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Schwermut und Verskunst#

Vor 100 Jahren starb in einem Krakauer Militärspital der Sanitätssoldat Georg Trakl an einer Überdosis Kokain. Nur wenige wussten damals, dass das Leben eines sprachmächtigen Lyrikers zu Ende ging.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 1./2. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Hermann Schlösser


Georg Trackl
Der "Medikamenten-Akzessist" Trakl.
© Foto: anonym/imagno/picturedesk.com

Die ukrainische Stadt Horodok trug einstmals den Namen Grodek; zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren die Bewohner dieser galizischen Stadt noch Untertanen der habsburgisch-kaiserlichen Majestät.

Im September 1914 kam es in Grodek zu schweren Kämpfen zwischen österreichischen und russischen Regimentern. Es gab Tote und Verletzte. In einer Scheune war ein Lazarett eingerichtet worden, wo der Sanitäter - ein studierter Pharmazeut im Range eines "Medikamenten-Akzessisten" - die Verwundeten versorgen sollte. Er war allein auf sich gestellt und der verzweifelten Lage nicht gewachsen. Er sah die Blutenden, hörte die Schreienden und wusste nicht, was er tun sollte. Einer der Soldaten ertrug die Schmerzen nicht und schoss sich selbst eine Kugel durch den Kopf. Hilflos schaute ihm der Sanitäter zu.

Von da an ging ihm das Schreckbild der "blutigen Gehirnpartikel an der Wand" nicht mehr aus dem Sinn. Im Zustand höchster Verstörung wollte er sich einige Wochen später das Leben nehmen, wurde aber daran gehindert und nach Krakau ins Garnisonsspital gebracht. Dort überprüften die Ärzte der psychiatrischen Abteilung seinen Geisteszustand und notierten unter anderem: "Zeitweise Lustigkeit, dann furchtbarer Katzenjammer".

Die Mediziner diagnostizierten allerdings keine akute Krise, sondern eine chronische seelische Erkrankung: "Seit Jahren schon leidet er zeitweise an schweren psychischen Depressionen mit Angstzuständen, dann fängt er an stark zu trinken, um sich von dieser Angst zu befreien."

Rüdiger Görners Studie "Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme" befasst sich eingehend mit den Gedichten des Autors, unterliegt dabei aber nicht der alten Germanisten-Illusion, derzufolge ein poetischer Text eindeutig interpretierbar sei. Der Literaturwissenschafter Görner geht von der prinzipiellen Vieldeutigkeit der Traklschen Lyrik aus, sammelt literaturhistorisches und biographisches Wissen, und formt daraus reichhaltiges Assoziationsmate- rial, um der "Suggestivität" dieser Lyrik näher zu kommen. (Zsolnay Verlag, Wien 2014, 351 Seiten, 25, 60 Euro.) Anders geht der Germanist Hans-Georg Kemper vor. Sein Buch "Droge Trakl. Rauschträume und Poesie" behandelt einen einzigen, wenn auch zentralen Aspekt von Trakls Leben und Werk: den Gebrauch diverser Drogen und Suchtgifte. Kemper weist überzeugend nach, dass die Wahrnehmungsformen, die in Trakls Lyrik zum Ausdruck kommen, den Erfahrungen anderer Drogenabhängiger ähneln. Allerdings zeigt Kemper auch, dass Trakl seinen Rauscherfahrungen nicht bewusstlos ausgeliefert war, sondern dass er sie als überlegener sprachlicher Gestalter zur Herstellung einer hochartifiziellen Lyrik zu nutzen verstand. (Otto Müller Verlag Salzburg 2014, 339 Seiten, 35,- Euro.)

Der langjährige Leiter der Salzburger Trakl-Gedenkstätte, Hans Weichselbaum, hat seine grundlegende Biographie "Georg Trakl" aus dem Jahr 1994 in einer überarbeiteten Fassung neu herausgebracht. (Otto Müller Verlag, Salzburg 2014, 224 Seiten, 24,- Euro.)

