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Sprachpolitik in der Donaumonarchie#

Von

Wolfgang Rohrbach

1. Einleitung#

Weltweit gibt es rund 7000 verschiedene Sprachen. Manche werden nur von einigen Tausend Menschen gesprochen wie etwa das Ladinische in Österreichs Nachbarschaft. Andere zählen mehrere hundert Millionen SprecherInnen wie z.B. Mandarin- die Hauptvariante des Chinesischen. Dritte wiederum - wie das Serbische - werden migrationsbedingt im Ausland von mehr Menschen gesprochen als in Serbien selbst.

Sprachen erschließen uns immer auch die Kultur jener Länder und Gesellschaften, in denen sie verwendet werden. Sie sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. (Rainer Münz, "Drei Punkte für sprachliche Integration"; in: Integration im Fokus /Medium des Österr. Integrationsfonds Nr 3/09, S 24).

Gerade Österreich mit seinen multinationalen gastronomischen, künstlerischen, sportlichen und politischen Einrichtungen bietet ein gutes Beispiel für den direkten Zusammenhang zwischen erfolgreicher Integration in diesem Land auch im Sinne einer guten Ergänzung der Muttersprache durch gediegene Deutschkenntnisse. Institutionen wie Wirtschaftskammer und Stadt Wien machten 2009 mit ihrer Kampagne "Wiens Wirtschaft spricht alle Sprachen" auf Österreich als Einwanderungsland aufmerksam. Ohne Zuwanderung würde die Wirtschaft in Österreich still stehen.

Aktuelle Prognosen zeigen, dass allein in Wien bis zum Jahr 2035 die Bevölkerung die 2-Millionen Grenze überschreiten wird. Eine Studie der "Statistik Austria" macht dafür vor allem den massiven Zuzug von Migranten verantwortlich. Der Anteil an "ausländischen" Einwohnern wird voraussichtlich im gesamten Stadtgebiet Wiens von heute 19% (309.000) auf künftig 28% (560.000) ansteigen. (Katrin Zita, "Vielsprachige Versicherungsbranche", in: Versicherungsrundschau/ Zeitschrift für das Versicherungswesen Nr 11/09, Wien Nov. 2009, S. 8)

Die Gründe für die Entwicklung liegen einerseits (nach Wegfall der Visapflicht) in der Migration aus den klassischen Herkunftsländern Ex-Jugoslawiens, andererseits aus der Türkei und drittens im Zuzug von Bürgern aus den neuen EU-Ländern.

Österreich könnte seinem Ruf als traditionsbewusstes Land nicht gerecht werden, würde hierorts nicht auch der Blick in die Vergangenheit neue Perspektiven für die Zukunft eröffnen.

Die Fernkaufleute der Monarchie und Stadtväter der Donaumetropole Wien wussten nur zu gut, dass Kunden aus unterschiedlichen Kulturkreisen auch unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Was sich aus den sprachpolitischen Herausforderungen des Vielvölker- und damit Vielsprachenstaates der Donaumonarchie lernen lässt, wurde erst in den letzten Jahren in voller Breite wissenschaftlich ausgewertet und soll nun mit zum Ausbau einer modernen Integrationspolitik eingesetzt werden.

Über einen wesentlichen Zusammenhang zwischen Erst- und Zweitsprache von Migranten bzw. Eingebürgerten wussten unsere Vorfahren besser Bescheid als viele heutige Zeitgenossen:

Eine kontinuierliche Entwicklung der Erstsprache lässt positive sprachliche und kognitive Effekte erwarten. Wird die Erstsprache hingegen nicht mehr weiter entwickelt, so wirkt sich das negativ auf den Zweitspracherwerb aus. Die Betroffenen werden dann oft halbsprachig und beherrschen weder die Erstsprache noch die Zweitsprache. (Vgl. dazu Sabine Schmölzer-Eibinger, "Heißes Eisen Sprache: Das sagen die Wissenschafter"; in: Integration im Fokus Nr. 3/09, S 18).

