewährt wird.

"Durch die Welt nach Hause", das in zehn Kapiteln von zehn Tagen aus verschiedenen Lebensjahren des Autors berichtet, beginnt damit, wie der zwölfjährige Fritz Mandelbaum 1936 in Wien im (Lux-)Kino sitzt und sein großes Idol betrachtet: Fritz Austerlitz alias Fred Astaire ("Fritz Austerlitz und Fritz Mandelbaum - die gleiche Anzahl von Buchstaben und Silben"!, wie dem Autor auffällt). Und es endet damit, wie der Autor selbst zum Schauspieler wird, wiederum in Wien, im September 1994, als Morton eine Rolle in einem Film spielt, der nach seinem Roman "Crosstown Sabbath" gedreht wird.

Dazwischen erfährt man von der Emigration der Familie Mandelbaum, zuerst nach London, dann nach New York, wo der Vater auf Druck der damals antisemitischen US-Gewerkschaften einen neuen Namen annehmen muss, und wo Fritz, nunmehr Fred (später, auf Anraten seines Verlegers, Frederic), eine Bäckerlehre beginnt und in mehreren Backstuben arbeitet. Man liest von seinem Chemiestudium und den ersten Schreibversuchen. Und davon, wie er seine Frau Marcia kennen lernt und, als bereits angesehener Autor einiger Romane und als Magazinjournalist (u.a für "Esquirer" und "Playboy"), Thomas Mann in Travemünde besucht und interviewt. ("Ich bin so erfreut, dass er mir mit mir scherzt, dass ich es auch wage.")

Aber nicht nur Thomas Mann (der die ersten beiden Romane Mortons öffentlich gelobt hatte) kreuzt den Lebens- und Schreibweg des eine Zeit lang englische Literatur an diversen US-Unis lehrenden Frederic Morton, sondern auch Vladimir Nabokov, über den sich einige köstliche, nicht unbedingt für den Russen einnehmende Stellen in dem Buch finden: Etwa als Nabokov Morton während einer Autofahrt diktiert, was jener in seinem nächsten Roman zu schreiben habe: ". . . Alt-Wien hat auch Freud hervorgebracht. Das ist ein viel subtilerer Schamane. Freud gehört vom Sockel gestoßen. Tun Sie das in Ihrem nächsten Buch." Und dann stößt der passionierte Schmetterlingsjäger, als er ein paar exquisite Exemplare über eine Wiese flattern sieht, den Alt-Wiener Mitpassagier kurzerhand aus dem Auto.

Durchhängende Seele#

Unterhaltsam sind auch Mortons Schilderungen, wie er - als deren Biograph - Weihnachten bei den Rothschilds verbringt: "Abendessen (. . .) in einem der Esssalons des Chateau (. . .) Kerzenlicht, das auf den weißen Handschuhen der Butler schimmert, (. . .) hohe Chorstimmen, die französische Weihnachtslieder singen (. . .), all das heitert mich nicht besonders auf. Die Nase ist zwar weniger verstopft, der Husten unter Kon-trolle, doch die Seele hängt wieder durch, ganz schlaff während einer paradiesischen Soirée."

Auch in einem anderen "Paradies", im mondänen Palace Hotel in St. Moritz, wo Morton im März 1967 zu Gast ist, fühlt er sich nicht wohl. Während er lieber an das seidige Babyhaar seiner gerade zuvor auf die Welt gekommenen (und in New York gebliebenen) Tochter Rebecca denkt, muss er mit den Karajans dinieren ("Maestro lächelt gemeinsam mit mir über den Witz seiner Frau, aber wird rasch wieder ernst. Er fragt, ob ich Leonard Bernstein in St. Moritz Schi fahren gesehen habe. . ."), mit Hollywood-Starlets parlieren und dem Schah von Persien beim Tanzen in der Disco zuschauen. Schließlich hält er es nicht mehr aus und fliegt verfrüht nach Hause, zu seinem kleinen "Raunziputzi".

Jugendliche Identität#

Morton erzählt viel und eindringlich von seiner Familie: von seiner Rolle als "Muttersöhnchen", vom stets strengen und knauserigen Vater, mit dem ihn bis in dessen hohes Alter (er wurde 100!) trotz großer gegenseitiger Anhänglichkeit ein schwieriges Verhältnis verband, von der Liebe zu Marcia und ihrer schweren Erkrankung im Alter (sie starb vor einigen Jahren).

Dass fast alles, trotz teils bedrückender Themen, bei Frederic Morton leicht und jugendlich frisch klingt, hat wohl auch damit zu tun, dass er sich, wie er in der Autobiographie verrät, stets als junger Mann gefühlt habe. Er kann dieses Gefühl sogar präzisieren: ". . . kaum war ich über die Schwelle des Vierteljahrhunderts geraten, habe ich mich anscheinend (. . .) zu einer immer weniger perfekten Kopie meiner innersten, authentischen dreiundzwanzigjährigen Identität entwickelt."

In diesem Sinne gratulieren wir diesem wunderbaren Autor zur 67. Wiederkehr seines 23. Geburtstages.

Literaturhinweis:#

"Die Ewigkeitsgasse" und "Durch die Welt nach Hause" sind, wie einige weitere Bücher von Frederic Morton, im Wiener Deuticke Verlag erschienen.

Wiener Zeitung, Sa./So., 4./5. Oktober 2014