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Meister der Umwege: Der Schriftsteller Herbert Zand#

Vor 40 Jahren starb der österreichische Schriftsteller Herbert Zand, dessen Romane vergessen sind, der aber als Verfasser von Lyrik, Essays und Kurzprosa erst noch zu entdecken ist.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung (Samstag/Sonnatg, 10./11. Juli 2010)

von

Christian Teissl


Herbert Zand.jpg
Foto: Aus Die österreichische Literatur seit 1945, hg. von Volker Kaukoreit und Kristina Pfoser, Reclam Verlag, Stuttgart 2000.


Mein ganzes Leben lang
habe ich versucht,
ein paar Dinge zu begreifen:
die ruhige Zuversicht,
die Kraft der Liebe,
die Kraft des freien Entschlusses
und die Kraft des Wortes,
wenn es gebraucht wird.


Als Herbert Zand diese abgeklärten Verse schrieb, war er erst 42 Jahre alt und hatte nur noch knapp fünf Jahre zu leben. Schwer verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt, mit etlichen inoperablen Granatsplittern im Leib, schuf er sich in der kurzen Lebensfrist, die ihm noch blieb, durch seine Literatur eine zweite Existenz, einen Fluchtund Spielraum, in dem er sich unversehrt und frei bewegen konnte. Auf diese Weise trotzte und widerstand er ein Vierteljahrhundert lang dem Tod, dem er an der Front mehrmals begegnet war und der ihm seither nicht mehr von der Seite wich. Seine schriftstellerische Arbeit ist in hohem Maße ein Anschreiben gegen das eigene Sterben, erschöpft sich allerdings nicht darin; Zand wurde nicht erst durch das Trauma und die Tragödie des Krieges zum Schriftsteller, seine literarischen Anfänge reichen weiter zurück.

„Ich habe schon als Kind geschrieben,“ bekannte er 1969 in einem Radiointerview, „und es war dann ein großes Erlebnis, in der Schule zu sehen, dass es überhaupt Bücher gibt. Bei uns auf dem Dorf waren einfach nirgends Bücher; wenn es Bücher gegeben hat, dann vielleicht landwirtschaftliche Fachliteratur über erfolgreiche Düngung. Erst in der Schule habe ich gesehen: es gibt eine Bibliothek, es gibt Bücher, und diese Bücher sind wunderbar. (. . .) Wir hatten einen sehr guten Deutschlehrer, der mit verschiedenen Schriftstellern in Verbindung stand und uns von ihnen erzählte.“

Der Ton des Rhapsoden#

In der Rückschau auf seine bäuerliche Kindheit und Jugend hatte der am 14. November 1923 in Knoppen bei Aussee geborene Dichter freilich nicht nur seinen Deutschlehrer Hans Vlasics vor Augen, der ihn im Schreiben bestärkt und ihm eine erste Ahnung von moderner Poesie vermittelt hat, sondern auch die Kultur des mündlichen Erzählens, deren Ausläufer, deren letzte Reste er noch selbst kennen gelernt hat und die ihn nachhaltig geprägt und beeindruckt haben.

In seinem großen, autobiographisch grundierten Essay „Einsame Freiheit oder Landleben und Zivilisation“, entstanden zwischen 1966 und 1968 und erst postum veröffentlicht, entwarf Zand von dieser verschwundenen Welt die folgende Erinnerungsskizze:

„An den Abenden verbrennt Holz in den Herden und Öfen, Lichtschimmer zuckt an den Wänden entlang, auf den Herdplatten braten die Äpfel. Die letzten Geschichtenerzähler – ihre Tradition ist inzwischen ausgestorben – gehen von Haus zu Haus und erzählen, erzählen von Schlachten, Gespenstern, vom Teufel, den sie um die Mitternacht herum auf einsamen Straßen gesehen haben. Sie haben viel erfunden, diese Geschichtenerzähler, aber sie haben auch viel gewusst. Sie konnten sich genau erinnern, was an einem Pfingstsonntag vor siebenundvierzig Jahren geschehen war. Sie erzählten mit einer leicht singenden Stimme, im Tonfall des Rhapsoden. (. . .) Der alte Rhapsode war der Stellvertreter der Toten, der guten und bösen, sie waren es, die den Tonfall seiner Stimme hoben und senkten, in der leicht erregten Vibration seiner Stimme wurde ihre Zeit wieder Gegenwart. Alles personifizierte sich, die Scheite im Ofen bekamen Gesichter, der Schneewind war nicht mehr bloß eine Luftbewegung, sondern ein Wesen, das man mit Namen ansprechen konnte, das Haus hatte seine Geister, die man mit Weihrauch in Pfannen mit glühender Kohle beschwor.“

