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Die Enkel des g’schupften Ferdl#

Jahrzehntelang fristete Österreichs Populärmusik unter dem ungeliebten Namen "Austropop" ein Mauerblümchendasein. In den letzten Jahren hat sie aber an erstaunlicher künstlerischer Dichte hinzugewonnen – ein Überblick.#


Mit freundlicher Genehmigung aus der Wiener Zeitung (Samstag, 24. Oktober 2010)

Von

Bruno Jaschke


Plattencover Mendt
Austropop im Zeitraffer: Von Marianne Mendts Hit aus 1970 (Cover oben) bis zu den international erfolgreichen Burgenländern Ja, Panik (unten bei einem Auftritt 2010) reicht der 40-Jahre-Bogen.
© Wiener Zeitung / Archiv

Man kann die Geschichte des Austropop natürlich auch im Biedermeier beginnen lassen. Der Online-Enzyklopädie Wikipedia zufolge gehen die Wurzeln der österreichischen Populärmusik bis auf die Dramatiker Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy zurück. Ein klein wenig hat das – wenn auch den Autoren des Wikipedia-Eintrags vermutlich unbewusst – tatsächlich etwas für sich: Die (sonst fast ausschließlich englisch singende) Linzer Elektronik-Band Wipeout versuchte sich beim Donaufestival 2001 mit recht ansprechenden, teils sogar verblüffenden Resultaten an Nestroy-Couplets und attestierte ihnen solchermaßen ein gewisses Maß an Pop-Appeal oder zumindest -kompatibilität. Aber es bleibt natürlich ein fragwürdiges Unterfangen, zur Erstellung einer möglichst illustren Ahnengalerie auf jede x-beliebige Epoche, in der Musik gemacht wurde, zurückzugreifen. Dann gräbt eines Tages irgendwer sogar Walther von der Vogelweide als Ur-Austropopper aus!

Frühstart mit Bronner#

Indes hätte der Austropop mit Gerhard Bronners "G’schupftem Ferdl" 1952 tatsächlich einen fulminanten Frühstart hinlegen können, hätten denn seine Signale eine verständigere Aufnahme erfahren. Ob Österreichs Pop dann über Jahrzehnte hin besser reputiert wäre als er heute ist, darüber lässt sich natürlich nur spekulieren. Das Beispiel der Literatur, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Wiener Gruppe, Emigrationsheimkehrer (Weigel, Torberg) und individualistische Talente (Celan, Bachmann, Aichinger, Haushofer) rasch wieder Fundamente legte und auf eine (bis heute nicht nachlassende) Fülle von Begabungen bauen konnte, lässt diese Vorstellung zumindest nicht unmöglich erscheinen. Jedenfalls war „Der g’schupfte Ferdl“ ein Hit und absolut auf der Höhe seiner Zeit. Der nahe am (damals noch gar nicht erfundenen!) Rock’n’Roll dahinswingende Boogie-Rhythmus war selbst in seinem Herkunftsland USA noch brandheiß; der Text erzählte in satirischer Form eine realistische Geschichte vom tristen Leben in der Wiener Vorstadt. "Der g’schupfte Ferdl", wie auch die später folgenden "Der Wilde mit seiner Maschin’" oder "Der Papa wird’s schon richten“, fanden, forciert durch die Interpretationen Helmut Qualtingers, ja auch durchaus Zuspruch, doch kamen diese Lieder kaum über das Kultur-Milieu hinaus. Das sogenannte breite Publikum nahm die Botschaft nicht an. Jeder Art von Gesellschafts- und Problem-Reflexion von vorneherein mit Unbehagen gegenüberstehend und durch die jüngste Vergangenheit sowieso im Wegsehen/-hören geschult, verstand es diese Lieder nicht als Schlager, sondern als (Klein-)Kunst-Kunst, die ihresgleichen nichts anging.

