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Den Weltuntergang überdauert #

AHS im 3. Bezirk, Untergrundtheater, Rossauer Kaserne: auf den Spuren Jura Soyfers, eines Autors im Wien der 1930er. #


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 6./7. Dezember 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Bettina Figl


Jura Soyfer mit Maria Szécsi und bei den sozialistischen Mittelschülern
Jura Soyfer mit Maria Szécsi und bei den sozialistischen Mittelschülern.
Fotos: © DÖW/Jura Soyfer Gesellschaft

Wien. Zeit seines Lebens hat Jura Soyfer, Dichter im Wien der 1930- er Jahre, vor dem Weltuntergang gewarnt. Dennoch fand dieser durch die Machtergreifung der Faschisten statt. Umso bemerkenswerter ist, dass sich sein literarisches Werk, das diesen Untergang überdauert hat, wie eine Liebeserklärung liest: „Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde/In Armut und in Reichtum grenzenlos/ Gesegnet und verdammt ist diese Erde/Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde/Und ihre Zukunft ist herrlich und groß“, heißt es im „Lied von der Erde“.

15-jähriger Sozialist #

Wer war dieser Literat, der am 8. Dezember 2014 seinen 102. Geburtstag gefeiert hätte? Ein Spross eines Fabrikbesitzers, und noch als Kind flieht er mit seiner Familie vor der Roten Armee aus Russland (heutige Ukraine) nach Österreich. In Wien, damals ein Zentrum des russischen Exils und eine Hochburg der Arbeiterbewegung, wird der junge Soyfer zum Sozialisten. Veranlasst durch die Geschehnisse um den Brand des Justizpalastes, bei dem die Polizei 84 Zivilisten umbringt, schließt sich Soyfer mit 15 Jahren – er besucht das Gymnasium Hagenmüllergasse im 3. Bezirk – den sozialistischen Mittelschülern an.

Jura Soyfer hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, und bald zeigt sich sein sprachliches Talent: Der junge Mann, er ist noch keine 20 Jahre alt, veröffentlicht Gedichte und Reportagen in der „Arbeiter-Zeitung“. Das Zentralorgan der Sozialisten hat zu diesem Zeitpunkt eine Auflage von 90.000 Stück. Seine Gedichte werden ausgeschnitten, herumgereicht, abgeschrieben, und auf diese Weise wird er zum bekannten Autor des Roten Wiens. Trotz seines kurzen Lebens – Soyfer stirbt mit 26 Jahren im KZ Buchenwald – hinterlässt er ein beachtliches Gesamtwerk von rund 1000 Seiten. In nur neun Schaffensjahren publizierte er 150 Gedichte, ebenfalls erhalten sind fünf Theaterstücke und Fragmente des Romans „So starb eine Partei“, in dem er den Untergang der Sozialdemokratie beschreibt.

Seine Stücke sind eine Mischung aus Nestroy, Brecht, Marx Brothers und René Clair, seine Texte Dokumente des Übergangs zum Ständestaat und des aufkeimenden Faschismus.

Doch wie verbringt er seine Tage, und wie seine Nächte? „Würde der junge Soyfer heute leben, hätte ich wahrscheinlich gerade die Nacht mit ihm durchgemacht“, sagt Alexander Emanuely. Der Politologe und Theaterwissenschafter hat sich intensiv mit Soyfers Leben beschäftigt, und sagt: „In seinem Schreiben hat er viel riskiert, hier hat er die Grenzen ausgelotet.“

Für die politische Arbeit selbst war er weniger geeignet, wie sein Freund, der Berufsrevolutionär Franz Marek, beschrieb: Zu jedem Treffen sei er zu spät gekommen, „was allen Regeln der Konspiration widersprach“: Entweder er hat verschlafen oder bei einer Frau die Zeit vergessen. Denn während Soyfer lange Zeit Genussmitteln entsagte (in der Arbeiterschaft galten Alkohol und Zigaretten als Geldverschwendung), lebte er sonst wenig enthaltsam: Er galt als Verfechter der freien Liebe, mit Maria Szécsi führten er und sein engster Freund Mitja Rapoport eine Dreiecksbeziehung.