2. Sprachquelle, Redefluss und Sprachpolitik#

Unter dem Titel "Sprachquelle und Redefluss" brachte die Wiener Zeitung am 7. November 2009 die von David Axmann verfassten "Anmerkungen zum in Wiener Neustadt geborenen und in Israel aufgewachsenen Aphoristiker Elazar Benyötz". Dieser wurde 1937 als Paul Koppel in Wiener Neustadt geboren, musste 1939 nach Jerusalem emigrieren (wo er als Kind keinen Deutschunterricht erhielt) und kehrte erst 1962 nach Österreich und nach Deutschland zurück, um als "deutscher Dichter von internationaler Einsichtigkeit" Karriere zu machen. E. Benyötz fand in der Deutschen Sprache gewisse Zusammenhänge, aber auch Gegensätze ("Staub und Asche, aber auch Sprachquelle und Redefluss"), die sein Schaffen mehr inspirierten als andere Sprachen. In einer eigenwilligen Begründung nimmt der Aphoristiker - wie folgt - dazu Stellung:

"In der Sprache kommt es nicht nur auf jedes Wort an, sondern auch darauf, dass der Sprecher weiß wovon es (das Wort) ausgeht und wo es ankommt. Wer an die Sprache glaubt, dem beschert sie vielleicht Wunder. Wer das Wort sucht, findet möglicherweise den Sinn, den Wort-Sinn, dem zum Beispiel die Einsicht aufgeht: Die Sprache ist tiefer als ihr Sinn." In jeder Sprache finden sich derartige Zusammenhänge, wenn auch nicht mit gleichem Tiefgang.

Dies ist auch der geistigen Elite der Serbischen Kirchengemeinde Wiens bewusst, die im Jahre 2010 ihr 150 jähriges Bestandsjubiläum feiert. Diese Institution durchlebte eine solche Fülle von nationalen, geografischen, sprachlichen und auch innerkirchlichen Auf- und Abspaltungen bzw. Veränderungen, wie kaum andere ähnlich strukturierte Einrichtungen. Die Sprache selbst ist "Zeuge". Eineinhalb Jahrhunderte wurde an der Wiener Universität "Serbokroatisch" gelehrt als gemeinsame Sprache eines Großteils der Südslawen. Die heute zu 3 - 4 eigenen Sprachen hochstilisierten Unterschiede wurden bis in die 1970er Jahre von slawischen Universitätsprofessoren Wiens (wie z.B. dem Kroaten Josip Hamm) mit den Worten umrissen: Nach den regional unterschiedlichen Übersetzungen für das Wort "was" wird im Serbokroatischen zwischen "sto-kavischer' , "ca-kavischer" und "kaj-kavischer" Mundart unterschieden; und hinsichtlich der Aussprache zwischen "e-kavischer" , "je-kavischer' und "i-kavischer" Mundart. Das Serbokroatische bedient sich ebenso der lateinischen wie der cyrillischen Schrift. Wie im Deutschen (vgl. etwa die Worte Quark/Topfen, Aprikose/Marille ) gibt es auch im Serbokroatischen - je nach Region - etliche völlig unterschiedliche Bezeichnungen für den gleichen Begriff.

Diese Auslegungsform von Slawischer Philologie der Wiener Schule war Ausfluss des "Austroslawismus" (einer mehr intellektuell als politisch ausgerichteten Form des Panslawismus) und stellte verbindende europäische Werte im Slawentum vor alles Trennende. Heute ist in den Balkan-Regionen das Gegenteil vorherrschend. Aus einer Sprache wurden 3-4. Jeder mitteleuropäische Geschäftspartner der Nachfolgestaaten Jugoslawiens erlebt diese Vielfalt als bürokratische Schikanen, wenn er wegen einiger weniger unterschiedlicher Worte in einem Vertrag drei beglaubigte Übersetzungen bestellen, abwarten, zahlen und bei Ämtern vorlegen muss. Durch künstliche Sprachkonstruktionen werden Unterschiede vergrößert. Und das im Globalisierungszeitalter, das auf Schritt und Tritt zeigt, dass Nationalstaaten im wirtschaftspolitischen Leben ausgedient haben. Nur ist vielen Lokalpolitikern Südosteuropas ihr Bild plus Eigenlob auf der Titelseite ihres Lokalblattes wichtiger, als ein konstruktiver Beitrag inmitten eines Teams für ein vereintes Europa.