Allerdings war solcher Eskapismus nicht speziell österreichisch, sondern international üblich. Lebensrealitäten außerhalb des Standardschemas Liebeslust/-leid begannen erst ab Mitte der 60er Jahre zum Thema von Pop-Hits (etwa der Who, Kinks, Rolling Stones) zu werden. Für Gerhard Bronner wiederum war es dann 1970 noch immer früh genug, um sich mit dem Text für Marianne Mendts Hit "Wia a Glockn" als einer der Pioniere in die Annalen des Austropop einzuschreiben. In der frühen EAV, die Ende der 70er Jahre noch als Erste Allgemeine Verunsicherung firmierte und mit ätzendem Witz Zeitphänomene wie den dazumal grassierenden Disco-Boom auf die Schaufel nahm, fand letztlich Bronners satirisches Erbe Widerhall. Ein paar Jahre danach verwies auch das erfolgreiche DÖF-Projekt mit den deutschen Schwestern Inga und Annette Humpe, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz deutlich auf diese vom Kabarett geprägte Tradition.

Wiener Dialektwelle#

Joesi Prokopetz ist ebenfalls einer der Wegbereiter des Austropop, denn er verlieh ihm als Texter für Wolfgang Ambros eine spezifische, tief im Wiener Proletariat verwurzelte Sprache. Schon die "Glockn" so wie vorher einige Lieder der Worried Man Skiffle Group hatten vom Wiener Dialekt profitiert, aber erst Prokopetz brachte ihn so richtig auf Schiene. Auf der sind in den letzten vier Jahrzehnten zahlreiche Musiker recht gut gefahren. Aktuell tun das etwa Ernst Molden, Der Nino aus Wien oder die aus FM4-Mitarbeitern bestehende Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune.

Der Prototyp aller Ambros/Prokopetz-Klassiker, die makabre Moritat "Da Hofa", dominierte Ende 1971 die österreichischen Singles-Charts ("Die Großen Zehn"), während der Maler Arik Brauer mit einem Album voller Bedenk-oh-Mensch-Weisen, die auch er mittels Wiener Dialekts transportierte, die LP-Parade anführte. Trotz solcher bemerkenswerter Anfangserfolge kam der Austropop in den folgenden Jahren nicht mehr recht vom Fleck.

Mit "Aushängeschildern" wie dem seichten Träller-Duo Waterloo & Robinson, den rührend lächerlichen Rockern Turning Point, der Pop-Star-Imitation Goldie Ens, dem gestelzten Barden Heinrich Walcher oder der atemberaubend schwachsinnigen Inn Yard Performance (www.youtube.com/watch?v=2Ego LZRXKYE) war für die junge Szene trotz damals noch leidlich häufiger Einsätze im monopolistischen Pop-Sender Ö3 kein Hofstaat zu machen, auch wenn sich mit Ambros, dem manierierten "Poeten" André Heller, dem zwischen Plumpheit und Pointe lavierenden Peter Cornelius, dem grobkantigen Sigi Maron und dem großen Georg Danzer eine passable Liedermacherszene formiert hatte. Ab 1977 gab der heimische Pop für eine Weile ein etwas ansehnlicheres, kompakteres Bild ab, nicht zuletzt, weil Punk und New Wave relativ umstandslos Österreich erreichten und in Interpreten wie Chuzpe, Tom Pettings Hertzattacken, Ronnie Urini oder Minisex durchaus kompetente Statthalter fanden. Wenig später tauchte Reinhard Fendrich mit anfangs noch einigermaßen witzigen Liedern auf, Ostbahn-Kurti gab den virilen Prolo-Rocker, und in Stefanie Werger fand sich die überfällige weibliche Szene-Protagonistin.

Ambros’ Abscheu#

Dann fegte Falco alles hinweg. Nicht obwohl, sondern gerade weil er als erster wirklicher Pop-Star aus Österreich die Spitze der amerikanischen Charts erklomm, machte er das Vokabel Austropop, das sowieso schon mit einer schwelenden Wertminderung kämpfte, endgültig zum Unwort. Austropop, das war nun ein Synonym für Zurückgebliebenheit, Provinzialität, Hinterbänklertum.

