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Virtuose der Empörung#

Am 9. Februar wäre Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. Zu Lebzeiten skandalisiert, ist er heute – ungeachtet des von ihm verfügten Österreich-Banns – präsenter denn je.#


Von der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 10. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Daniela Strigl


„Wogte das gesunde Volksempfinden rechts, so kritisierte man links das Totalitäre an Thomas Bernhards Kritik.“


Thomas Bernhard
Thomas Bernhard
Foto: IMAGNO/Otto Breicha

Ginge es nach Werner Schneyder, dann verliefe Thomas Bernhards 80. Geburtstag sang- und klanglos: In zehn Jahren, so prophezeite der als Literaturexperte nicht ganz so brillante Kabarettist nach dem Tod des Schriftstellers 1989, würde der allenthalben Überschätzte vergessen sein. Heute ist Thomas Bernhard präsenter denn je, eher ein Wiedergänger der Erregungskunst als ein Klassiker, von dem naturgemäß nichts Neues kommt.

Seit Jahren füttert Suhrkamp den Markt mit frischen Bernhardiana, mit echten Perlen wie der großen, von Wendelin Schmidt- Dengler und Martin Huber herausgegebenen Werkausgabe, dem noch vom Autor konzipierten Band „Meine Preise“ oder dem Briefwechsel Bernhards mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Aber auch mit dubiosen Reader’s-Digest-Büchlein „für Einsteiger und Eingeweihte“, mit Titeln wie „Alles ist lächerlich“, „Naturgemäß“ und „Die Ehehölle“, handliche Sammelwerkchen mit Bonmots für alle Lebenslagen, Bernhard als „Aphorismusagent der Jetztzeit“, als „Schmalkant und Kleinschopenhauer“, wie dieser über Elias Canetti schimpfte. Gegen diese häppchenweise Verwurstung zum literarischen Jausenbrot kann der tote Dichter ebenso wenig einschreiten wie gegen die nun schon lange niemanden mehr aufregende Missachtung seiner testamentarischen Verfügung, es dürfe „innerhalb der Grenzen des österreichischen Staates“ nichts von ihm Geschriebenes „aufgeführt, gedruckt oder auch nur vorgetragen werden“. Ob der Erblasser damit mehr bezweckte als eine Ohrfeige für seine Landsleute, ob er die Ineffizienz seines Letzten Willens nicht von Anfang einkalkuliert, ja gewollt hat, bleibt Mutmaßung. In seinem Roman „Korrektur“ (1975) bestimmt der Protagonist Roithamer, dass nach dem Tod seiner Schwester der Kegel, den er für sie in jahrelangem Perfektionsstreben gebaut hat, der Natur zu überlassen sei: „Inwieweit die Erben Roithamers sich an diese Verfügung halten, kann nicht gesagt werden.“

Kaffeehaus. Zu den bevorzugten Aufenthaltsorten Thomas Bernhards gehörten Kaffeehäuser – Eine Zeichnung aus Bernhards Feder aus dem Jahr 1961 war bei der Thomas-Bernhard-Schau im Theatermuseum 2009/10 zu sehen, Foto: APA/Sammlung Annemarie Hammerstein-Siller
Kaffeehaus. Zu den bevorzugten Aufenthaltsorten Thomas Bernhards gehörten Kaffeehäuser – Eine Zeichnung aus Bernhards Feder aus dem Jahr 1961 war bei der Thomas-Bernhard-Schau im Theatermuseum 2009/10 zu sehen
Foto: APA/Sammlung Annemarie Hammerstein-Siller

Antistaatsdichter, Lyriker, Interviewkünstler#

Und was geschieht heute mit dem phallisch aufgepflanzten kolossalen Kegel des Bernhard’schen Werkes, das nicht der Natur, also dem Zahn der Zeit, überlassen, sondern gehegt und gepflegt wird? Bedürfte es dieses Hegens und Pflegens überhaupt? Um welchen Bernhard geht es in den Geburtstagsfeiern? Um den Antistaatsdichter und Empörungsvirtuosen, um den Dramatiker, den Prosaautor, den existentialistischen Lyriker oder den Interviewkünstler?

In dem Maße, in dem der Firnis der öffentlichen Begleitmusik von einstmals wild umstrittenen Werken abgeht, zeigen sich diese als wertbeständig: Sicher ist „Holzfällen“ (1984) ein Schlüsselroman, in dem man nur dürftig verkleidete Figuren des Wiener Kulturlebens in teils ausgesprochen unvorteilhafter Beleuchtung entdecken kann, vom Komponisten Gerhard Lampersberg, der bei Gericht die Beschlagnahme des Buches erwirkte, über die Autorin Jeannie Ebner bis zum Burgschauspieler Walther Reyer. Aber „Holzfällen“ ist auch ein radikal selbstkritisches Nachdenken über die eigene Jugend, den Weg zum Ruhm und den Drang zur Anpassung, eine Hommage an tote Freunde und – wie Alfred Pfabigan gezeigt hat – ein Codewort für homosexuelle Avancen. Und natürlich ist das Drama „Heldenplatz“ (1988) ein Stück über dieses Land und seine Selbstvergessenheit, es ist aber auch ein Stück über die Unfähigkeit zu leben und über den Tod, die Arroganz der machtsatten Sozialdemokratie, den Raubbau an der Natur und über einen unausstehlich rigorosen Juden, den Professor Josef Schuster, der, letztlich auch sich selbst unerträglich, Hand an sich gelegt hat. Vieles von dem haben die Tiraden seines biegsameren Bruders Robert übertönt: „Österreich ist nichts als eine Bühne / auf der alles verrottet / und vermodert und verkommen ist / eine sich selber verhaßte Statisterie / von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen / sechseinhalb Millionen Debile / und Tobsüchtige“. Solches vermochte nicht nur die Kronen Zeitung zu inspirieren, sondern auch den notorisch toleranten Altbundeskanzler Kreisky zu erzürnen.

