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Rasende Reisende#

Ein schneller Fuß im Fluß der Dinge#

von Martin Krusche

Das Verkehrswesen hat - gemäß unserer Mythologie - einen interessanten Patron. Das Götterbote Hermes ist gewissermaßen Urvater aller Telegrammboten. Er ist Schutzgott der Reisenden und Kaufleute, aber auch der Diebe und Kunsthändler.

Ein Laufrad, wie es Karl Freiherr von Drais eingeführt hat, daher auch die Bezeichnung Draisine. - (Foto: Gun Powder Ma, Creative Commons)
Ein Laufrad, wie es Karl Freiherr von Drais eingeführt hat, daher auch die Bezeichnung Draisine. - (Foto: Gun Powder Ma, Creative Commons)

Im Lateinischen entspricht der Hermes das dem Merkur (von „merx“ = Ware.)

Hermes ist überdies für Gymnastik und für Redekunst zuständig. Diese Zusammenhänge wären noch zu ergründen, wenn wir über Mobilitätsgeschichte nachdenken.

Der Hermetische wußte den „schnellen Fuß“ zu schätzen. So wäre der Ausdruck Velociped zu übersetzen. Die Schuhe des Eiligen waren beflügelt.

Velociped ist ein etwas antiquiertes Wort für das Fahrrad. Da ich schon in der Unterstufe eines Gymnasiums mit meinem Latein am Ende war, mußte ich Details nun nachschlagen.

Das Wort „velocitas” bedeutet Schnelligkeit, "velox" heißt schnell, beweglich. Das lateinische “pes” bedeutet Fuß, Mehrzahl “pedes”.

Die Überlieferung besagt, Hermes war von Geburt an ein Tunichtgut, hat weiters aus Jux die Leier erfunden, wozu er einen Schildkrötenpanzer umbaute.

Er war also offenbar auch ein Bastler. Heute könne man sagen: ein Schrauber. Die Natur war uns immer zu langsam. Zuschreibungen! Beim Automobil ist es begrifflich noch bunter hergegangen.

Der griechische Wortteil "auto-" steht für selbst- und ist mit dem lateinischen "mobilis" für beweglich kombiniert worden. Danach wurden allehand Begriffe aus der Kutschenwelt entlehnt.

Hermes in einer Darstellung von Franz Weiß, am Kreiswehrersatzamt in Kempten. (Foto: Richard Mayer, Creative Commons)
Hermes in einer Darstellung von Franz Weiß, am Kreiswehrersatzamt in Kempten. (Foto: Richard Mayer, Creative Commons)

An der Reiterei hatten die Menschen, genauer, die Männer, schon erfahren können, wie berauschend Beschleunigung und Tempo sind. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die zweirädrigen Streitwagen wurden die Porsches der Antike. Die Reiterei war bis zu Napoleon weltbewegend. Aber lange vor solchen realen Möglichkeiten haben unsere Vorfahren den Göttern derlei rasende Leidenschaften zugeschrieben.

Hermes war also ein Mann der Beschleunigung. In der griechischen Mythologie wurde außerdem rücksichtslos gerast (Phaeton mit dem Sonnenwagen) und glücklos geflogen (Ikarus bei seinem Höhenrekord).

Momentan wird gerne erzählt, Carl Benz habe vor 125 Jahren das Automobil erfunden. Mumpitz! Ihm gelang ein halbwegs tauglicher Benziner, der bei genauerem Hinsehen als ein motorisiertes Fahrrad erscheint, ein Tricycle mit bemerkenswerter technischer Aufrüstung.

Doch eine „selbstbewegende“, also motorisierte Mobilität gab es schon früher. Ich denke an den grobschlächtigen Dampftraktor von Nicolas Cugnot. Ab solchen Dampfwagen von Cugnot, Trevithick und Bollée im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ging es ganz rasant in Richtung ideologischer Kampfgesänge zugunsten individueller Mobilität; möglicht nicht gerade untermotorisiert.

Damit will ich sagen, es ging nie bloß um Transport, immer auch um Ideologie und Tempo, um sozialen Rang und markante Posen. Fahrzeuge, schließlich Kraftfahrzeuge, wurden umgehend zu großspurig gehandhabten Medien solcher Zusammenhänge, vor allem auch jenseits aller Vernunft.

Dabei spielte der „Knochenrüttler“ des Karl Freiherr von Drais eine besondere Rolle. Diese „Laufmaschine“ war der Vorläufer unseres Fahrrades. Ein lenkbares Zweirad ohne Pedale, das quasi ein Laufen im Sitzen ermöglichte. Sehen Sie sich gelegentlich um, derlei Laufräder gibt es noch heute als Kinderspielzeug. damit kann ein Kleinkind scharf wie der Wind um jede Ecke pfeifen.

