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Auf der Klaviatur der Vielfalt#

Vor 200 Jahren wurde der Tastenvirtuose Franz Liszt geboren – auf diese Rolle wird er bis heute reduziert #


Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag/Sonntag, 29./30. Jänner 2011)

Von

Christoph Irrgeher


Ungewohntes Liszt-Bild
Ungewohntes Liszt-Bild: Der Star-Pianist als priesterlicher Dirigent eines eigenen Oratoriums in Budapest.
Foto: Lebrecht Music & Arts/Corbis

Als Virtuose verehrt, als Komponist mitunter heftig befehdet. Zwischen Kirche und Kassenerfolgen. #

Wien. Es zählt zu den beliebtesten Anekdoten des Weltstars. Warum Lang Lang Klaviervirtuose wurde? Weil er als Kind aus bescheidenen Verhältnissen einst "Tom & Jerry" gesehen hatte. Jene Folge, in der Tom als Pianist vor Publikum und Orchester tritt – und von Jerry bald gewaltig sabotiert wird. Die entsprechend turbulente Musik: Franz Liszts Zweite Ungarische Rhapsodie. Die Lektion für die Lang Langs dieser Welt: Liszt spielen – ja, das hieße, im Virtuosen-Olymp ankommen.

Wenn sich Liszts Geburtstag nun zum 200. Mal jährt und diverse Veranstalter auf die Pauke schlagen, ließe sich die Gelegenheit freilich nutzen, um Werk und Wirken jenes Mannes einmal neu zu bewerten, der in erster Linie – flapsig gesagt – als Rampensau der Romantik gilt.

Und da gäbe es einiges zu tun. Erstens ist Franz Liszt, am 22. Oktober 1811 in Raiding, Westzipfel des Königreichs Ungarn, geboren, ein Mann der Widersprüche. Und zweitens ist er in mancher Hinsicht nachgerade eine Brücke zwischen Klassik und Moderne.

Priester und Frauenschwarm#

Fragen wirft Liszt zuhauf auf. Wie kam ein Mann, dem die Frauenherzen en masse zuflogen (und der Kapital daraus schlug), dazu, in einem Abtkostüm aufzutreten? Wie konnte dieser Franz Liszt Niccolò Paganini ins Grab nachschreiben, dass mit diesem Teufelsgeiger hoffentlich der letzte Vertreter einer "eitlen, egoistischen Rolle" verstorben wäre? Weil Liszt hin- und hergerissen war. Zwischen Innerlichkeit und Konzerttrubel, Frömmigkeit und Begierde. Schon das Werk zeugt davon: Rund 700 Stücke, diverse Virtuosen-Vehikel, aber längst nicht nur. Viel Wagemutiges, "Neudeutsches" gibt ist da; und geistliche Musik nicht zu knapp.

Schon als Wunderkind wollte Liszt ja Priester werden, aber der Vater verbat es seinem Goldjungen. Viele Tourneejahre später landete der in Rom. Der Posten eines vatikanischen Kapellmeisters war zwar nicht zu ergattern, doch ein wenig vom Kindheitstraum: Liszt legte im Gottesstaat niedere Weihen ab, musste daher auch künftig nicht enthaltsam leben. Trotzdem war er nun Abbé – ein Abbé, der vormals in einer Luxuskutsche über den Kontinent tourte, bei manchem Auftritt Klaviere verschliss wie ein heutiger Rockstar Gitarren und Fan-Artikeln reißenden Absatz bescherte. Da wundert es kaum, dass der Filmemacher Ken Russell 1975 die Hauptrolle seiner "Lisztomania" mit Roger Daltrey besetzte – dem Sänger der Rockband The Who.

Tatsächlich nahm der Schöpfer des "Liebestraums" den Star des Massenzeitalters vorweg. Liszt, das war jener Blockbuster, der für die elitären Musiksalons eines Chopin zu groß geworden war – mochte er auch predigen, Technik dürfe nur Mittel, nie Zweck sein.

Mit seiner Mischung aus katholischem und künstlerischem Impetus leistete er aber auch einem anderen Trend Vorschub: der Aufwertung des Musikgenusses zur Kunstreligion. Danach hatten ja schon die Urväter der Romantik gelechzt. Transzendent? Das Göttliche war es für sie ebenso wie das künstlerisch Entrückte.

Von Salieri zu Skrjabin#

Zu so hehren Ideen passte die Hormonlastigkeit einer typischen Liszt-Andacht zwar nicht so ganz. Doch auch als Autor kaperte Liszt religiöse Symbolik. Sein neunbändiges (!) Gesamtwerk strotzt mitunter nur so vor messianischem Sendungsbewusstsein. Sein Credo: Fortschritt ist Naturgesetz, das Genie (also er) greift seiner Zeit vor. Wobei das Neue stets das Bessere ist. Diese "zutiefst religiöse, starke und wirksame Musik (...) wird Theater und Kirche in gewaltigem Ausmaß vereinigen."

Da also schwingt sich dieser Liszt, als Knabe in Wien noch von Antonio Salieri ausgebildet, zum Vorboten von Figuren wie Alexander Skrjabin auf. Letzterer wollte die Menschheit des 20. Jahrhunderts ja kraft Gesamtkunstwerken erlösen – ohne Katholizismus freilich und außerhalb der Tonalität.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1886 war allerdings auch Liszt einer Sprengung der Tonalität teils erstaunlich nah gekommen: etwa in der "Dante-Sonate" mit ihren harschen Tritonus-Sprüngen. Oder im "Prometheus", wenn er sich in schroffer Quartenschichtung aufbäumt: ein Akkord, der auch Arnold Schönberg Respekt abrang. Vor allem eine Novität war es, für die Liszt und seine "neudeutschen" Freunde berüchtigt waren: die Symphonische Dichtung. Weil neuer Wein in neue Schläuche gehöre, erfand sich Liszt das innovative Format: Orchesterstücke, die über den Tellerrand des Rein-Musikalischen schielen und auf konkrete Inhalte zielen. Nicht nur den Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick trieb das auf die Palme – womit ein skurriler Kampf zwischen Freund und Feind der "Programmmusik" entbrannte.

Die versuchte Franz Liszt nicht nur als Virtuose, Dirigent und Autor zu protegieren: Auch kulturpolitisch war er tätig. Nicht nur in Weimar, wo er nach etlichen Tourneejahren Kapellmeister war. Der Kosmopolit initiierte unter anderem den Allgemeinen Deutschen Musikverein und regte die Budapester Musikakademie an.

Probleme als Komponist#

Dennoch: Seine Kompositionen, klagte er, litten unter Akzeptanzproblemen: "Die ganze Welt ist gegen mich. Die Katholiken, weil sie meine Kirchenmusik zu weltlich finden, die Protestanten, weil für sie meine Musik zu katholisch ist (...), für die Konservativen bin ich ein Revolutionär, für die ‚Futuristen‘ ein falscher Jakobiner." Immerhin: Was man heute von Liszt kennt, das wird geschätzt. Der ganze Liszt allerdings wäre noch zu entdecken. Und manches, was man nur zu kennen glaubt. Eine Zweite Ungarische Rhapsodie für Orchester und Klavier, wie bei Tom & Jerry zu hören, hat Liszt nämlich nie geschrieben. Sondern nur eine Klavierfassung. Und eine für Orchester. Bis Sonntag läuft in Raiding die erste Tranche des Liszt-Festivals 2011; Festivals gibt es auch in Budapest und Bayreuth. Bei Amalthea erschien zuletzt die Biografie "Franz Liszt" von Anton Mayer.


Wiener Zeitung, 29./30. Jänner 2011