Dass Bernhard seine Skandale nicht passiert sind, sondern dass er es darauf anlegte, zeigt schon der allererste, den 1955 seine Polemik gegen das Salzburger Landestheater in der FURCHE auslöste: Gegen sein Verdikt, die Bühne verkomme durch „sauer gewordene Schlagobersmärchen“ zum „Rummelplatz des Dilettantismus“, klagte der Intendant. Dies kann man in der jüngsten Sammlung Bernhard’scher Zeitungstexte und Interviews, „Der Wahrheit auf der Spur“, ebenso nachlesen wie eine Hommage an Josef Weinheber: Nichts schaffe mehr „Gemüt und Österreichertum und Deutschtum zugleich“ als „Zwischen Göttern und Dämonen“ – „darum sei über den Menschen, über die brennende hilfesuchende Glut, Verzeihen gebreitet“, das ist alles, was dem jungen Bernhard zur Traumkarriere im Dritten Reich einfällt.

Gerade als „Übertreibungskünstler“ des Politischen saß Bernhard zwischen den Stühlen: Wogte das gesunde Volksempfinden rechts, so kritisierte man links das Totalitäre seiner Kritik. Bernhard schreibe in Wahrheit immer dasselbe Buch, schrieb Sigrid Löffler in immer derselben Rezension. Werner Schneyder behauptete, Bernhard habe als ein „Wegbereiter Haiders“ den „Faschismus im Denken“ salonfähig gemacht. Unnachahmlich präzis Elfriede Jelineks Urteil: „So affirmiert Bernhard die Gesellschaft in seiner Rolle als Kritiker, als Schablone des Kritikers schlechthin, gerade indem er sie kritisiert, die doch längst sein Lebensinhalt geworden ist.“

„Ritter,... Dene, Voss“: Das 1986 bei den Salzburger Festspielen mit den titelgebenden Protagonisten Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter (v. l.) uraufgeführte Stück lief danach auch mit großem Erfolg am Wiener Akademietheater, Foto: APA/Gindl
„Ritter,... Dene, Voss“: Das 1986 bei den Salzburger Festspielen mit den titelgebenden Protagonisten Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter (v. l.) uraufgeführte Stück lief danach auch mit großem Erfolg am Wiener Akademietheater
Foto: APA/Gindl

„Zwischen Betroffenheit und Ironie“#

Der literarische Einfluss des „größten Stilisten“ (Jelinek) ist jedenfalls immens und nachhaltig. Die Freude des Bernhard-Lesers an einer Sprachkomposition, an einem kunstvoll gebauten und jählings wie eine Falle zuschnappenden Satz hat eine Kleist’sche Dimension. Nicht nur die Epigonen, auch die Guten verdanken ihm viel: Man denke an Josef Winkler, Gert Jonke, Sibylle Lewitscharoff, Michael Lentz, Imre Kertész, Louis Begley, William Gaddis. Mit dem ersten Roman „Frost“ (1963), der Geschichte des an Misanthropie und Selbsthass verzweifelnden Malers Strauch, ist ein Höhepunkt der Form bereits erreicht und zugleich der tiefste Abgrund des Denkens. Eigentlich kann es nur noch aufwärts gehen, und wirklich sollte Bernhard sein virtuoses „Vexierspiel zwischen existentieller Betroffenheit und Ironie“ (Manfred Mittermayer) erst entwickeln.

Welches Buch würden Eingeweihte wohl „für Einsteiger“ empfehlen? Welchen Zugang zu Bernhards Lebensstudie über großartig verunglückende „Geistesmenschen“ und ihr Erbteil „abschenkende“ Erben? Vielleicht wäre es die atemberaubende Autobiografie, beginnend mit „Die Ursache“. Vielleicht wäre es aber auch ein kleines Buch, die Erzählung „Wittgensteins Neffe“, über Leben und Tod des Freundes Paul Wittgenstein. Denn, ja, Bernhard konnte auch rühmen. Glenn Gould zum Beispiel in „Der Untergeher“ oder Ingeborg Bachmann in seinem letzten Roman, der „Auslöschung“ heißt und Bernhards Namen erst recht unauslöschlich in die Literaturgeschichte einschreibt. Elfriede Jelinek wusste es schon in ihrem Nachruf: „An diesem toten Giganten wird niemand mehr vorbeikommen.“

DIE FURCHE, 10. Februar 2011