Bevor diese Untersuchungen ans Ende kamen, entzog sich der Patient allen Unerträglichkeiten seines Lebens. Am 4. November 1914 stellte der medizinische Bericht den "exitus letalis" fest, der am Tag davor eingetreten war. Als Todesursache wurde "Herzlähmung" angegeben. Dass diese Lähmung durch eine Überdosis Kokain hervorgerufen worden war, wurde auf dem Totenschein verschwiegen.

Äußerlich ereignisarm#

Georg Trakl - so hieß der Verstorbene - wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren, war also zum Zeitpunkt seines Todes siebenundzwanzig Jahre alt. Die äußeren Umstände seines kurzen Lebens sind schnell referiert: Aufgewachsen ist er in Salzburg, als viertes von sechs Kindern. Der Vater besaß eine gut gehende Metallwarenhandlung, die Mutter war Hausfrau und sehr mit sich selbst beschäftigt, sodass die Kindererziehung im Wesentlichen einer französischen Gouvernante überlassen blieb.

Georg war ein Schulversager, der im Jahr 1905 das Gymnasium vorzeitig wegen ungenügender Leistungen verlassen musste. Er wandte sich der Pharmazie zu, da man die Berechtigung zu diesem Hochschulstudium damals auch ohne Matura durch ein dreijähriges Praktikum in einer Apotheke erwerben konnte. 1908 verließ Trakl Salzburg zum ersten Mal und ging zum Studium nach Wien, wo er sich jedoch fehl am Platz fühlte.

1910 schloss er seine Ausbildung ab und ging als Magister der Pharmazie nach Salzburg zurück. Er absolvierte den Militärdienst und arbeitete als "Rezeptarius" in der Salzburger Apotheke "Zum weißen Engel". Am 1. Jänner 1913 sollte eine Laufbahn als Beamter im Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien beginnen, aber Trakl suchte bereits am ersten Tag seines beamtlichen Wirkens um Entlassung an, die auch sogleich erfolgte.

Im selben Jahr 1913 unternahm er seine erste und einzige Auslandsreise, die ihn nach Venedig führte, auch verbrachte er einige Zeit mit Freunden in Innsbruck. Ansonsten war er an Salzburg gebunden, bis der Erste Weltkrieg begann, der seinem Leben ein Ende setzte.

Innerlich aufgewühlt#

So überschaubar, ja fast eintönig Trakls Leben von außen betrachtet auch verlief, so haltlos ging es doch in seinem Inneren zu. Georg Trakl muss von Kindheit an ein hypersensibler Mensch gewesen sein, der allen Ängsten und Verzweiflungen, aber auch allen Lüsten und Versuchungen ganz und gar ausgeliefert war - und zwar, ohne darüber viel zu sprechen. Er war krankhaft schüchtern, und doch zu mancherlei Exzessen imstande. Früh schon war er drogen- und alkoholabhängig, trank Wein in enormen Mengen, berauschte sich mit dem Schlafmittel Veronal, mit Chloroform und mit dem Kokain, an dessen Folgen er schließlich sterben sollte.

Es konnte übrigens niemals geklärt werden, ob Trakl seinen Tod bewusst herbeigeführt oder ob er versehentlich zu viel vom gefährlichen Gift konsumiert hat. Denkbar ist beides, aber ein völlig gesichertes Wissen darüber hat die Trakl-Philologie nicht erbringen können.

Ebenso wenig verlässlich ist das Wissen, das die Nachwelt über Trakls Liebesleben zu besitzen meint. Es ist zwar mittlerweile durch Bücher und Filme bekannt, dass Georg Trakl seine vier Jahre jüngere Schwester Margarete eifersüchtig geliebt und leidenschaftlich begehrt hat. Aber wie weit diese unerlaubte Geschwisterliebe ging, ob Trakl gar der Vater jenes Kindes war, das Margarete Trakl im März 1914 bei einer Fehlgeburt verlor - das alles weiß man nicht; was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass die übrigen vier Trakl-Geschwister, die sehr viel bürgerlicher waren als Georg und Margarete, alle aussagekräftigen Dokumente vernichtet haben. Das hindert die Nachwelt aber nicht daran, immer wieder neue Mutmaßungen über diese skandalträchtige Liebe anzustellen. In Trakls Gedichten finden sich Zeilen genug, die jeder Spekulation Nahrung geben, ohne eine davon ausdrücklich zu bestätigen. So heißt es etwa - eindeutig und rätselhaft zugleich - in der 3. Fassung der Ode "Passion": "Hinsterbend unter grünenden Bäumen / Und folgend dem Schatten der Schwester; / Dunkle Liebe / Eines wilden Geschlechts. . ."

