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So vielseitig wie begabt#

Friedrich Torberg, vor hundert Jahren in Wien geboren, war ein konservativer Autor und streitbarer Publizist#


Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt (Samstag, 16. September 2008)

von

David Axmann


Friedrich Torberg
Friedrich Torberg
© Wiener Zeitung

Friedrich Torberg, geboren am 16. September 1908 in Wien, vor den Nazis fliehend in die amerikanische Emigration gelangt, 1951 in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, wo er 1979 starb, Friedrich Torberg war ein aus Österreich stammender jüdischer Schriftsteller; und zwar ein vielseitig begabter. Unter den vielseitigen Schriftstellern seiner Zeit war er vielleicht einer der begabtesten, sicherlich aber unter allen begabten der vielseitigste. Torberg schrieb Gedichte, Novellen, Romane, Parodien, Pamphlete, Polemiken, Theater- und Literaturkritiken, Feuilletons und Essays, Reise- und Sportberichte, Cabarettexte, Sprachglossen und politische Kommentare, Filmdrehbücher, Anekdotensammlungen; zudem leitete er zwölf Jahre lang die kulturpolitische Zeitschrift „FORVM“, bearbeitete und edierte das Werk von Herzmanovsky-Orlando, übersetzte die Satiren Ephraim Kishons ins Deutsche, gestaltete Rundfunk- und Fernsehsendungen, hielt Reden und Vorträge. All das umfasst aber erst die Hälfte seines literarischen Œuvres. Die andere besteht aus seiner umfangreichen Korrespondenz, „für die er“ (wie er sagte) „einen unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit und Sorgfalt bereithielt“. Als Briefschreiber nahm Torberg (wie er mit hintergründiger Offenheit einbekannte) „trotz aller Eitelkeit, die ihm zu eigen war und die er durch eine kokette Selbstironie zu tarnen suchte, niemals auf die Nachwelt Bedacht, immer nur auf den Partner“ . Torberg war weder ein Einzelgänger noch ein Elfenbeinturmbewohner, sondern kontaktfreudig, geradezu kommunikationssüchtig. Er suchte das Gespräch, die Debatte, den Diskurs. Er befand sich gern in Gemeinschaft, pflegte seine Freundschaften (seine Feindschaften übrigens auch), stand den erotischen Sensationen, die das weibliche Geschlecht ihm bot, aufgeschlossen gegenüber, und kostete die daraus entspringenden Erfüllungen oder Enttäuschungen weidlich aus. Apropos auskosten. Torberg aß für sein Leben gern, je besser, desto lieber. Auf seinem Grabstein wünschte er sich die Inschrift eingraviert: „Essen war seine Lieblingsspeise“. Die Politik hatte es Torberg ebenfalls angetan. Er nahm sie ernst. Und nahm Partei. Er hielt nichts von einer politikentrückten, nur in höheren Sphären schwebenden Lebenshaltung. Wer sich nicht um die Politik kümmert, sagte er, müsse ernsthaft damit rechnen, dass sie sich eines Tages um ihn kümmert. Diesen Grundsatz hielt Torberg jedem vor, dem alles Politische gleichgültig oder der (wie’s heute heißt) politikverdrossen war. Torbergs politische Gesinnung war eher links angesiedelt, genauer gesagt, im sozialistischen oder sozialdemokratischen Segment des linken Spektrums. Mit den Kommunisten wollte er nichts zu tun haben. Dennoch machten sie ihm genug zu schaffen. Und er ihnen. Die Kommunisten waren für ihn, gleich den Nationalsozialisten, Todfeinde der Demokratie. Und als solche behandelte er sie. „Ich halte nichts davon“, schrieb er einmal seinem Freund Robert Neumann, „die Nazi so zu bekämpfen, dass sich die Kommunisten darüber freuen (und vice versa). Man muss sich’s immer gleichzeitig mit beiden Spielarten der totalitären Pest verderben, sonst taugt die ganze Kämpfer-Attitüde nichts.“

