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Glavinic, Thomas: Das bin doch ich#

In "Das bin doch ich" nimmt Thomas Glavinic sich selbst und den Literaturbetrieb aufs Korn.#


Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 1. September 2008)

von

Von Gerald Schmickl


Diesmal hat es geklappt. Der neue Roman von Thomas Glavinic, "Das bin doch ich", ist auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis gelandet, also unter jenen zwanzig Büchern, aus denen schließlich, im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, der heurige Preisträger gekürt werden wird. Mit seinem im Vorjahr erschienenen Roman, "Die Arbeit der Nacht", war Glavinic dies nicht gelungen. Und das hat ihn geärgert. Davon handelt – unter anderem – "Das bin doch ich". Denn Glavinic rechnete fest damit, zumindest in die Longlist aufgenommen zu werden. Und sein Freund Daniel Kehlmann bestärkte ihn darin, erweckte in ihm sogar Hoffnungen auf den Preis. Aber daraus wurde bekanntlich nichts. (Zur Erinnerung: Katharina Hacker bekam ihn für den Roman "Die Habenichtse".)

Aber das neue Buch von Thomas Glavinic handelt nicht nur vom Buchpreis, sondern in erster Linie – von ihm selbst. Nun ist es zwar immer ein wenig gefährlich, von einem Roman-Ich umweglos auf ein Erzähler-Ich zu schließen, aber in diesem Fall kann man es ruhig wagen – und braucht dazu nicht einmal den Titel als Beleg heranzuziehen (der in seiner scheinbaren Entschiedenheit ja wohl auch gerne das Gegenteil suggerieren möchte, aber das gehört zum literarischen Spiel mit Identitäten, wie es etwa Philip Roth so meisterhaft beherrscht).

Thomas Glavinic nennt sich in "Das bin doch ich" nicht nur selbst beim Namen, sondern auch fast alle anderen Protagonisten – lediglich der Name eines ORF-Redakteurs ist geringfügig, aber höchst kenntlich verändert worden. Da Glavinic nun einmal Schriftsteller ist, kommen in dem Buch naturgemäß auch viele andere Schriftsteller vor, aber auch Journalisten, Verleger, Veranstalter (besonders die vom Wiener Rabenhof-Theater werden genüsslich durch den Kakao gezogen) – und der Wiener Kulturstadtrat, der in dem Buch hauptsächlich "der Kasuar" genannt wird (laut Wikipedia ein "großer flugunfähiger Vogel aus der Gattung der Laufvögel" ).

Es sind allerdings keine grimmigen Attacken, die Glavinic gegen die "Literatur-Betriebler" reitet (wie man das etwa von Werner Kofler kennt), sondern kleine Bosheiten, spöttische Bemerkungen, die zumindest für alle, die in dem Buch nicht vorkommen, die Szene aber kennen, höchst amüsant zu lesen sind – und eine kathartische Funktion haben können, weil sich da einer jene Frechheiten leistet, die man sich selbst gerne verkneift.

Aber nicht nur Insider kommen mit diesem "Roman" auf ihre Rechnung. Denn Glavinic schreibt auch, und eben vor allem, über seine eigenen Befindlichkeiten, seine vielen Ticks und Idiosynkrasien, seine immense Hypochondrie, seine Eifersüchte (vor allem auf die Auflagenzahlen von Kehlmann), seine anfallsartigen Aggressionen (die er, Gott sei Dank, nie auslebt), sein "Anlass-Trinkertum" ( "Habe ich keine Anlässe, trinke ich nicht" , heißt es einmal. Hat er aber welche, dann fließt genug in und durch ihn . . .). All die Probleme, die er mit sich selbst hat, sind wohl in einem Satz am besten ausgedrückt: "Thomas Glavinic ist ein Achtjähriger, und ich muss mit ihm leben."

Er muss aber nicht nur mit diesem "Kind" leben, sondern auch mit seinem kleinen Sohn Stanislaus und seiner Lebensgefährtin Else. Auch davon erzählt Glavinic, ebenso von seiner Herkunftsfamilie – und auch in diesen Ensembles macht er selten eine gute Figur. Nun klingt das alles ziemlich schrecklich, allerdings schildert Glavinic seine Handicaps und Macken mit soviel Selbstironie und Humor, dass sie eine gewisse Lachhaftigkeit und somit Leichtigkeit gewinnen. Wer sich selbst derart gekonnt auf die Schaufel nehmen kann, über den braucht man sich keine ernsthaften Sorgen zu machen.

Mit diesem Aberwitz, den Glavinic sich selbst gegenüber entwickelt, schlägt er auch eine Brücke zu seinen beiden vorangegangenen Werken. Die Ängste, die seinen Helden Jonas in "Die Arbeit der Nacht" befallen (nachdem der eines Tages in einem völlig menschenleeren Wien aufwacht) und zu einer klaustrophobischen Enge und Bedrücktheit führen, werden in "Das bin doch ich" mit jenem ins Groteske zielenden Humor neutralisiert, der schon Glavinics absurd-witzige "Benimm-Fibel" "Wie man leben soll" (2004) ausgezeichnet hat.

Eine Liste führt das neue Buch von Thomas Glavinic übrigens bereits an. So wurde "Das bin doch ich" Spitzenreiter der ORF-Bestenliste im September. Aber das blieb nicht ohne Folgen. Während sich einzelne Juroren, die in dem Buch vorkommen, durchaus darüber amüsieren können und sich auch für das Buch einsetzen, sind andere, die darin nicht vorkommen, über Glavinics Spitzenplatz deutlich weniger amused , alterieren sich über angebliche stilistische Mängel. Einer trat aus Protest gleich überhaupt aus der Jury aus. Ist schon ein verrückter Betrieb. Vielleicht nimmt ihn Thomas Glavinic das nächste Mal noch ein bisschen schärfer aufs Korn.

Wiener Zeitung, Samstag, 1. September 2008