Lyrische Rätselbilder#

Und damit ist Georg Trakls Lyrik im Spiel, die das Wichtigste in seinem kurzem Leben gewesen ist. Schon als Halbwüchsiger hat er gedichtet, und es ist nicht zu übersehen, dass all die Lüste, Verfehlungen und Verzweiflungen, über die er im Alltag schwer reden konnte, in seinen Versen zur Sprache kommen. Nicht nur die Liebe zur Schwester wird beschworen, sondern auch das Rauschgift ("Getrost ihr dunklen Gifte / Erzeugend weißen Schlaf") oder die Depression ("O ihr zerbrochenen Augen in schwarzen Mündern").

Dennoch sind Trakls Gedichte keine Bekenntnisse oder gar Geständnisse, sondern Kunstwerke. Er spricht nichts unmittelbar aus; stattdessen liebt er kühne assoziative Übergänge, die der Logik des Traums und des Drogenrauschs entsprungen sind. Was ihm gänzlich fehlt, ist Witz oder gar Ironie, seine Verse sind schwermütig und - damit einhergehend - schwer verständlich.

Allerdings wahrte Trakl im Unterschied zu manchen seiner expressionistischen Altersgenossen die dichterische Form. Er, dem so vieles im Leben entglitt, beherrschte perfekt die gereimte, metrisierte Strophe (lesebuchtauglich etwa in "Verklärter Herbst": "Gewaltig endet so das Jahr / Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten. / Rund schweigen Wälder wunderbar / Und sind des Einsamen Gefährten."). Ebenso sicher meistert er die reimlose, frei schwingende Ode, deren Bauprinzipien er vor allem von Friedrich Hölderlin übernommen hat.

Noch in seinen Krakauer Tagen, in denen er von schwersten Krisen heimgesucht war, war der Dichter imstande, ein makelloses Kunstwerk hervorzubringen. Es trägt den Titel "Grodek" - wie die Stadt, in der Trakl die grauenhafteste Erfahrung seines Lebens machen musste. Eben darüber spricht das Gedicht, aber nicht stammelnd, sondern in gebändigter Ruhe. "Grodek" beginnt mit den Worten: "Am Abend tönen die herbstlichen Wälder/ Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen / Und blauen Seen, darüber die Sonne / Düstrer hinrollt . . ."

Hätte dieser Apotheker mit den abgründigen Neigungen nicht solche Gedichte geschrieben, wäre er so vergessen wie die meisten Verstorbenen. Aber sein äußerlich schmales, innerlich reiches Werk sichert ihm auch 100 Jahre nach seinem Tod noch die Anteilnahme der Nachwelt.

Hermann Schlösser ist Germanist und Redakteur des "extra" der "Wiener Zeitung".

Information#

Neuerscheinungen im Trakl-Jahr

Gunnar Decker, der auch schon Lebenswege anderer Autoren der Moderne beschrieben hat, befasst sich nun mit Trakl. Sein Essay "Georg Trakl. ›Der Wahrheit nachsinnen – Viel Schmerz!‹" gehört der schön gestalteten Reihe "Leben in Bildern" an und gibt eine reich illustrierte, gut durchdachte und wohlformulierte Einführung in Leben und Werk des Dichters. (Deutscher Kunstverlag Berlin /München 2014, 96 Seiten, 19, 90 Euro.)

Wiener Zeitung, Sa./So., 1./2. November 2014