Nach der Matura studiert Jura Soyfer Deutsch und Geschichte an der Uni Wien. Es ist anzunehmen, dass Jura in die damals üblichen Prügeleien an der Universitätsrampe verwickelt war. Denn die Universität Wien ist inzwischen zur Hochburg des Antisemitismus geworden; Übergriffe auf Studierende und Lehrende, die „jüdisch“ oder „links“ aussehen, stehen an der Tagesordnung und werden vom Rektorat gedeckt. 1932 fordert Jura in der „Arbeiter-Zeitung“ zum Widerstand auf, diesmal zum gewaltsamen: „Ein braunes Wien? Ihr fordert viel, Ihr Herren. Das wäre das neu’ste. Wißt: Wer Wien hakenkreuzigen will, der frage erst unsere Fäuste. Wiens Straßen pflegten stets unser zu sein.“

Ab 1934 ist Soyfer gezwungen, aufgrund der Dollfuß-Diktatur unter falschem Namen im Untergrund zu arbeiten: Er verbringt seine Nächte am ABC Theater in der Porzellangasse und im Theater am Naschmarkt. In dieser Zeit entstehen seine viel gerühmten Mittelstücke: „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“, „Astoria“, „Vineta“, „Broadway-Melodie“. 1936 – als Schuschnigg mit Hitler das Juliabkommen schließt – schreibt Jura Soyfer das Stück vom Weltuntergang: In diesem hat die Menschheit vier Wochen Zeit, bevor sie durch den Kometen Konrad zerstört wird. Doch anstatt etwas dagegen zu unternehmen, lässt man die Zeit ungenützt verstreichen. Das Stück ist – wie so oft bei Soyfer – als Weckruf gedacht und spielt unmittelbar auf die Untätigkeit der Gesellschaft angesichts der sich zuspitzenden politischen Lage an.

1937 wird Jura Soyfer aufgrund einer Verwechslung verhaftet: Die Polizei hält ihn für seinen Freund Franz Marek, der kommunistische Berufsrevolutionär ist ein „großer Fisch“. Dennoch finden die Beamten in Jura Soyfers Wohnung genügend Material, um ihn hinter Gitter zu bringen. Marek selbst kriegt die österreichische Polizei nie zu fassen, erst 1944 – Marek ist inzwischen französischer Widerstandskämpfer – wird er von der NSDAP festgenommen.

Soyfer sitzt vier Monate in der Rossauer Kaserne ein, bis er im Zuge einer Generalamnestie für „Politische“ freikommt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Arbeit ist er in Österreich weiterhin keineswegs sicher. Mit seinem Freund Hugo Ebner unternimmt er nach dem „Anschluss“ 1938 einen Fluchtversuch, von Vorarlberg wollen sie mit den Skiern in die Schweiz gelangen. Was sie nicht wissen: Seit zwei Tagen, seit 11. März, sind die Grenzen dicht. Beide werden festgenommen, Soyfer wird in das KZ Dachau eingeliefert und später in das KZ Buchenwald verschleppt, wo er an den Folgen des Typhusfiebers stirbt.

In Dachau ist Soyfers letztes Gedicht entstanden: Im „Dachaulied“ nimmt er die zynische Phrase „Arbeit macht frei“ über den Lagereingang beim Wort und kehrt sie in ein Bekenntnis der Menschenwürde um. Es ist durch die mündliche Überlieferung des Mitgefangenen Hugo Ebner erhalten, der das Lied auswendig gelernt und das KZ überlebt hat. Noch in Soyfers Todesjahr wird der „Weltuntergang“ in New York vor 1000 Besuchern aufgeführt, das Stück – die Marx Brothers sitzen im Unterstützungskomitee – wird mehr als ein Monat lang gespielt. Auch in London und Buenos Aires werden seine Stücke ab 1939 aufgeführt.

Programm für die Nische #

In Österreich sollte es bis in die 1970er Jahre dauern, bis sein Werk wiederentdeckt wird. Heute befindet sich in Simmering das Jura Soyfer Zentrum mit Sitz am Leberberg, „einem Synonym für Vielsprachigkeit“, so Herbert Arlt. Er ist Vorsitzender der Jura Soyfer Gesellschaft, die regelmäßig Poetry Slams oder Stadtführungen auf den Spuren Soyfers veranstaltet – eine solche Führung gab auch den Anstoß für diesen Bericht. Doch das ist Nischenprogramm: Im kollektiven Gedächtnis spielt Jura Soyfer nach wie vor kaum eine Rolle.

Wiener Zeitung, Sa./So., 6./7. Dezember 2014