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Gerhard Fritsch - Texte mit Epochensignatur#

Die österreichische Literatur sähe heute ohne Gerhard Fritsch ganz anders aus. Mit seinen Gedichten und seinem ersten Roman "Moos auf den Steinen" war Gerhard Fritsch zu einer der Größen der Nachkriegsliteratur geworden.

Gerhard Fritsch war zu involviert in die österreichische Literatur, um ein Außenseiter zu sein, aber er war vielleicht zu sehr involviert und wurde dadurch zum Außenseiter. Fritsch ist weniger präsent als Autor von Werken, denn als einer, der die österreichische Literatur begleitet hat. Man vergisst dabei, dass dieser Gerhard Fritsch einige Texte geschrieben hat, die beispielhaft für das einstehen, was eine Epochensignatur ausmacht, die Signatur der österreichischen Literatur nach 1945.

Gerhard Fritsch heute zu beurteilen ist nicht einfach - zumal ja das Werk nur verstreut publiziert ist. Wir hoffen, dass es einmal eine Gesamtausgabe geben wird, die Einblicke in die verschiedenen Leistungen des Autors gibt.

Mit seinen Gedichten und seinem ersten Roman "Moos auf den Steinen" ist Gerhard Fritsch zu einer der Größen der Nachkriegsliteratur geworden.

Debütroman über Österreich#

Fritschs erster Roman "Moos auf den Steinen" ist wie seine Gedichte ein Versuch, Geschichte zu erinnern, ein Versuch, der am Anfang als Versuch einer Restauration eines umfassenden Österreichbewusstseins gewertet wurde, eine Story, die nicht weiter aufregend ist. Es geht um die Restauration eines Schlosses - Schwarzwasser im Marchfeld, um die Bemühungen eines jungen Mannes, auch Geschäftigkeit dort in das Schloss hineinzubringen.

Das Schloss steht symbolisch für die österreichische Geschichte und man hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass hier die Erzählstimme eines Josef Roth hörbar würde, der diese Vergangenheit zu rekonstruieren versucht, diese untergegangene Welt der Habsburger-Monarchie. Verklärung und Kritik der Vergangenheit

Das Buch wurde ein mäßiger Erfolg, aber es stand immerhin im Mittelpunkt der literarischen Diskussion. Gerhard Fritsch war damit als Autor etabliert, als Autor, der diese Generation symbolisierte und Herbert Eisenreich, einer seiner Schriftstellerkollegen, hat einen bedeutenden Essay über die österreichische Literatur geschrieben und gerade dieses Buch als das Buch seiner Generation bezeichnet, einer Generation, die gleichsam das Erbe der Vergangenheit zu tragen habe, aber die Zukunft vor sich als etwas Undefiniertes und Unfassbares sehen müsse.

Es gibt noch ein anderes Moment in diesem Buch. Es gibt ein Grabmal in dem Schloss - einer der früheren Schlossbesitzer, der dort beerdigt ist, von ihm heißt es, er sei "modo austriaco", auf österreichische Weise, im Kampfe höchst tapfer gestorben. Also eine Verklärung der Vergangenheit, aber eine Verklärung der Vergangenheit, die das Spezifische der österreichischen Vergangenheit hervorkehren möchte, als einer übernationalen Kultur, derer man sich nun doch in einem etwas beschränkten Maße erinnert. Damit wird Gerhard Fritsch auch zum Kronzeugen dessen, was man später als habsburgischen Mythos bezeichnet hat. Doch ist hier auch zu beachten, dass diesem Mythos eben nicht nur ein verklärendes, sondern auch ein kritisches Moment beigemengt ist

Gerhard Fritsch ist mittlerweile zu einem Autor geworden, der immer wieder zitiert wird, wenn es um die Definition dessen geht, was Österreich ist, was österreichische Literatur ist. Wenn man davon spricht und die Besonderheit dieser Literatur im Rahmen der deutschsprachigen Literatur hervorheben möchte, dann ist man auf ihn angewiesen. Er hat sich ja auch sehr bemüht, die eigene österreichische Identität, die österreichische Sprachfärbung zu verteidigen.

Paradoxie und Ambivalenz Österreichs#

Sein Gedicht "Österreich" aus dem Jahre 1965 ist eines der späten Gedichte - die lyrische Produktion nahm im Laufe der Jahre ab - aber gerade dieses Österreich-Gedicht ist ein Gedicht, das in Anthologien und Auswahlpublikationen verschiedener ideologischer Observanz sehr gut Unterkunft finden konnte. So hat auch eine DDR-Anthologie, die sich Österreich widmet, gerade dieses Gedicht zum Leitgedicht gemacht, aber auch bei Feiern konservativer Parteien wird dieses Gedicht immer wieder zitiert. Dieses Gedicht zeigt die Paradoxie und die Ambivalenz Österreichs am schönsten.

Österreich
Eitel genannt, belächelt, ausposaunt,
Bezweifelt, totgesagt, verraten, verboten,
Ein Reich, ein Rest, ein Gau, eine Idee,
Vergangenheit in Kronen und Grüften.
Ein Landstrich,
Von dem die Geschichte Abschied genommen hat.
Im November, im März,
Zu viel ist hier schon geschehen.
Ein dickes Geschichtsbuch mit Hunnen und Türken,
Korutzen, Franzosen, Preußen und Russen,
Mit Schlachten, Hochzeiten, Kongressen, Elend und Walzern,
Was ist dieses Land,
Das sie zerstören wollten und zerstört haben,
Einmal und wieder, weil es sich selbst
Als Last empfunden hat,
Als müde und bedürftig.
Österreich mit seinen Gerichteten, Gefallenen, Gräbern und Trümmern,
dem brennenden Dom, den Gebombten, Geplünderten, Versehrten, Verjagten, Vergasten, Verschollenen. Österreich mit seiner Geschichte, der ganzen, und all Seinen Bergen, Burgen, Fabriken, Keuschen und Schlössern,
Seinen Einschichten, Vorstädten, Marktplätzen, Glocken und Türmen, Bilderbuchdörfern, Kaffeehäusern und Grüften, seiner Musik, seinem Wort, seinem Schweigen, seinen Tränen
Und seiner Freude, seinen vergessenen Toten, seinen Gefeierten, seiner Einfalt, seinem Wissen.
Ohne spanische Reiter, Verzweiflung und Zwietracht,
Ein Volk mit Vergangenheit, Zukunft, dauernde Gegenwart,
Im Kreuz der Straßen Europas, im Schoß dieser Welt,
lächelnd über seine Bestatter.
Österreich.

Den Titel "Lächelnd über seine Bestatter, Österreich" hat Ulrich Weinzierl einer Österreich-Anthologie gegeben und somit deutlich angezeigt, dass gerade diese merkwürdige Kombination "lächelnd über Bestatter", wohl ein Moment wäre, das das österreichische Wesen, sofern man dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen darf, charakterisieren würde.

Quelle#

ORF/Ö1/Kultur, 22.07.2007