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Neigung zu Widersprüchen#

Gerhard Amanshauser (1928-2006) führte Journal über sein Leiden an der Zeit - mit Scharfblick und Ironie. Am 2. Jänner jährte sich sein Geburtstag zum 85. Mal.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 5./6. Jänner 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

David Axmann


Gerhard Amanshauser
G. Amanshauser.
Foto: © apa/Residenz

Der Schriftsteller Gerhard Amanshauser (G.A.) hat fast 35 Jahre lang Tagebuch geführt; sein Sohn Martin, geboren 1968, ebenfalls Schriftsteller, legt nun eine Auswahl daraus vor. Warum? Erstens, weil er damit seines Vaters Willen erfüllt; zweitens, weil G.A. in seinen chronologischen Notizen "von der Fremdheit und Isolation, die ihn durchdrang", erzählt und Zeugnis ablegt "von seiner Art des Denkens, die ihn vermeintlich oder tatsächlich von allen anderen unterschied".

Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen abzulesen ist, war G.A. ein an seinem Leben laborierender, an seiner Zeit leidender Mann. Er war zudem, wie Ulrich von Hutten, ein Mensch mit seinem Widerspruch. Und da G.A. die Welt mit scharfem Blick, mit klarem Verstand betrachtete und die Einsichten, die Erkenntnisse mit ironischer Ehrlichkeit notierte, vermied er es, sich über seine widersprüchliche Existenz hinwegzutäuschen.

Nach dem Studium von Mathematik, Elektrotechnik, Germanistik und Anglistik begann G.A. erst mit 40 Jahren zu publizieren (sein literarisches Gesamtwerk umfasst über zwei Dutzend Bände), vermutlich von Anfang an eher widerwillig, jedenfalls musste er sich bald eingestehen: "Ich bin einer, der vortäuschte, ein Schriftsteller zu sein. In Wirklichkeit ist mir dieser Beruf ganz fremd und erscheint mir auch lächerlich: einer, der es gewissen Firmen überlässt, seine zweifelhaften Waren anzubringen."

G.A. verachtete den Literaturbetrieb, nahm jedoch jahrzehntelang an ihm teil, weil er auf Preisgelder und Auftrittshonorare nicht verzichten konnte. Das Treiben seiner Kollegen wie sein eigenes kritisch kommentierend stellte er mit wachsender Resignation fest, dass er nur als ein "Schriftsteller der zweiten Garnitur" gelten könne, dass er, wie viele andere, im Grunde ein Gescheiterter war, ein Versager, "von Versagern umringt, die sich gegenseitig im Versagertum trösten", ein Außenseiter der Gesellschaft, nicht nur der literarischen.

Das Milieu macht den Menschen. "Ich betrachte mich" (notierte G.A. 1968) "zu einem guten Teil als Produkt der Lage unseres Hauses (am Südhang des Salzburger Festungsbergs): erhöht im Wald gelegen, nicht am Land, nicht in der Stadt, also einigermaßen isoliert und doch nicht ganz entlegen." In skeptischer Distanz zum Zentrum der Fortschrittsgläubigkeit entwickelte G.A. sein Weltbild, das umrahmt war von Kulturpessimismus und Zivilisationskritik. Er träumte von der "Schönheit des Planeten ohne den Schädling Mensch", er liebte die Kraft der Natur und die Gartenarbeit, er zog (wie Sohn Martin sagte) "meteorologische und kosmische Phänomene den politischen und ideologischen" vor. G.A. war (wie er 1987 notierte) angeekelt von "Europa: erst die Kirche, dann die Ideologie, und übrig blieb schließlich das Geschäft"; hingegen war er fasziniert von China, dessen geistiges Hoffnungspotential er hartnäckig verklärte.

Das sonderbarste Exempel für G.A.s Neigung zu Lebenswidersprüchen ist sein Verhältnis zu Hermann Hakel (1911-1987), das im Tagebuch intensiv reflektiert wird. Dieser Wiener Autor jüdischer Herkunft war G.A.s Lehrer, Mentor, Förderer und "der intelligenteste Mensch, der mir untergekommen ist", andererseits ein unerträglicher Zeitgenosse: respektlos, eitel, aggressiv, geltungssüchtig, rechthaberisch, halbgebildet, fanatisch. G.A. litt unter Hakels autistisch anmutendem Charakter, hielt jedoch dem "Meister" über dessen Tod hinaus die Treue.

Dem Band ist ein Vorwort von Daniel Kehlmann (erste Garnitur!) vorangestellt, das so beginnt: "Gerhard Amanshauser ist einer der höflichsten Schriftsteller." Dem ist höflichst zu erwidern: Wie bitte? Und eine Reihe von Tagebuchzitaten entgegenzusetzen:

Ingeborg Bachmanns Dichtung: "ein bedauerliches Gemisch von echten und verfälschten Versen"; Rolf Hochhuth: "ein durch und durch deutscher Nichtskönner widerlicher Art"; Forum Stadtpark: "Wenn man die Einbildungen bedenkt, von denen diese Grazer Halb-Genies verfolgt werden!"; "Lesung in der Alten Schmiede: Okopenko, Mayröcker, Kreiner, Nowak. Unangenehme Atmosphäre. Nullität der Literatur." Oswald Oberhuber: "katholischer Ober-Künstler. Diese widerwärtigen Hochstapler... Was er ausstellt, ist Mist, Abfall"; Fritz Muliar: "je prominenter ein Dummkopf, desto eitler"; Hannes Androsch: "verwaschen und blasiert, ein Nobelprostituierter der Geschäftswelt".

Information#

  • Gerhard Amanshauser: Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein. Tagebücher. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg/Wien 2012, 399 Seiten, 26,90 Euro.
  • Buchpräsentation und Lesung mit Martin Amanshauser und Peter Rosei: 8. Jänner 2013, 19.00 Uhr, Alte Schmiede, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien.
  • Film über G.A.: "Reisen im eigenen Zimmer", 9. Jänner, 18.00 Uhr, Votivkino, 1090 Wien.

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 5./6. Jänner 2013