Und das vor dem Hintergrund einer großen in weiten Teilen gemeinsamen Kulturgeschichte. Auch die orthodoxen und katholischen Christen Südosteuropas sind weit von einer Vereinigung entfernt, so als würde es sich um zwei unterschiedliche Götter handeln, die es anzubeten gilt.

Wien war im 18./19 Jahrhundert ein serbisches Kulturzentrum, in dem die Pflege der Sprache eine große Rolle spielte. Die erste Serbische Zeitung - nach dem Vorbild der Wiener Zeitung gegliedert- erschien zu Beginn des 19. Jhs. kurz nach dem Wiener Kongress. In der Donaumetropole erlebte die Slawische Philologie in der 2. Hälfte des 19.Jhs eine Blütezeit. Die wechselvolle Geschichte der Balkanvölker führte jedoch im "blutigen" 20. Jh zur Verprovinzialisierung der Sprachwissenschaft und/oder zu einem national gefärbten sprachlichen Partikularismus, der heute weder imstande ist, Globalisierung zu produzieren noch zu importieren.

Auch viele Österreicher waren nach dem Zerfall des "Dritten Reiches", das so viel Elend hervorgerufen hatte, froh über die Gründung der Zweiten Republik Österreich. Aber niemandem wäre eingefallen, eine eigene österreichische Sprache zu kreieren. Es galt vielmehr die Kräfte zu vereinen für den Aufbau eines neuen Europas.

Das vereinte Europa ist gerade dabei, sich eine eigene Mythologie und einen Gründungsmythos zu konstruieren. Das belegen u. a. die umfangreichen übernationalen Gedenkfeiern. Die wahre Vereinigung wird jedoch dann eintreten, wenn wir aufhören zwischen der Geschichte des Westens und des Ostens zu unterscheiden und anfangen, von einer einheitlichen europäischen Geschichte - auch in Kirche und Politik- zu sprechen. Der polnische Autor Andrzej Stasiuk stellt dazu fest ("Der Balkan raubt uns den Schlaf" / Interview mit A. Stasiuk geführt von Ronald Pohl; in: Der Standard v. 30.11.2009, S 15): "Der Balkan raubt uns den Schlaf und stellt auf seine Weise die europäischen Werte in Frage, die doch ein für allemal festzustehen schienen. Wegen längst vergangener Vorfälle, wegen nationaler oder auch nur Stammesfehden fackelt man dort das eigene Land, die eigene Heimat ab." Die Donaumonarchie reichte einst weit in die Balkanhalbinsel bzw. Serbien hinein. Die nationalen Geschichtsschreiber des 20. Jhs. nannten das Habsburgerreich einen "Völkerkerker". Dem hält jedoch A. Stasiuk entgegen: "Aber anderseits, wenn man sich anschaut, was mit der gewonnenen Freiheit angestellt, wozu die errungene Freiheit benutzt wurde... Keine hundert Jahre sind vergangen und wir sind schon auf der Suche nach einer Art Ersatz des Kaiserreichs."

Wir sind einstweilen geneigt, im Namen von Frieden und wirtschaftlicher Stabilität auf einen Teil von Freiheit zu verzichten.

Staaten wie die Donaumonarchie, auf deren Territorium mehrere Nationen leb(t)en und somit mehrere Sprachen gesprochen wurden, hatten sich oft spezifischen gesellschaftspolitischen Herausforderungen zu stellen. Sie entwickelten deshalb eine eigene Sprachpolitik. In den nächsten Jahren wird Österreich als klassisches Einwanderungsland, in dem es bereits Angehörige von rund 50 Nationen gibt, eine spezifische Sprachpolitik benötigen.

