!!!Im Wald der Geschichten 

!!Bei den 35. Tagen der deutschsprachigen Literatur gewinnt mit Maja Haderlap zum ersten Mal eine Österreicherin den nach Ingeborg Bachmann benannten hoch dotierten Literaturpreis.

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''Der folgende Essay stammt mit freundlicher Genehmigung aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 14. Juli 2011).''


Von 

__Brigitte Schwens-Harrant __ 

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[{Image src='Wald-d-Geschichten.jpg' caption='Maja Haderlap.\\Foto: © Foto: bachmannpreis.eu' class='image_right' alt='Maja Haderlap' height='300' width='196'}]



„[Maja Haderlap|Biographien/Haderlap,_Maja]: Lyrikerin, Chefdramaturgin und nun Prosaschriftstellerin und Bachmannpreisträgerin.“  

Nein, Maja Haderlap wurde nicht, wie ein deutscher Kollege behauptete, vergangenes Wochenende in Klagenfurt „entdeckt“, jedenfalls nicht in Österreich. Das hatte sie gar nicht nötig. Unter den 14 zum Literaturbewerb um den Ingeborg- Bachmann-Preis angetretenen Kandidatinnen und Kandidaten war Haderlap die im Kulturbetrieb wohl renommierteste: eine preisgekrönte Lyrikerin, 15 Jahre lang Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt, Übersetzerin vom Slowenischen ins Deutsche. Und sie wusste – als Beobachterin des Bachmannpreises seit Jahren, als Ehefrau eines Ex-Jurors, als Lehrbeauftragte an der Universität Klagenfurt – wohl besser als so manch anderer, was sie tat, als sie sich mit ihrem Text bewarb. Insidern galt sie als Favoritin. Ja, das gehört zu jenen merkwürdigen Merkmalen des Literaturbetriebs: dass man noch keine Zeile gelesen hat und trotzdem schon Trends und Favoriten benennen kann. 

Dass Maja Haderlap dann vergangenen Sonntag in der Stichwahl des vierten Wahlgangs von den Juroren den renommierten und mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg- Bachmann-Preis zugesprochen bekam, kann aus österreichischer Sicht freuen. Weil zum ersten Mal eine Österreicherin den Preis bekam (Österreicher waren es mit Gert Jonke und Franzobel bisher auch nur zwei), aber vor allem, weil mit ihrem Text der Kärntner Geschichtsschreibung etwas hinzugefügt wurde, das dringend nötig war. Als einen Idealfall, wie Literatur sich mit Geschichte beschäftigen kann, bezeichnete Daniela Strigl den Prosatext der Autorin, die sie für den Bewerb vorgeschlagen hatte. Haderlap führt darin ein Mädchen mit dem Vater in den Wald – und in die Abgründe der Geschichte und der Gegenwart. „Im Kessel“ ist ein Textausschnitt aus dem diese Woche bei Wallstein erschienenen Roman „Engel der Geschichte“. Haderlap verarbeitet Geschichten, mit denen sie aufgewachsen ist, Geschichten auch jener Kärntner Slowenen, die als Partisanen gegen den Nationalsozialismus kämpften und von denen viele in den Konzentrationslagern verschwanden. 


!Kärntner Wald und ostdeutsches Dorf

Haderlap hat im Unterschied zu ihren auf Slowenisch geschriebenen Gedichten ihren Prosatext auf Deutsch verfasst, die Sprache gab ihr die nötige Distanz. Die Entscheidung der Jury für den eher konventionell erzählten Text ist bloß insofern erstaunlich, als man doch tagelang darüber diskutiert hatte, was denn die Texte Neues böten. Dass sich eine knappe Mehrheit in der Jury dann letzten Endes doch für Haderlaps Text entschied, hat wohl auch mit dem Thema zu tun. 

Ein politisch motivierter Preis also? Ein  Leistung und die ist Haderlap nun wirklich nicht abzuerkennen. So einfach darf man sich die Welt und Juryentscheidungen dann doch nicht schreiben. Vielmehr wird deutlich, dass Form und Inhalt nicht zu trennen sind, auch wenn in Literaturdiskussionen oft die Form gegen den Inhalt ausgespielt wird und umgekehrt. Es ist eben nicht nur wichtig, wie etwas erzählt wird, sondern auch, was jemand überhaupt zu erzählen hat. Diverse Literaturinstitute speien Schreiberlinge aus, die das Handwerk des Texteverfertigens zwar beherrschen und wissen, wie sie den Buchmarkt um den Finger wickeln, aber Stoff haben sie deswegen noch lange nicht. Stoff aber hat Maja Haderlap genug. Sie hat etwas zu erzählen und es hat lange gedauert, sagt die 1961 Geborene, bis sie sich traute, darüber zu schreiben. Auch der bei der Stichwahl nur knapp unterlegene Text von Steffen Popp führt in die Geschichte, in ein ostdeutsches Dorf, dessen Glasfabrik Vergangenheit ist. Er tut das völlig anders als Haderlap. Das „Finishing“ seiner „Spur einer Dorfgeschichte“ werde den Lesern überlassen, meinte Hubert Winkels über die besondere Herausforderung dieses Textes. 