Kämpfer-Attitüde#

Von dieser Kämpfer-Attitüde war Torbergs publizistisches Wirken geprägt. Das trug ihm unverbrüchliche, bis heute währende Gegnerschaften ein. Als Kalter Krieger und Kommunistenfresser abgestempelt, gilt er nicht wenigen Intellektuellen immer noch in erster Linie als reaktionärer Organisator des sogenannten Brecht-Boykotts. Tatsächlich ging es dem Demokraten Torberg in dieser Sache nicht einfach darum, Brecht-Aufführungen zu verhindern, sondern einer kommunistischen Propaganda entgegenzuwirken, die sich zu ihren Zwecken des wirksamen Brecht-Mittels bediente. Solche Agitation tolerierte der streitbare Schriftsteller ebensowenig wie Gleichgültigkeit ihr gegenüber; er verurteilte überhaupt Laxheit, Naivität oder Dummheit in politischen Existenzfragen, und empörte sich deshalb ingrimmig über jene Angehörigen des assimilierten jüdischen Bürgertums, die sich lange Zeit in der fatalen Sicherheit ihrer gesellschaftlichen Reputation wiegten und erst durch Hitler darauf gestoßen wurden, dass sie Juden waren. Torberg missbilligte es, wenn Juden sich nicht zu ihrer Herkunft bekannten. Man hat, forderte er, zu dem zu stehen, was man ist. Man könne, behauptete er, aus dem Judentum nicht austreten. „Ich hatte“, sagte Torberg, „niemals das geringste jüdische Minderwertigkeitsgefühl. Ich war völlig damit einverstanden, dass ich Jude bin.“ Seine frühesten, schon in der Mittelschulzeit erschienenen Publikationen beschäftigten sich mit jüdischen Themen; damals lernte er Süßkind von Trimberg kennen und fasste den Entschluss, über diesen jüdischen Liedermacher, den ersten Juden, der nachweislich auf deutsch gedichtet hat, einen Roman zu schreiben (bis zu dessen Vollendung allerdings noch fünfundvierzig Jahre vergehen sollten). Im jüdischen Themenfeld angesiedelt sind auch die Romane „Hier bin ich, mein Vater“ und „Auch das war Wien“, die Novellen „Mein ist die Rache“ und „Golems Wiederkehr“, Essays, Vorträge und Kritiken, Gedichte und sehr viele Briefe, und auch die Anekdotenbände der „Tante Jolesch“ und ihrer „Erben“, die dem Autor am Ende seines Lebens zu unverhoffter Popularität verhalfen. Kaum weniger wichtig als Torbergs jüdische Wesenskomponente war seine österreichische. Wien war ihm die schönste und liebste Stadt auf Erden, so wie er das Salzkammergut, insbesondere die Gegend um den Alt-Ausseersee, als die schönste und liebreichste aller Landschaften empfand. In zahlreichen Feuilletons und Aufsätzen entwarf er prägnante Ansichten von der farbenfrohen, bisweilen kunterbunten Wirklichkeit Österreichs und bot erhellende Einsichten in die bisweilen zwiespältige Gegenwart dieses kleinen Landes, welche ohne den Nachglanz ihrer größeren Vergangenheit nicht auskommt. „Ich bin“, sagte Torberg, „Jude und Österreicher. Ich sehe mich durchaus in der Fortsetzung (. . .) jener österreichisch-jüdischen Kultursymbiose, die auf der Welt kaum ihresgleichen hat.“ Diese Symbiose erschien Torberg später, als sie längst untergegangen war, nahezu als Goldenes Zeitalter – verglichen mit dem, was nachkam.

Immer zuviel auf einmal#

Geht aus dem Gesagten nicht klar hervor, dass Torberg ein konservativer Mensch war? Ja, das war er, vorausgesetzt, man versteht den Begriff „konservativ“ nicht pejorativ wie jene Fortschrittsapostel, welche alles Neue allein deshalb für edel, hilfreich und gut halten, weil es eben neu ist; alles Alte aus dem entgegengesetzten Grund aber für eklig, verderblich, schlecht. Torberg war dagegen, dass in blindem Weltverbesserungseifer das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Auf einer solcherart grundgelegten Lebensanschauung entfaltete sich Torbergs Sprachstil, seine unverwechselbare „Handschrift“. Sie besticht durch epische Leichtläufigkeit, deren harmonische Eleganz sich wohldurchdachtem Satzgefüge wie -gefälle verdankt, und deren prägnante Lebendigkeit häufig aus Bildern oder Gleichnissen erwächst. Torbergs außerordentlich gut entwickelter Assoziationsfreude entsprang die schöne Fertigkeit, die Wirklichkeit beim Wort zu nehmen, den Phrasen auf den Grund zu gehen, den Sinn des Daseins in der Welt der Sprache zu suchen. Von sprachmeisterlichen Vorbildern wie Alfred Polgar und Karl Kraus angeregt und beeinflusst, legte Torberg die Grundzüge seiner Prosa fest, in denen er die Weiten und Breiten, Höhen und Tiefen der Sprachlandschaft durchquerte. Er verfügte über erstklassiges polemisches Rüstzeug und zog, wenn er’s benötigte, volltönende pathetische Register. Er konnte, je nach Anlass, sentimental gestimmt sein oder satirisch, heiter oder düster. Gern zeigte er sich verspielt doch nie manieriert, meist witzig doch nie derb, oft ironisch doch nie plump. Ob Torbergs stilistische Treffsicherheit Ursache oder Folge seines Talents war, sich auf vielerlei literarischen Gebieten heimisch zu fühlen, oder ob Treffsicherheit und Talent von Anfang an parallel liefen, ist schwer zu entscheiden. Sicher aber ist, dass die beiden bereitwillig seiner nie bezwungenen (weil nie wirklich bezwungen sein wollender) Neigung entgegenkamen, dies und das und jenes auch noch zu tun. Kurzum, Torberg machte, wie er in seinem „Nachruf zu Lebzeiten“ resümierte, „immer zuviel auf einmal, und da ihm nichts davon überzeugend misslang, hörte er bis an sein Lebensende nicht auf damit“. Was also ist von Friedrich Torberg zu halten? Nun, er selbst hielt sich für einen „recht begabten Autor“, der „sich der Grenzen seines Talents bewusst war“, doch leider nicht einmal imstande, diese Grenzen auszufüllen. In die Kategorie der Unvergesslichen wollte er sich nicht einreihen, gestand sich also keinen Ehrenplatz im Club der toten Dichter zu. Darin ist ihm zumindest teilweise zu widersprechen. Mag sein Gesamtwerk auch nicht in die Erste Klasse der Literatur, wo die ganz Großen zu Hause sind, gehören, in der Zweiten Klasse sitzt Torberg gewiss ganz vorn, und in einigen Fächern, etwa in Polemik, Parodie, Theaterkritik und Korrespondenz, zählt er zweifellos zu den Vorzüglichsten. Als vielsagender Schlusspunkt einer grandiosen Kulturepoche steht er ziemlich allein in der Literaturgeschichte.

Wiener Zeitung, Samstag, 16. September 2008