Gesicht und Stimme #

Die Neigung, jedem Ding Gesicht und Stimme zuzugestehen und die eigene Lebens- und Vorstellungswelt zu personalisieren, hat Zand von den ländlichen Rhapsoden seiner Kindheit übernommen. So enthält etwa sein 1953 erschienener Gedichtband „Die Glaskugel“ einen Zyklus von Rollengedichten, in denen einem namenlosen Dorf, dem letzten Baum eines geschlägerten Waldes, einem Brachfeld oder einem Sumpf menschliche Stimmen verliehen werden, mit denen sie in gereimten Strophen von ihrem Dasein, ihrem Lebenslauf und ihrem Schicksal erzählen.

In unmittelbarer Nachbarschaft zu diesen Gedichten steht Zands erster Roman, den er in nur sechs Wochen geschrieben hat, ein Künstlerroman, angesiedelt in einer Landschaft außerhalb aller Geschichte, reich an Lyrismen, sagenhaften Figuren und papierenen Dialogen. Unter dem Titel „Die Sonnenstadt“ erschien er 1947 in einem der zahlreichen kurzlebigen Verlage jener Zeit, blieb ohne nennenswertes Echo und war seinem Autor in späteren Jahren ein Ärgernis. In dem eingangs zitierten Rundfunkgespräch bezeichnete er sein Debüt in einem Atem als „verunglückt“ und als „eine gute Lehre“.

Aus der Erfahrung, mit leichter Hand einen Romanstoff in eine gefällige sprachliche Form bringen und dabei mühelos mit fremden Zungen sprechen zu können, zog er die Konsequenz, es sich fortan mit seiner schriftstellerischen Arbeit so schwer wie nur möglich zu machen. Von der „Normalität des Misslingens“ war er alsbald fest überzeugt, jedes Gelingen einer literarischen Arbeit hielt er für „abnormal“.

Konsequenterweise erhob er auch nicht den Anspruch, über eine eigene, eigenständige Diktion zu verfügen, sondern sah sich selbst auf auf der Suche nach einer „Sprache hinter der Sprache“, nach einer „wirklichen Prosa“, die ihm die Möglichkeit bieten würde, sich und seine Erlebniswelt adäquat auszudrücken, auf eine gleichermaßen persönliche wie überpersönliche Weise, Abstand zu gewinnen zum eigenen Ich und zum eigenen Schicksal, um es so noch besser in den Blick zu bekommen.

In seinem Tagebuch notierte er am 24. 11. 1963 über das Schreiben von Prosa: „Eine sehr gefährliche Sache, weil die Prosa fast noch unbestechlicher als eine Kamera ist und ein geistiges Abenteuer.“

Unvollendete Werke #

Bis zuletzt hat Herbert Zand den größten Teil seiner Kraft und Zeit für dieses geistige Abenteuer verwendet und ist nicht müde geworden, sich an der vielgestaltigen Form des modernen Romans abzuarbeiten. Verschiedene Romanprojekte hat er in Angriff genommen und wieder abgebrochen, mehrere Romanmanuskripte, die bereits weit gediehen waren, verworfen und verbrannt; mehr und mehr entwickelte er sich zu einem Autor, der zwar ständig schrieb, meistens parallel an verschiedenen Texten, der aber nur das Wenigste davon veröffentlichte, gleichsam immer wieder vor offenen Türen stand und es dennoch meistens vorzog, umzukehren, zurückzukehren an seinen Schreibtisch, um ein vermeintlich abgeschlossenes Textgewebe wieder aufzutrennen und mit vermeintlich abgeschlossenen Arbeiten wieder von vorn zu beginnen.