[{Image src='Wald-d-Geschichten1.jpg' caption='Gewinner von li. nach re.: Thomas Klupp (Villi Publikumspreis), Steffen Popp (Kelag-Preis), Maja Haderlap (Bachmann-Preis), Nina Bußmann (3sat-Preis), Leif Randt (Ernst-Willner-Preis).\\Foto: © Foto: bachmannpreis.eu' class='image_left' alt='Gewinner der 35. Tage der deutschsprachigen Literatur' height='220' width='330'}]

Mit unterhaltsamen, humorvollen Texten schienen einige Juroren Schwierigkeiten zu haben. Anders kann man sich die Mäkelei bei Thomas Klupps gelungener Universitäts- und Kulturbetriebssatire „9to5 Hardcore“ nicht erklären. Das Publikum mochte den ebenso klugen wie bösen Text über den Kulturwissenschaftler und sein Forschungsprojekt „Inszenierungsstrategien des Expliziten in Onlineangeboten westlicher Mainstreampornografie“ und kürte Klupp mit dem Publikumspreis. Wird bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur gemäkelt um des Mäkelns willen? In Leif Randts Text über die Oberflächengesellschaft vermisste Paul Jandl gar „den ontologischen Kern“. Jurorin Hildegard E. Keller konterte: Genau darin liege die Pointe. Es gehe um die Oberfläche. 

Aber worum es geht, das musste oft erst einmal geklärt werden. Die öffentliche Übertragung dieses Prozesses machte nicht nur sichtbar, wie unterschiedlich Texte verstanden werden können (manchmal allerdings verstand man die Kritiker nicht), sondern auch, was bei der Bewertung von Texten alles eine Rolle spielen kann. Als der Juror Alain Claude Sulzer vor laufender Kamera eingestand, er gehöre zu den „blöden Prosaautoren“, die weder Gedichte lesen noch beurteilen können, und deshalb die Diskussion zu Popps Text verweigerte, richtete er sich selbst. 


!Keine Zeit für Diskussionen

Die Ermittlung der Preisträger nach drei Tagen Lesen und Statements war spannend wie selten – und das lag wohl auch daran, dass die Texte (im Unterschied zum Vorjahr) durchwegs diskussionswürdig waren. Die organisatorischen und medialen Rahmenbedingungen aber ließen zu wünschen übrig. Dass sich mit Paul Jandl nun ein bei einem Verlag angestellter Lektor als Juror betätigt, lässt nichts Gutes ahnen. Es hat schon seinen Grund, Verlagsinteressen und Kritikertätigkeiten zu trennen. Dann wurden den Zuschauern Zettel mit der Reihenfolge der Lesungen ausgehändigt, auf denen die Lesezeiten nicht stimmten. Und dass die Lesungen nicht mehr vormittags und nachmittags stattfinden, sondern als Fünfstundenblock (inkl. kurzer Mittagspause), dient der Sache nicht. Zwischen 14 und 15 Uhr noch aufmerksam zuzuhören, ist selbst für Literaturfreaks Hardcore, 10to3 Hardcore eben. 

Der viel zu knapp bemessene Zeitrahmen sorgte für Stress bei der Moderatorin Clarissa Stadler, die Hubert Winkels, der seine Urteile ausführlich und anschaulich begründete, zweimal ungeduldig ins Wort fiel. Ausgerechnet bei der Diskussion um die zukünftige Preisträgerin Maja Haderlap wollte Stadler die Runde der Statements beenden, noch bevor jeder zu Wort gekommen war. Dabei stellte Meike Feßmann interessante kritische Fragen an den Text. In welcher Perspektive darf man über den „klingenden Namen Dachau“ schreiben? Dieser Frage nachzugehen, hätte auch in das Herz der Literatur geführt. Aber echte Diskussionen waren, scheint’s, nicht vorgesehen.  


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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], 14. Juli 2011
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