Austropop

Falco wurde – wie auch die kurzfristig ebenfalls international erfolgreiche steirisch-burgenländische Rock-Gruppe Opus („Life Is Life“) – sehr bald und sehr unsanft vom Sockel heruntergeholt, aber die Abneigung gegen den Begriff Austropop blieb. Noch 1993 blaffte Wolfgang Ambros den Verfasser auf die Frage, wie er zu seinem Ruf als "Vater des Austropop" stehe, an: "Ich bin Vater von meinem Sohn, und sonst gar nix! Bei 'Austropop' rollen sich mir die Fussnägel auf! Mit Austropop bringen mich nur Leute in Verbindung, die mir schaden wollen."

Schließlich wollten nicht nur die Musiker selbst nichts mehr von Austropop wissen, sondern auch der Sender nicht, der ihn einst gefördert hatte: Unter Musikchef Bogdan Roscic verschwanden Mitte der 90er Jahre Ambros, Werger und andere Altgediente aus dem Ö3-Programm. Sie fanden Unterschlupf in den ORF-Regionalprogrammen und in Privatradios. Die Populärsten machten sich den Nostalgiefaktor zunutze: Ambros, Danzer und Fendrich füllten bis zu Danzers Tod 2007 als Austria3 Hallen und Stadien.

In den letzten Jahren scheint sich eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Begriff Austropop eingestellt zu haben. Eine besondere Freude hat noch immer niemand damit – geschweige denn, dass der Begriff wie sein ursprünglich ebenfalls negativ konnotiertes deutsches Pendant "Krautrock" eine Aufwertung erfahren hätte –, aber man nimmt ihn halt hin. Das liegt zum einen daran, dass es mittlerweile unendliche viele Spielarten österreichischer Popmusik nominell und kategorisch zu überbrücken gilt, zum anderen daran, dass diese eine noch nie dagewesene Dichte an großen Werken hervorbringt.

Bemerkenswerte Einzelphänomene hat es in Österreich immer wieder gegeben. Aber zu einer Vorbildwirkung, die eine Bewegung kreiert hätte, kam es eigentlich nur im Falle des von Kruder & Dorfmeister ausgelösten Hypes um die Wiener Elektronik-Szene in den 90er Jahren.

Ansonsten genossen Leistungsträger der österreichischen Popmusik weitgehend Alleinstellungsstatus. Am Augenfälligsten manifestiert sich dieses Paradox in der Tatsache, dass Falco als internationaler Chartsstürmer (mit der bedingten Ausnahme von DJ Ötzi und der schon genannten Opus) keinen Nachfolger gefunden hat.

Attwenger, die sich früh der Aufmerksamkeit des legendären englischen Radio-DJs John Peel erfreuten, blieben mit ihrer minimalistischen, von HipHop und konkreter Poesie beeinflussten Deutung von Volksmusik ebenso konkurrenzlos, wie im HipHop die Gruppe Texta. Und als ob damit nicht schon genug oberösterreichische Spitzenkräfte genannt worden wären, konnte der Linzer Band Shy (deren Sänger Andreas Kump in seinem Buch "Es muss was geben" einen aufschlussreichen Einblick in die Entwicklung der Hardcore- und Punk-Szene der "Stahlstadt" gibt) in der Kunst des klugen deutschsprachigen Independent-Rock jahrzehntelang niemand das Wasser reichen.

Heute bestellen dieses Feld mit großartigen Resultaten Ja, Panik, Kreisky und Garish. Mit den international hoch angesehenen Sängerinnen Anja Plaschg (Soap & Skin) und Eva Jantschitsch (Gustav) – Meisterinnen der expressiven, psychotischen, von keinerlei stilistischen Fesseln gezähmten Ballade – und dem burgenländischen Elektroniker Christian Fennesz hat Österreichs kontemporäre Musik wieder einen Hochsitz mit Blick über die Landesgrenzen hinaus erklommen. Und Mainstream-Stars wie Christina Stürmer und Luttenberger*Klug sollten die gebeutelte Plattenindustrie ein wenig versöhnlich stimmen.

Auf einmal macht er sich also, der rund 40-jährige Tolpatsch mit dem ungeliebten Namen ...

Gerhard Strejcek

Bruno Jaschke , geboren 1958, lebt als freier Journalist und Autor in Wien. Zuletzt ist von ihm der Erzählungsband „Katastrophen“ (Arovell Verlag, 2010) erschienen.

Wiener Zeitung, Samstag, 24. Oktober 2010