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Auftakt zum großen Leibniz-Jahr #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Donnerstag 23. Dezember 2015)

Von

Martin Tauss


Schreibtisch
Foto: IMAGNO/Erich Lessing

Keine andere Maschine hat so viel Einfluss auf die Menschheitsentwicklung genommen: Die digitale Logik hat mittlerweile alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen, und wer bitteschön kann sich heute noch ein Leben ohne Computer vorstellen? Die Digitalisierung wird mitunter sogar als „Zeitenbruch“ beschrieben, der die Menschheit in eine völlig neue Ära der „Hypervernetzung“ führen wird Wie aber hat diese revolutionäre Entwicklung ihren Lauf genommen, die uns heute so dermaßen in Atem hält?

X. Leibniz-Kongress #

Es begann, unter anderem, mit ein paar klugen Köpfen und einer grundsätzlichen Idee: Bei schwierigen Berechnungen sollte dem Menschen technische Hilfe an die Seite gestellt werden. Der französische Physiker Blaise Pascal etwa wollte seinen Vater, einen Steuereinnehmer, im ständigen Kampf mit der Mathematik entlasten. 1642 entwarf er die Rechenmaschine „Pascaline“, die bis zu sechsstellige Zahlen addieren konnte. Auch in deutschen Landen wollte ein umtriebiger Geist das Rechnen auf Papier beschleunigen und der menschlichen Fehleranfälligkeit entheben. Gottfried Wilhelm Leibniz, Hofrat beim Herzog in Hannover, empfand es als „unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ Seine Apparatur, die erstmals alle vier Grundrechenarten durchführen konnte, präsentierte er 1673 stolz der „Royal Society“ in London – eine schwere Holzkiste mit Kurbel und Zahnrädern. Diese Kiste war der Prototyp für weitere Modelle, die der ehrgeizige Gelehrte in den nächsten Jahrzehnten entwarf. Eine um 1690 entwickelte „arithmetische Maschine“ geriet nach seinem Tod zunächst in Vergessenheit; heute wird sie zu den wertvollsten Kulturschätzen des 17. Jahrhunderts gezählt. Das in Hannover zu bestaunende Original ist nur eines der vielen Zeugnisse für den unglaublichen Einfallsreichtum und Aktionsradius ihres Erfinders, der heute als einer der letzten, wenn nicht der letzte Universalgelehrte des Abendlands geehrt – und demnächst auch gefeiert wird. Denn 2016 ist das große Leibniz-Jahr, in dem sein 370. Geburtstag und 300. Todestag begangen wird. In Hannover startet daher ein ganzer Reigen an Veranstaltungen: Der Großteil der Aktivitäten wird in der Zeit um den X. Internationalen Leibniz-Kongress vom 18. bis 23. Juli 2016 und nochmals zum Todestag am 14. November 2016 stattfinden.

Aber auch in Wien hat der strikte Rationalist mit den groß angelegten Ordnungsvisionen seine Spuren hinterlassen. Wer im ersten Bezirk durch die Sonnenfelsgasse schlendert, stößt auf eine Gedenktafel, die daran erinnert, dass Leibniz hierzulande erstmals die Gründung einer Akademie der Wissenschaften angeregt hat. Und man sieht, welche Fachbereiche im Begriff des „Universalgelehrten“ zusammenlaufen: Philosoph, Mathematiker, Physiker, Theologe, Geologe, Techniker, Philologe, Jurist, Historiker und Diplomat, all das hat Leibniz in Personal- union verkörpert. Ein rastloser Geist in einem rastlosen Körper soll er gewesen sein: Jemand, der mehr als 200.000 Manuskriptseiten hinterließ und von sich selbst sagte, dass er „beim Erwachen schon so viele Einfälle hatte, dass der Tag nicht ausreichte, um sie niederzuschreiben.“ Jemand, der durch Europa reiste, solange er konnte, um sich mit Denkern und Forschern auszutauschen, und internationale Korrespondenzen pflegte, die bis nach China reichten.

Philosophie-Symposium in Wien #

Die Gründung einer Gelehrtenakademie nach Londoner oder Pariser Vorbild hat der Reichshofrat in Wien übrigens nicht mehr erlebt. Mit seinem Vorschlag kam er genau 134 Jahre zu früh, denn erst 1847 wurde die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen. Nichtsdestoweniger hat Leibniz vier Wissenschaftsakademien initiiert: in Berlin (deren erster Präsident Leibniz war), Leipzig, Moskau (ursprünglich St. Petersburg) und eben auch in Wien. Anlässlich seines 300. Todestags veranstaltet die Österreichische Akademie der Wissenschaften am 3. und 4. November daher ein internationales Philosophie-Symposium, an dem Vortragende aus allen vier Akademien teilnehmen werden. Konzipiert von der Philosophin Herta Nagl-Docekal (Wien) und ihrem Berufskollegen Wenchao Li (Potsdam/Hannover), werden dabei Fragen nach der heutigen Aktualität des Leibniz’schen Denkens erörtert.

Mit seinen teils skurrilen Erfindungen und Machbarkeitsfantasien steht Leibniz am Beginn der technisch-wissenschaftlichen Moderne. Gerade seine mathematischen Überlegungen sind wegweisend: Etwa zeitgleich zu Isaac Newton entwickelte der deutsche Gelehrte eine Methode der Integralrechnung. Dass sich Rechenprozesse durch ein binäres Zahlensystem vereinfachen lassen, ist ebenfalls eine Leibniz’sche Idee. In einer Abhandlung für die Pariser „Académie des Sciences“ legte er ein Zahlensystem dar, das nur mit Null und Eins operiert. Und der vielseitige Forscher war der Erste, der eine auf diesem Dualsystem basierende Rechenmaschine konzipierte (die allerdings nicht realisiert wurde).

„Leibniz 2.0“ #

Gemäß seiner Devise „Ohne Gott ist nichts“ stand in diesem System die Eins für Gott und die Null für das Nichts. Dieses binäre System ist heute zur universellen Maschinensprache geworden, die der computerisierten Welterfassung zugrunde liegt. Als früher Impulsgeber für das digitale Zeitalter ist Leibniz somit nachhaltig präsent.

Nichts aber erscheint dermaßen veraltet wie die Figur des Universalgelehrten. Im 17. Jahrhundert mag es noch möglich gewesen sein, den Überblick über verschiedenste Fächer zu bewahren. Schon seit Langem ist es schlicht undenkbar. Die Folge: Experten herrschen über immer kleinräumigere Wissensgebiete. Doch inzwischen regt sich auch Kritik am Spezialistentum. Und die Idee des Universalgelehrten taucht, wenn man so will, in neuer Form wieder auf: Sie ist vom Individuum zum Netzwerk geworden. Das mögen bunt zusammengesetzte Forschergruppen sein, die quer über Fächergrenzen hinweg kooperieren, oder das Internet selbst, das zum größten Wissensspeicher der Menschheitsgeschichte geworden ist. Im Computer-Zeitalter wird die alte enzyklopädische Idee in einem Ausmaß realisiert, das für die Gelehrten des 18. Jahrhunderts nicht einmal in den kühnsten Träumen vorstellbar gewesen wäre. Und die vernetzten Rechner, die uns die Kopfarbeit abnehmen, begleiten uns heute auf Schritt und Tritt. „Leibniz 2.0“ für jedermann, gewissermaßen.

DIE FURCHE, Donnerstag 23. Dezember 2015

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