Als Sprachpolitik werden alle Maßnahmen und Regeln bezeichnet, mit denen der Gebrauch bestimmter Sprachen (Sprachstatusplanung) oder ein bestimmter Gebrauch (auch das Verbot) von Sprachen durch Sprachregelung vorgeschrieben wird. (Wikipedia, die Freie Enzyklopädie)

In der Donaumonarchie wurde die Sprachpolitik schon im 18. Jahrhundert auf Maßnahmen und Regeln ausgedehnt, "die auf den Status und die gesellschaftlichen Funktionen mehrerer Sprachen insbesondere in mehrsprachigen Regionen Einfluss nehmen." (Vgl. dazu Juliane Besters-Dilger, Die Sprachenpolitik der Donaumonarchie als Vorbild?, www.slavistik.uni-freiburg.de)

3. Nation und Sprache#

Im Jahre 1812 stellte der Literaturwissenschaftler Friedrich Schlegel in einer Vorlesung an der Wiener Universität fest:

"Eine Nation, deren Sprache verwildert oder in einem rohen Zustand erhalten wird, muss selbst barbarisch und roh werden. Eine Nation, die sich ihre Sprache rauben lässt, verliert die Hälfte ihrer geistigen inneren Selbständigkeit und hört eigentlich auf zu existieren." (Zitiert bei: Dejan Medakovic, Serben in Wien, Novi Sad 2000).

Schlegel formulierte diese Sätze in jener Epoche als Napoleon, das "Kind" der Französischen Revolution ein "geeintes Europa unter negativem Vorzeichen" geschaffen hatte, indem er das hohe Menschheitsideal der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in eine Waffe der Zerstörung und Zwangsordnung napoleonischer Universalherrschaft verwandelte (Hugo Hantsch, Die Geschichte Österreichs, 2.Bd 1648-1918, Verlag Styria Graz Wien Köln 1994, S 3 ). Den besiegten Nationen und Staaten wurde neben ihrer politischen Selbständigkeit auch ihre kulturelle genommen.

F. Schlegels Feststellung ist ein über die Grenzen der Jahrhunderte gültiger Appell, das multi-ethnische Europa nicht verwildern zu lassen. Der Gelehrte weist auf die Wichtigkeit einer ausgewogenen, dh. die Interessen möglichst aller Nationen berücksichtigenden Sprachpolitik in Vielvölkerstaaten oder Staatenbünden hin, die eine tragende Säule des inneren Friedens ist.

3.1 Österreichisches Erfolgsmodell#

Dass die Aufteilung des Napoleonischen Reichs durch die vier Großmächte Russland, Preußen, England und Õsterreich auf dem Wiener Kongress 1814/15 erfolgte, war kein Zufall.

Das "Haus Österreich" - rein territorial (vom 16.-19.Jh) der größte Staat Europas - hatte aus seiner Geschichte ab dem 16. Jahrhundert und insbesondere aus dem Dreißigährigen Krieg (Westfälischer Friede 1648)gelernt, dass die tiefe Verschiedenheit der kulturellen(religiösen), wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen in größeren Länderkomplexen eine auf multi-ethnische Verhältnisse abgestimmte Toleranz der Herrscher erfordert und keine langfristig erfolgreiche nationale Politik zulässt. Teilweise wurde dies von anderen Staaten Europas akzeptiert (die aber leider nur marginal danach handelten). In der Ungarischen Reichshälfte der Donaumonarchie gab es nach dem Ausgleich von 1867 eine verblendete, die innere Stabilität gefährdende Zwangsmagyarisierungspolitik gegenüber Millionen Slawen und Rumänen, die das Land bewohnten. Die beharrliche Ignorierung völkerverbindender Aktivitäten durch chauvinistische Politiker des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jhs., führte schließlich zum Ersten Weltkrieg, der das Ende der Donaumonarchie und anderer Kaiserreiche brachte. Vom Nationalitätenhass geprägte Friedensdiktate legten schon am Tag ihrer Verkündung die Basis zum Zweiten Weltkrieg.

