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Moralist und Zauberkünstler#

Vor 100 Jahren wurde in Wien Fritz Hochwälder geboren, der zu den berühmtesten Dramatikern der 1950er-Jahre gehörte, aber heute fast völlig vergessen ist.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 28. Mai 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Evelyne Polt-Heinzl


'Die Himbeerpflücker' in einer Aufführung des 'Theaters in der Josefstadt'
Hochwälders bittere Satire "Die Himbeerpflücker" in einer Aufführung des "Theaters in der Josefstadt" (1996).
Foto: © apa/ Theater in der Josefstadt

1995 erschien Fritz Hochwälders Arbeitslosenroman mit dem Titel "Donnerstag", und die Verblüffung war groß. Noch kurz vor seinem Tod am 20. Oktober 1986 hatte Hochwälder behauptet, Prosa sei ihm "immer zu fad" gewesen, mit einem unpublizierten Roman war also nicht zu rechnen – schon gar nicht mit einem derart wilden Kaleidoskop aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit der Ersten Republik. Sonst war es 1995 eher still geworden um den "unerbittlichen Moralisten" (Lutz Hagestedt), dessen Stücke von "klassischer Strenge" waren. Kategorisierungen dieser Art haben einiges zum Vergessenwerden beigetragen: "Moralinsauer" und "langweilig", das war nach der Implosion der Formen und Konventionen nicht mehr gefragt.

Doch wie bei vielen der formal eher "klassischen", aber inhaltlich durchaus modernen Autorinnen und Autoren der Nachkriegszeit legte vor allem die – nicht selten auch ideologisch unsaubere – Rezeption viel Staub auf die Werke, den späterhin keiner mehr Lust hatte, wegzublasen. Auch im Fall Hochwälder hat sich bis heute kaum jemand aus der jüngeren Generation gefunden, der einen neuen und anderen Blick auf sein Werk versucht hätte. So steht es auch mit der Werkpflege: Eine dreibändige Dramen-Ausgabe erschien 1959 bis 1968 bei Langen-Müller, eine vierbändige folgte 1975 bis 1985 bei Styria – und dann folgte nichts mehr.

Schon der um 1933 entstandene Arbeitslosenroman "Donnerstag" zeigt einige von Hochwälders späteren Stärken und Neigungen. Die 155 aneinander gefügten Episoden sind Mini-Dramen, gruppiert um eine dramaturgische Königsidee: Jede der Figuren erwartet vom kommenden Donnerstag eine finale Entscheidung, die Handlung freilich endet Mittwoch Nacht. Die für den Donnerstag erwartete Glückserfüllung wird auch zum Thema der ein Vierteljahrhundert später entstandenen Zauberposse gleichen Titels.

Wiener Kindheit#

Hochwälder wurde am 28. Mai 1911 im 7. Wiener Gemeindebezirk als Sohn eines jüdischen Tapezierermeisters geboren, in der Westbahnstraße 3. Vom Kabinettfenster der elterlichen Wohnung aus beobachtete der kleine Fritz in der Werkhalle der gegenüberliegenden Puppenfabrik, wie sich aus den langen Reihen von Rümpfen und Gliedern die "Puppenwerdung" vollzog. So ähnlich wird er späterhin seine Theaterfiguren in Konfliktsituationen hineinstellen und mit der Frage nach Verantwortung und Schuld konfrontieren.

Ein Leben als Theaterautor ist zunächst freilich noch in weiter Ferne. Die finanzielle Situation der Familie ist alles andere als gut, die Atmosphäre alles andere als weltoffen, die Zeitstimmung alles andere als optimistisch. So folgt nach drei Klassen Realgymnasium die Tapeziererlehre im väterlichen Kleinstbetrieb. Nebenbei besucht er Kurse in der legendären Volkshochschule Ottakring und beginnt zu schreiben. Die erste Publikation des 17-Jährigen ist das von Theodor Kramer inspirierte Gedicht "Der Kistenträger" in der "Arbeiter-Zeitung" vom 20. Mai 1928. Hörspiele entstehen, darunter 1931 eine Bearbeitung von Schnitzlers "Reigen", eine Novelle und erste Theaterstücke. "Jehr. Ein Schauspiel" wird am 1. März 1933 in den Kammerspielen uraufgeführt, "Liebe in Florenz" 1936 im "Theater der 49".

