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Natronloks und Teflonpfannen#

Welchen Einfluss die Randbedingungen auf das Wohl und Wehe von Erfindungen haben, zeigt auch der Chemiker, Wissenschaftsjournalist und Romancier Christian Mähr ("Simon fliegt", "Die letzte Insel") in seinem Buch "Vergessene Erfindungen".#


Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Freitag, 13. Juni 2003)

von

Von Hans-Jürgen August


Hydraulischer Widder

Kennen Sie den "Flettner-Rotor" oder die "Natronlok"? Und was mag sich hinter dem "hydraulischen Widder" verbergen? In neun Kapiteln widmet sich Mähr höchst unterschiedlichen und mehr oder weniger vergessenen Erfindungen und räsonniert über die Gründe des Misserfolgs und mögliche Comeback-Szenarien. Anders als Schneider bemüht sich der Vorarlberger Schriftsteller nicht so sehr um eine objektive Position: In seine Berichte fließen persönliche Überzeugungen und Erlebnisse ein, wenn er etwa schildert, wie auf der Lustenauer Alpe Priedler ein hydraulischer Widder Tag für Tag Wasser für eine Käserei in die Höhe pumpt. Die Erfindung des Ballonfahrers Joseph Montgolfier bezieht die benötigte Energie aus dem Gefälle des Wassers etwa eines Gebirgsbachs.

Christian Mähr ergreift Partei für "seine" Fundstücke aus dem Fundus des Vergessenen und Gescheiterten, den Flettner-Rotor etwa, den die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vor einem Jahr gar ins Reich der Phantasie verbannen wollte. Dabei erregten die von Anton Flettner gebauten Schiffe in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts weltweites Aufsehen. An Stelle von Mastbäumen und Segeln ragten riesige, sich drehende Zylinder in den Himmel und nutzten die Winde, um den Atlantik zu queren. Die Wirkung dieser Rotoren beruht auf dem hydrodynamischen Paradoxon, das auch Flugzeuge durch den Unterdruck an der Oberseite der Flügel abheben lässt. Doch trotz ihres ungewohnten Anblicks waren Flettners Schiffe im Grunde nichts anderes als Weiterentwicklungen von Segel-, soll heißen: windbetriebenen Schiffen - und wie diese mit der Verbreitung von Motoren und dem Verfall des Öl-Preises dem Untergang geweiht.

Im Dunkeln liegt hingegen der Grund für das Scheitern der Natronlok. 1883 erfand Moritz Honigmann eine auf Verwendung von Natronlauge basierende Methode, Energie zu speichern. Eine "feuerlose Lok" fuhr kurz darauf ein dreiviertel Jahr lang in Aachen - bevor die Erfindung im Tunnel der Technikgeschichte verschwand. Trotz der technischen Schwierigkeiten - die ätzende Lauge nagte an den Metallbehältern - sieht Mähr innovationsfeindliche Verhinderer als "einzige Erklärung" dafür. Mährs launische Kommentare stehen im Gegensatz zur Sachlichkeit gut recherchierter Details und den anspruchsvollen, aber verständlichen technischen Erklärungen. Dennoch empfiehlt sich Mährs wie Schneiders Buch, liefern doch beide erhellende Beiträge zu einem Bereich der Kulturgeschichte, der trotz seiner Bedeutung noch immer stiefmütterlich behandelt wird.

Dass Erfindungen jederzeit für eine Story gut sind, zeigten auch Gerüchte um eine, wie der "Spiegel" Anfang 2001 schrieb, "mysteriöse Maschine", die "eine Alternative zu Produkten, die schmutzig, teuer, manchmal gefährlich und oft frustrierend sind", bieten sollte. Die ehrwürdige "Washington Post" orakelte, ob Erfinder Dean Kamen "den Sex neu erfunden" habe, und ein Verlag zahlte eine Viertel Million Dollar für die Story der Erfindung - ohne zu wissen, worum es ging. Apple-Begründer Steve Jobs stufte das Gerät gar als so bedeutsam wie den PC ein. Herausgekommen ist "Segway", ein Roller mit nebeneinander- statt hintereinanderliegenden Rädern, der dank Computertechnik nie umfällt, die Mobilität in Städten revolutionieren soll und für knapp 5.000 Dollar erhältlich ist.

Obwohl das einzelne Genie mehr und mehr den Entwicklungsteams technologischer, chemischer und pharmazeutischer Unternehmen weichen muss, bleibt Kreativität ein Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg. Jedes Unternehmen von Rang fördert den Einfallsreichtum seiner Mitarbeiter und versucht, über Innovationsprozesse zu patentierbaren Ergebnissen zu kommen. Wie groß der Bedarf hierfür ist, hat die Firma BrainStore im Schweizerischen Biel erkannt. Seit 1997 unterstützt sie ihre Kunden mit einem weltweiten Netzwerk freiberuflicher Ideenlieferanten und einem ausgeklügelten Prozess, um aus der Fülle der Eingebungen die wertvollsten herauszudestillieren. Geliefert wird zu Kosten bis zu zwei Millionen Franken. Für den privaten Gebrauch deutlich billiger gibt es BrainStore im Gassenverkauf zu Biel: Hier kostet die Antwort etwa auf die Frage "Was kann ich der Gynäkologin meiner Frau zu Weihnachten schenken?" genau neun Franken neunzig. So viel wie drei Häuser weiter das Small Menu bei McDonald's.

Christian Mähr: Vergessene Erfindungen. DuMont, Köln 2002, 180 Seiten.


Wiener Zeitung,, 13. Juni 2003 (Auszug)