Das blutige 20. Jahrhundert endete schließlich mit dem Zerfall Jugoslawiens, der auch das Ende des Panslawismus bedeutete. In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens steht sprachpolitisch das Trennende eindeutig vor dem Verbindenden.

Doch kehren wir an die Wurzeln der Donaumonarchie zurück.

Die ursprüngliche Habsburgische Universalmonarchie teilte sich im Jahre 1556 in eine österreichische und spanische Linie (die 1700 ausstarb). Für das österreichisch-habsburgische Länderkonglomerat wurde im Laufe der Zeit neben anderen z.T. wechselnden Namen (wie Österr. Monarchie, Österr.-Ungarn) die Bezeichnung "Donaumonarchie" gebräuchlich.

Aufgrund ihrer Größe, ihrer Bevölkerungsvielfalt und -quantität, ihrer ethnischen und religiösen Eigenheiten sowie wegen des Geltungsanspruchs der Dynastie war die Donaumonarchie einer der wichtigsten Staaten Europas. Die wirtschaftlichen und familiären Netzwerke, welche das Haus Österreich zu allen bedeutenderen politischen und religiösen Repräsentanten Europas errichtete, erforderten Pflege von Mehrsprachigkeit und religiöser Toleranz. Für andere Großmächte stellte Österreich ein beispielgebendes Erfolgsmodell dar.

Die Monarchie konnte in ihren Hauptlinien nach innen funktionieren, weil die Etablierung von Zentralbehörden und eine gemeinsame Verständigungsmöglichkeit – d.h. Mixmodelle von Staatssprache und jeweiliger Landessprache - rechtzeitig erfolgten. Der österreichische Erfolgsweg bestand darin, auf dem Wege der Verwaltung ohne Anwendung härterer Mittel seit Mitte des 17. Jahrhunderts zwar Zentralbehörden zu organisieren, aber den einzelnen Ländern trotzdem ihre Landesregierungen bzw. Gubernien als Entscheidungsträger zu belassen. Vor den theresianischen Reformen wurde als Staatssprache mit wechselhaftem Erfolg zunächst Latein verwendet. Diese Sprache hatte in weiten Teilen des röm. (kath.) christlichen Europa seit dem Mittelalter universelle Bedeutung. Für Österreich erforderte der Verlauf der Geschichte aber eine "breitere" Lösung.

Im Zuge der Türkenkriege des 16. und 17. Jahrhunderts fielen die Länder der Ungarischen Krone (Schlacht bei Mohacs 1526) und nach der zweiten Türkenbelagerung Wiens weitere Teile (Süd-)Osteuropas an Österreich. Für die auf ihren traditionellen Rechten beharrenden Magyaren stellte Latein als Amtssprache eine bessere Grundlage als (das für sie zu dominante) Deutsch dar.

Aber die Monarchie besaß mit "Ungarn" nunmehr auch große Gruppen von Slawen, die der christlichen Orthodoxie angehörten. Ihre einzige Schriftsprache war bis ins 19. Jahrhundert das Kirchenslawische (Altbulgarische). Mit Latein als Universalsprache konnte dort auch aus religionspolitischen Gründen kein Auslangen mehr gefunden werden.

4. Zusammenhang von Sprach- und Kulturpolitik #

Das Habsburgreich liefert, was den Zusammenhang von Sprach-, Religions-und Kulturpolitik betrifft, lehrreiche historische Beispiele zur Lösung ethnischer (grenzüberschreitender) Probleme. Denn die sprach- bzw. kulturpolitische Selbstdarstellung der Donaumonarchie mit ihren zahlreichen Nationen und Sprachgemeinschaften erfolgte auch als Teil der Außenpolitik. Dadurch wurden gewisse ökonomische Beziehungen zu jenen Partnerländern, aus denen seit dem 17. Jh., Migrantengruppen nach Österreich kamen bzw. entsandt wurden, gefestigt oder ausgebaut.