Als Hochwälder im August 1938 die Flucht in die Schweiz gelingt, nimmt er seinen Meisterbrief von 1936 ebenso mit wie seinen Tapeziererkoffer, doch bald rückt der zweite Beruf in den Vordergrund. Im Winter 1944/45, so kolportiert der nicht immer zuverlässige Gedächtniskünstler Hans Weigel, soll Hochwälder bei einer Begegnung in Basel ein eigenes Reclam-Bändchen als non plus ultra einer literarischen Karriere bezeichnet haben. Es dauerte noch ein wenig, bis 1958 "Das heilige Experiment" in Reclams Universal-Bibliothek erschien. Es enthält eines seiner bis heute bekanntesten Stücke, das den Grundkonflikt von Macht und Recht, der viele seiner Dramen beherrscht, durchspielt, hier am Beispiel des historischen Jesuitenstaates in Paraguay, der eben aus machtpolitischer Raison zerstört werden muss. Und dieser Reclam-Band ist, neben dem vierten Band der Dramenausgabe, das einzige Buch Hochwälders, das aktuell im Buchhandel erhältlich ist.

Einige seiner frühen Stücke wurden noch im Exil aufgeführt. Zwar lehnte das Zürcher Schauspielhaus "Das heilige Experiment" ab, aber am Städtebundtheater in Biel wurde es 1943 gegeben (und 1944 in Luzern und St. Gallen nachgespielt), ebenso wie zwei Jahre später das Stück "Der Flüchtling". Unaufgeführt blieb "Casa Speranza" (1943), ein Emigrantenstück wie auch "Hôtel du Commerce", das 1946 in Prag und 1947 am Wiener Volkstheater zu sehen war.

1947 erlebte Hochwälder auf Vermittlung Franz Theodor Csokors mit "Meier Helmbrecht" die erste Uraufführung in Wien, am Theater in der Josefstadt; im selben Jahr wurde "Das heilige Experiment" am Burgtheater gegeben. Die erste Uraufführung war hier 1953 "Donadieu", 1957 folgte "Die Herberge", jenes Stück, das Hochwälder als seinen "Wendepunkt" bezeichnete, weg von der Bearbeitung "historischer Stoffe", hin zu offen zeithistorischen Stücken, aber auch zu einem symbolischen, oft zauberhaft poetischen Geschehen wie in "Der verschwundene Mond" (1982), einer Hommage an Jakob Haringer.

Im Geiste Raimunds#

Fritz Hochwälder
Fritz Hochwälder
Foto: © F. Bloch Erben

1959 entstand im Auftrag der Salzburger Festspiele die Zauberposse "Donnerstag" in bester Wiener Volksstück-Tradition – Hochwälder hat immer wieder betont, dass er sich Ferdinand Raimund sehr verpflichtet fühlte. Die Teufelspaktgeschichte hat heute noch etwas Frisches. Die höllische "Belial Incorporated" ist auf der Suche nach einem "lebendigen Toten" als "signifikantem" Typus der Zeit. Ihr Agent Wondrak wird rasch fündig im Architekten Niklaus Manuel Pomfrit, einem rastlosen Workoholic, dem der Sinn des Lebens abhanden gekommen ist. Die Belial-Maschine verspricht die radikale Entproblematisierung seines Lebens; dass Pomfrit dem "Allerweltsplunder" der Maschine doch nicht erliegt, verdankt sich dem Zauberapparat des Stücks.

Den Wondrak spielte bei der Uraufführung Helmut Qualtinger; er soll von der Rolle die erste Anregung zum "Herrn Karl" erhalten haben; unbestritten aber nimmt Wondrak den running gag "Inspektor gibt’s kan" von Helmut Zenkers Kottan-Serie vorweg, indem er mehrmals sagt: "Ich bin kein Inspektor, ich bin der Wondrak." Die Inszenierung wurde eher ein Achtungserfolg, Adaptionsversuche des Mysterienspiels sind in Salzburg selten gut angekommen, das hat 20 Jahre später noch Peter Handke mit "Über die Dörfer" erfahren müssen. Zur Tradition, so Hochwälder, "gehören eben zwei: der Dichter und das Publikum".

Eine Variation auf das lebendige Totsein in einer Mischung aus "Amüsement und Gleichgültigkeit", ist das drei Jahre später entstandene Stück "1003". Der Titel entspricht dem Kennzeichen des Luxusautos Cerberus, mit dem die (Szene)-Figur Bloner ihren Autor Valmont besucht, um ihn zu zeitgemäßem Verhalten zu überreden: "Der Schriftsteller wird aufgebaut, lanciert, herumgereicht, gemacht; keine Kunst, die Kunst – muss es bloß können".

