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„Das geht nur mit Leib und Seele“ #

Seit 20 Jahren behandelt die Onkologin Martina Kronberger-Vollnhofer krebskranke Kinder im St. Anna Kinderspital. Wie die zweifache Mutter das Leiden ihrer kleinen Patienten – und deren verzweifelter Eltern – erträgt.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 5. Mai 2011).

Von

Doris Helmberger


Ärztin Martina Kronberger-Vollnhofer
Passionierte Ärztin Martina Kronberger-Vollnhofer wird am 24. Juni 1965 in Wien geboren. Nach dem Medizin- Studium kommt sie ans St. Anna Kinderspital, wo sie bis heute als Onkologin arbeitet. Seit kurzem ist die zweifache Mutter im Dachverband Hospiz Österreich engagiert.
Foto: © Mirjam Reither

Die Station 2B hat sich herausgeputzt: Bunte Papierblumen hängen von der Decke, Palmbuschen stehen umher, Nesterln mit Schokoladehasen sind zur Verteilung bereit. Obwohl die Feiertage längst vorüber sind, wird der Osterhase nochmals losgeschickt. Geschenkte Glücksmomente kann es schließlich nie zu viele geben, schon gar nicht hier, auf der Krebsstation des St. Anna Kinderspitals in Wien-Alsergrund.

In einem Nebenraum des hellen Spielzimmers hat ein kleiner Bub, nennen wir ihn Tom, gerade Privatunterricht. Sein Kopf ist kahl, sein halbes Gesicht von einem Mundschutz verdeckt. In einer Klasse zu sitzen, würde er nicht überleben. „Tom ist ein sehr spezieller Fall“, sagt Martina Kronberger- Vollnhofer und blickt durch eine Glasscheibe auf die Szenerie. Seit fünf Jahren sei der Junge hier in Behandlung – manchmal ambulant, dann wieder stationär. Er gehe toll damit um, meint die Ärztin, und dennoch gebe es große Krisen: Immer wieder lernt er neue Freunde kennen, die gesund nach Hause gehen können. Nur er muss bleiben.

Seit 20 Jahren hat die 45-Jährige hier in St. Anna mit Patienten wie Tom zu tun, mit zerbrechlichen Körpern, in denen die Tumore wuchern, und mit Eltern, deren Belastung und Verzweiflung unermesslich ist. Als Hämato- Onkologin hat sie miterlebt, wie die anfangs sehr rigiden Behandlungsprotokolle immer lockerer wurden. Und sie hat gesehen, wie gut den Kindern dieses bisschen Freiheit tut: 75 bis 80 Prozent der krebskranken Kinder werden mittlerweile geheilt. Doch ein Viertel stirbt – auch auf ihrer Station. „Das ist ein Bereich, den man nur mit Leib und Seele machen kann“, sagt die ruhige Frau mit den eisblauen Augen, „sonst hält man das nicht aus.“

„So selbstverliebt will ich nie werden!“#

Sie selbst sei Kinderärztin aus Leidenschaft – auch wenn sie als Maturantin ganz andere Pläne hatte: Schauspielerin wollte sie werden, doch eine Erfahrung an einem Theater hat diesen Plan durchkreuzt. „Diese selbstverliebten Leute habe ich entsetzlich gefunden“, erzählt sie lächelnd, „da habe ich mir gedacht: So will ich nie werden!“ Lieber will sie für andere da sein und Medizin studieren. 1988 kommt sie ans St. Anna Kinderspital, um am hier gegründeten „Forschungsinstitut für krebskranke Kinder“ über Leukämien zu dissertieren. 1991 beginnt sie schließlich auf der Onkologie. „Ich bin so eine Klinikerin“, sagt sie, „das Arbeiten an der Front, das ist so meins.“

Irgendwann wäre es auch ihr Wunsch, selbst ein Kind zu bekommen. Doch als er sich nicht erfüllt, entscheidet sie sich gemeinsam mit ihrem Mann, ebenfalls Kinderarzt, für eine Auslandsadoption. Und so steht sie eines Tages in einem Kinderheim in Südafrika und hält ein dunkles Bündel Mensch im Arm. „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass es irgendein anderes Kind auf der Welt gäbe, das besser zu uns passen würde“, sagt sie heute über ihren Sohn. „Er ist so ein Herzenskind“. Als sie nach der Karenz wieder mit dem Spitalsdienst beginnt, wird sie prompt schwanger und bringt noch eine Tochter zur Welt. Eine Erfahrung, für die sie sehr dankbar ist.

Ärztin Martina Kronberger-Vollnhofer
Häuslich. Ein Schneckenhaus, das ihr Sohn gefunden hat, versinnbildlicht für die Ärztin ihre familiäre Kraftquelle.
Foto: © Mirjam Reither

Heute, nach ihrer Rückkehr ins Spital, will sie ihr Wissen über Schmerztherapie und Gesprächsführung vervollkommnen und mit einem Master in Palliative Care abschließen. Keine Kleinigkeit neben zwei Kindern und einem nicht sehr familienfreundlichen Job. Doch mit Hilfe ihres Mannes, ihrer Eltern und einer Leihoma sei es schaffbar. Die Kraft dafür geben ihr die Kinder, die sie heilen konnte – gemeinsam mit ihrem Team aus Pfl egerinnen, Seelsorgern, Psychologinnen, Sozialarbeitern und Therapeutinnen. Dass es künftig nicht nur für krebskranke, sondern auch für schwerstbehinderte oder stoffwechselerkrankte Kinder und ihre Eltern solche Netzwerke gibt, dafür will sie im Dachverband Hospiz Österreich – gemeinsam mit Ulrike Pribil vom Kinder- PalliativNetzwerk – kämpfen.

Doch wie geht es ihr persönlich als Mutter, wenn sie sterbenskranke Kinder sieht? „Ich habe um meine eigenen Kinder keine Panik“, meint Martina Kronberger-Vollnhofer, „aber als Mutter bin ich am Leid der Eltern viel näher dran – an diesem unvorstellbaren Schmerz, sein Kind so leiden zu sehen.“ Es berührt sie auch, als hinter der Glaswand plötzlich Toms Vater den Raum betritt und seinem strahlenden Sohn ein riesiges Geschenk überreicht. Und doch versucht sie, sich abzugrenzen. In ihrer Rolle zu bleiben und sich nicht als Familienmitglied zu fühlen, gehört für sie zur Professionalität.

Nur einmal ist die sonst so starke Frau an ihre Grenzen gelangt. Es war vor Jahren an einem 15. Februar, als ein Bub, der ihr sehr nahe stand, auf der Station verstorben ist. Seine Eltern waren im Zimmer – und auch sie selbst, die wegen der Schmerzen des Jungen gerufen worden war. „Da habe ich gedacht, es geht nicht mehr“, erzählt die Ärztin mit glasigen Augen, „diese starke Mutter zu sehen, die ihr einziges Kind als tapferen Ritter auf die Blumenwiese schickt.“

DIE FURCHE, 5. Mai 2011