Dieses Hochrad ist ein Clement Nr. 2 von 1886. - (Foto: Martin Krusche)
Dieses Hochrad ist ein Clement Nr. 2 von 1886. - (Foto: Martin Krusche)
Ein Tricycle (Singer Apollo) von 1885. - (Foto: Martin Krusche)
Ein Tricycle (Singer Apollo) von 1885. - (Foto: Martin Krusche)

Fahrzeuge waren teuer und reparaturanfällig. Der Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn mußte ja allein schon im Umgang mit seinem Namen eine flotte Art entwickelt haben, sonst kam er gewiß zu keinem Ende, wenn er amtlich wurde. (Forstbehörde!)

Das bald schon sehr populäre Fahrzeug aus seiner Werkstatt dürfte den Schustern mancher Orte ein Umsatzplus beschert haben. In der „Oeconomischen Encyclopädie“ von Johann Georg Krünitz, aus eben jener Ära, ist nachzulesen, wie es dazu kam: „Wenn man eine Fahrt von ein Paar Meilen damit macht, so kostet es ein Paar Stiefelsohlen, denn von dem immerwährenden scharfen Auftreten mit dem Fuße um die Maschine schnell zu bewegen, wird das Sohlenleder so dünn abgerieben, daß Löcher entstehen.“

Das Brennabor Modell 0 von 1893 ist ein Kreuzrahmen-Rad, die Vorstufe zum modernen Fahrrad mit Diamantrahmen. (Foto: Martin Krusche)
Das Brennabor Modell 0 von 1893 ist ein Kreuzrahmen-Rad, die Vorstufe zum modernen Fahrrad mit Diamantrahmen. (Foto: Martin Krusche)

Die Tests jener Tage weisen diesen Fahrzeugtyp noch eher als Spaßgerät aus, wobei es freilich nicht geblieben ist: „Allein alle Fahrer sind einstimmig der Meinung, daß sich diese Maschine wohl auf einem ebenen Gartenboden, überhaupt in Gärten, auf geebneten Plätzen und kleine Strecken von einer halben Meile wohl zum Vergnügen gebrauchen lasse, aber nicht auf weitere Strecken, weil sie die Kräfte zu sehr in Anspruch nimmt und besonders die Füße, wobei die abgestoßenen Stiefelsohlen nicht in Anschlag gebracht werden.“

Unerschrockenheit geht vor! Ein hymnisches Gedicht, im Jahr 1819 publiziert, trug den Titel „VELOCIPEDE. A poem.“ und zeigt über zehn Seiten, was sich da an Freuden wie Gefahren auftat. Es endet mit einem gebrochenen Bein und einer Arztrechnung: “A broken leg was all that clos’d the scene: / And Tom was homeward carried from the hill, / With scarce one doit to pay the doctos bill.”

Ein kleiner Hinweis darauf, wie gefährlich vor allem die frühen Hochräder gewesen sind. Das Lieblingsspielzeug wohlhabender junger Herren, die in Geschwindigkeit vernarrt schienen und über angemessene körperliche Konstitution verfügten. Stürze waren mit diesen Vehikeln häufig, gebrochene Arme und Handgelenke naheliegend.

Es ist mir ein wenig rätselhaft, was die Leute bewog, derlei Hochräder zu bauen. Ich vermute, es lag hauptsächlich an der Wegstrecke, die so ein großes Vorderrad mit einer einzigen Umdrehung der Tretkurbel schaffte; wofür man ziemlich kräftige Beine brauchte. Anfangs wirkten Tretkurbeln ohne jede Übersetzung auf die Achsen der Räder, weshalb ich annehme, daß man sich bei einem kleinen Raddurchmesser zutode gestrampelt hätte.

Das Niederrad (Safety) mit dem Diamantrahmen stammt von Puch, zirka 1907. (Foto: Martin Krusche)
Das Niederrad (Safety) mit dem Diamantrahmen stammt von Puch, zirka 1907. (Foto: Martin Krusche)

Die „Hobby Horses“ hatten beschränkte Verbreitung. Ihre Anschaffung war teuer, ihr Gebrauch riskant. Von den britischen Inseln kamen schließlich neue Konstruktionen, sogenannte „Sicherheitsräder“. Zwei schon sehr bald gleich große Räder, nicht gar so hoch, in einem stabilen Diamantrahmen verschraubt.

Sie führten die Konstruktion wieder näher an den Ursprung bei Drais, an dieses frühe Fahrzeug-Layout heran. Dazu aber eine Tretkurbel, deren Antriebskraft auf die Hinterräder gelenkt wurde; via Kette, aber seinerzeit auch über Kardanwellen.

Wir haben heute keine sehr realistische Vorstellung mehr, was es den Menschen breiterer Bevölkerungsschichten bedeutet haben muß, über die schließlich in Massenfertigung preiswert gewordenen Fahrräder an individueller Mobilität zu gewinnen.

Auf diesem Weg hatten vor allem Frauen einiges Neuland individueller Mobilität gewonnen; ursprünglich natürlich jene aus bessergestellten Kreisen. Die fahrradtaugliche und daher zwangsläufig luftigere Bekleidung war als skandalös bewertet worden, der erweiterte Spielraum, der größere Aktionsradius von Frauen erweckte das Mißtrauen vieler Männer.


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