In beiden Stücken thematisiert Hochwälder Zeittypen und Problemlagen, die erst Jahre später breiter diskutiert werden, und beide Stücke sind radikal vergessen. Die Rezeptionsgeschichte von Hochwälders Werk hat insgesamt etwas Fatales. Er war mit einer knappen Handvoll seiner Dramen der österreichische Dramatiker der Nachkriegszeit. Seine moralischen, oft auch religiös ausdeutbaren Stücke über Situationen radikaler Gewissenskonflikte trafen den Puls der Zeit, aber sie waren, bei entsprechend historisierender Inszenierung zumal, als allgemein menschliche Parabeln mit der Verdrängung der jüngsten Vergangenheit durchaus kompatibel. Unaufgeführt blieben jene Stücke, die dramaturgisch und inhaltlich am ungestümsten sind. "Esther" (1940) zum Beispiel, von Hochwälder selbst als sein "frechstes" Stück bezeichnet. Es spielt mit einer Häufung von grotesken Szenen rund um eine korrupte Staatsmacht, wo potentielle Henker und Gehängte in den Hinrichtungsvorbereitungen so rasch wechseln, dass die Intriganten den Überblick zu verlieren drohen, bis die Idee eines gemeinsamen Feindbildes die Lage klärt.

Nicht mehr parabelartig auszudeuten (und damit zu entschärfen) war dann "Der Himbeerpflücker", uraufgeführt 1965 am Zürcher Schauspielhaus und im selben Jahr von Erich Neuberg als Fernsehspiel inszeniert – mit Helmut Qualtinger als Ex-Parteigenossen Steisshäupl.

Im "Himbeerpflücker" bringt Hochwälder den Umgang mit der NS-Vergangenheit im Nachkriegs-Österreich als Posse auf die Bühne. Wie hier der ehemalige Ortsgruppenleiter und jetzige Bürgermeister von Bad Brauning den großen Zeiten nachtrauert und alle Honoratioren dem bedrängten SS-Kameraden von einst behilflich sein wollen, ergibt ein gespenstisches Sittenbild. In seinem nächsten Stück "Der Befehl" (1968) lässt Hochwälder erstmals einen "Befehlsempfänger" des NS-Regimes zu später Reue gelangen. Das Stück sei zu schlecht, um beim Publikum anzukommen, vor allem sei die dargestellte Welt nur mehr "Schimäre", schrieb damals Erik G. Wickenburg, der 1980 Präsident des österreichischen PEN werden sollte.

Bedeutungsverlust#

Man könnte die Ausstrahlung von Hochwälders "Himbeerpflücker" am 9. April 1965 durchaus als Beginn des anstehenden (kultur)-politischen Umbruchs setzen: Hilde Spiel verwies in ihrer Würdigung der Fernsehinszenierung auf die Beerdigung Ernst Kirchwegers am Tag zuvor, der bei einer Demonstration gegen die antisemitischen Vorlesungen von Taras Borodajkewycz erschossen worden war. 1965 beginnt die lange Ära der kulturpolitischen Restauration in Österreich aufzubrechen. Für die Literatur hieß das: Weg von Weinheber und Wildgans, hin zu Autoren der Nachkriegszeit und des Exils.

Doch für Hochwälder brachte dieser Aufbruch den Beginn seines Bedeutungsverlusts; er wurde als Repräsentant der verknöcherten Zeit wahrgenommen. Tatsächlich wurde er im Nachkriegs-Österreich vielfach ausgezeichnet: 1955 erhielt er den Literaturpreis der Stadt Wien, 1956 den Grillparzerpreis der Wiener Akademie der Wissenschaften, 1963 den Anton-Wildgans-Preis und 1966 den Großen österreichischen Staatspreis für Literatur.

An eine Rückkehr nach Österreich hatte Hochwälder, dessen Eltern nach Polen deportiert und dort ermordet worden waren, trotzdem nie ernsthaft gedacht. Er starb am 20. Oktober 1986 in Zürich, wurde am 3. November 1986 in einem Ehrengrab der Stadt Wien am Zentralfriedhof beigesetzt und seither nicht mehr zum Leben erweckt.

Evelyne Polt-Heinzl

Evelyne Polt-Heinzl, geboren 1960, ist Literaturwissenschafterin und -kritikerin.

Wiener Zeitung, Samstag, 28. Mai 2011