So gelangten z.B. die ersten Serben - leinkaufleute und Gewerbetreibende - fast gleichzeitig mit jenem türkischen Heer (vor dem sie flüchteten) nach Wien, welches 1683 die Kaiserstadt belagerte. Einige von ihnen leisteten den Wienern wichtige Boten- und Späherdienste gegen das Heer der türkischen Belagerer. (Wolfgang Rohrbach, Auf den Spuren der Serben Wiens, Belgrad Verlag Matica 2005, S 87f).

Andere halfen als Soldaten der "österreichischen" Armee Ende des 17. und Anfang des 18. Jhs. mit, das Osmanische Heer bis nach Nis (in Südserbien) zurückzudrängen. Gewiss hatte auch der Aufruf des 1690 nach Österreich geflüchteten serbisch-orthodoxen Patriarchen, Arsenije III Carnojevic, "zur Vereinigung aller Christen im Kampf gegen die Osmanen" motivierende Auswirkungen, wodurch auch die Verwendung slawischer Ausdrücke und Traditionen in der Monarchie verstärkt wurde. In der "österreichischen" Armee kam es zu ersten panslawistischen Ansätzen, die Oskar Halecki (O. H, Das Europäische Jahrtausend, Salzburg 1963, S 351) als "Austroslawismus" bezeichnet. Kroaten, Slowaken, Slowenen und Serben besannen sich ihrer gemeinsamen slawischen und christlichen Wurzeln, für die sie zu kämpfen bereit waren. Als obersten Herren anerkannten sie den Kaiser in Wien. Der Friede von Passarowitz (Pozarevac) brachte 1718 Österreich Gebietszuwächse und Freiheit des Handels für kaiserliche Fernkaufleute im ganzen türkischen Gebiet. Eingebürgerte polyglotte griechische und serbische Kaufleute boten auf dem Fleischmarkt (und Umgebung) in Wien, wo sich auch die gemeinsame (damals Griechisch-Serbisch orthodoxe )Kirche befand, kostbare Waren aus dem Orient an. Andererseits waren sie auch für die Wiener Kaufmannschaft eine unersetzliche Hilfe hinsichtlich des Exports von Wiener Porzellan, Schmuck, Musikinstrumenten und Möbeln auf der Donau in die Balkanländer. (Vgl. dazu Max Demeter Peyfuss, "Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien", in: Österr. Osthefte 17.Jg., Wien 1975)

5. Privilegierte Nationen und Staatstreue#

Alle diese Faktoren kamen dem Vorhaben des Kaiserlichen Hofes, seine Vormachtstellung auf dem Balkan auszudehnen, entgegen, führten aber im 19. Jh, zu Dissonanzen mit Russland, das die Vorherrschaft über alle Slawen mit dem Zugang zur Adria (politischer Panslawismus) anstrebte.

Die Serben erfüllten bereits seit dem 16./17.Jh. als angesiedelte kaiserliche Wehrbauern an der österreichisch-türkischen Militärgrenze (Krajina), wo es immer wieder zu Unruhen kam, wichtige Dienste.

Unter den Kaisern Leopold I., Joseph I. und Karl VI wurden die Serben vor allem wegen ihrer militärischen Verdienste zu einem Faktor der österreichischen Staatspolitik und erhielten eine Fülle von Privilegien.

Nach der Niederlage der Türken erhielten serbische Familien der Mittel- und Unterschichten die Genehmigung, sich nahe der Stadtmauern im Wiener Vorort "Ratzenstadl" (heute 8. Bezirk) anzusiedeln. Höher gestellte Personen wie in österreichischen Diensten stehende serbische Großkaufleute, Offiziere und später auch Geistliche, Künstler Schriftsteller und Fürsten, wohnten in der Stadt. Im 18./19. Jahrhundert verzeichnete der Handel mit Serbien beachtliche Ausmaße. Immer stärker rückte Deutsch als eine über allen Religionen einsetzbare Hochsprache in den Vordergrund. Sie wurde von Maria Theresia als Amtssprache der Beamten auf den königlichen Domänen (nicht Landesregierungen!) eingeführt und schließlich von Kaiser Joseph II als Staatssprache, " die allen Behörden geläufig sein musste" etabliert. (Hantsch a. a. O S 215).