An Verlagskontakten mangelte es ihm keineswegs, wohl aber mit den Jahren immer mehr an der inneren Bereitschaft, eine neue Arbeit, sei es ein Roman, eine essayistische Studie oder eine Sammlung von Erzählungen, aus der Hand zu geben und einem Verlag anzuvertrauen. So kommt es, dass Zand nach seinem verfrühten Romanerstling nur noch vier weitere Bücher veröffentlicht hat: den bereits erwähnten Gedichtband „Die Glaskugel“, die Novelle „Der Weg nach Hassi el emel“ und die beiden Romane „Letzte Ausfahrt“ und „Erben des Feuers“.

So grundverschieden die beiden letztgenannten Werke auch sind, beiden gemeinsam ist ein schwieriger, langwieriger Entstehungsprozess. Vom Anfangskapitel der „Erben des Feuers“ etwa, einer bitteren, scharfsichtigen Bestandsaufnahme der so porösen wie selbstzufriedenen Wiener Nachkriegsgesellschaft, existieren im Nachlass des Dichters nicht weniger als acht verschiedene Fassungen, und den Antikriegsroman „Letzte Ausfahrt“ brachte er zweimal zu Papier, ehe er sich dazu entschließen konnte, ihn zu veröffentlichen. Mochte das Manuskript dieses Romans im Jahr 1952 auch vor den Juroren des Staatspreises bestanden haben, vor seiner eigenen inneren Registratur bestand es nicht, seinen eigenen strengen Ansprüchen genügte es nicht; und so blieb diesem Meister der Umwege nichts anderes übrig, als neuerdings einen Umweg zu gehen und eine von Grund auf neue Fassung des Romans zu erarbeiten.

Verlorene Generation #

„Letzte Ausfahrt“, ein Pandämonium des Krieges, ein gleichnishaft überhöhter Kollektivroman, der das Geschehen beim Stab und in der Truppe beleuchtet und darstellt, wurde von der zeitgenössischen Kritik durchwegs positiv aufgenommen, „Erben des Feuers“ hingegen war lediglich ein Achtungserfolg. Die Neuausgabe dieses Romans vor zehn Jahren wurde zwar da und dort zum Anlass genommen, an Zand als einen wesentlichen, unbestechlichen Zeugen der Kriegs- und Nachkriegszeit und als einen unterschätzten Einzelgänger zu erinnern, bescherte seinem Werk jedoch keine Renaissance.

An Zand, der am 14. Juli 1970 den Spätfolgen seiner Kriegsverletzungen erlag, zeigt sich auf exemplarische Weise die Tragik einer ganzen Schriftstellergeneration, wie sie der um vier Jahre jüngere Dramatiker und Lyriker Kurt Klinger so pointiert formulierte: „Diese Generation hat die meisten Romane, die sie begonnen hat, nicht zu Ende gebracht, und die meisten Dramen, die sie auf die Bühne bringen wollte, nicht vollendet. Dafür hat sie im Gedicht und in der kleinen Erzählung oft auf einen Schlag Meisterwerke geschaffen.“

Mit Herbert Zand wäre, ganz in diesem Sinne, ein Meister der kleinen Form zu entdecken. Gehören seine Romane unverkennbar einer vergangenen Epoche der österreichischen Literatur an, so haben seine präzise gearbeiteten Erzählungen, die erst nach seinem Tod unter dem Sammeltitel „Demosthenes spricht gegen die Brandung“ in Buchform erschienen sind, aber auch etliche seiner späten Gedichte und Essays, nichts von ihrer dichterischen Unmittelbarkeit, ihrer Frische und sprachlichen Intensität eingebüßt.

In ihnen erweist sich Zand, dieser im besten Sinne des Wortes selbst-lose Autor, der ein Leben lang schrieb, um verschüttete und übersehene Wirklichkeiten sichtbar zu machen und dabei selber unsichtbar zu werden, als unser Zeitgenosse, als eine Stimme aus unserer Gegenwart.

Im Europaverlag (Wien/Zürich) ist 1973 eine sechsbändige Werkausgabe mit Schriften Zands erschienen,

die von Wolfgang Kraus herausgegeben wurde.

Der Nachlass des Autors befindet sich im Österreichischen Literaturarchiv in Wien, mehr dazu unter:

Christian Teissl, geboren 1979, lebt als freier Schriftsteller in Graz.

Wiener Zeitung, 10./ 11. Juli 2010