Parallel dazu wurden im "österreichischen Modell" aber Sprachen anderer Volksgruppen (Nationen) privilegiert.

Kaiserin Maria Theresia erwirkte durch die Erlaubnis, dass Serben schon zwischen 1741 und 1745 in Wien eigene Bücher in zyrillischer Schrift (und Kirchenslawischer Sprache) drucken lassen durften, und dass 1766 den Serben sogar das Privileg zugestanden wurde, eine eigene Druckerei in Wien unterhalten zu dürfen, große Anerkennung und staatsbürgerliche Treue (Aleksa Ivic, "Josef Kurzböck und die Errichtung der Serbischen Buchdruckerei (1768-1778)", in: Archiv für Slawische Philologie XXIX, Berlin 1907).

Der Volkskaiser Joseph II war in dieser Hinsicht noch großzügiger. Aber auch sein Bruder und Nachfolger, Kaiser Leopold II brach nicht mit dieser Tradition und genehmigte 1791 die Herausgabe der ersten Serbischen Zeitung, die nach dem Vorbild der "Wiener Zeitung" aufgebaut war. Sie wurde zunächst noch in Kirchenslawisch (der einzigen südslawischen Schriftsprache) geschrieben. Erst 1817 schrieb als erster Redakteur der Sprachwissenschaftler und Schöpfer der Serbischen Schriftsprache, Vuk Stefanovic Karadzic, in "Serbisch" seine Artikel. Im Vormärz wurden die berühmtesten Werke der modernen serbischen Literatur in Wien gedruckt.

Die Begeisterung der Slawen nutzte der aus Slowenien stammende Wissenschaftler, Jernej Kopitar (gest. 1844), Wien im Vormärz zu einem starken slawistischen Zentrum zu machen. Er legte mit Zustimmung des Kaisers das Fundament für ein panslawistisches Gebäude, indem er auf die nahe sprachliche Verwandtschaft der slawischen Völker hinwies, die unter dem Einfluss der deutschen Romantik, die meisten slawischen Völker zu nationalem Selbstbewusstsein erwachen ließ.

1849 wurde an der Universität Wien ein Lehrstuhl für Slawische Philologie geschaffen, dessen erster Professor ein "Jünger" Kopitars, der Slowene Franz Miklosich, wurde. Für seine Verdienste erhob in Kaiser Franz Joseph ihn in den Ritterstand.

Der nationalbewusste tschechische Wissenschaftler Palacky hatte schon im April 1848 festgestellt: "Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen" (zitiert bei Hantsch a.a.O. S 336).

Fasziniert war Palacky von dem Verfassungsentwurf 1848, der allen Volksstämmen der Monarchie ein unverletzliches Recht auf Wahrung der Pflege ihrer Nationalität sicherte und die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichen Leben garantierte. Diese Grundsätze eines umfassenden Nationalitätenrechtes erschienen nahezu unverändert wieder im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 und blieben die gesetzliche Grundlage der Nationalitätenpolitik der österreichischen Regierung bis zum Untergang der Monarchie.

6. Schluss#

Im jüngsten österreichischen Bundesland Burgenland lebt das sprachpolitische Gedankengut der Donaumonarchie weiter. Wie kaum in einer anderen Region Europas leben drei Nationen Ungarn, Kroaten und Deutschsprachige (einst im Nationalitätenhader verwickelt) heute als treue Österreicher in friedlicher Koexistenz miteinander. Über die Gräben und Gräber der Vergangenheit wird das Gemeinsame gehütet und ökonomisch beispielgebend verwertet. Mit jedem Schritt, mit dem es der EU gelingt, die Achtung des Slawen vor dem Slawen zu steigern, wird auch die Achtung der anderen Völker vor den Slawen steigen.