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Evolution spielen#

Die Genschere CRISPR/Cas9 stellt als mächtiges Werkzeug die Genetik vor Herausforderungen.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 24. Dezember 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Alexandra Grass


Karrikatur DNA
Karrikatur DNA
Foto: © "Wiener Zeitung"/Wolfgang Ammer

Wie wäre es, den Menschen unempfindlich gegen HIV zu machen? Wie wäre es, Krebs ausschalten zu können? Wie wäre es, Erkrankungen wie Malaria auszurotten? Gäbe es genetische Werkzeuge dafür, ließe sich nicht nur Krankheit verhindern, sondern auch die Evolution beschleunigen. Um Zukunftsvisionen handelt es sich dabei keinesfalls mehr. Denn mittlerweile haben Molekularbiologen eine Methode in der Hand, mit der sich das Erbgut einfach und präzise umschreiben lässt – die Genschere mit dem nahezu unaussprechlichen Namen CRISPR/Cas9. Der Mensch könnte sich damit seine Welt in Eigenregie schaffen. Allein ethische Bedenken halten die Wissenschaft in Schranken – noch.

Ursprünglich stammt das CRISPR/Cas-System aus Bakterien. Ihnen dient es als eine Art Immunsystem, mit dem sie Viren erkennen und abwehren können. Bei dieser Abwehrreaktion fügen die Bakterien zahlreiche Kopien kurzer DNA-Stücke dieser Viren in ihr eigenes Erbgut ein. Diese eingebauten Sequenzen dienen der Bakterienzelle als Gedächtnis, um bei einem neuerlichen Virenbefall diese mit dem Enzym Cas9 spezifisch zu zerstören.

Gefeierter Fortschritt#

Im Jahr 2012 hatten zwei Forscherinnen – die französische Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley – die Idee, aus diesem natürlich vorkommenden Abwehrsystem ein molekularbiologisches Werkzeug zu entwickeln. Weltweit wurde dieses Verfahren, das universell bei allen lebenden Zellen – also auch beim Menschen – funktioniert, als enormer Fortschritt gefeiert.

Dieses auch als Gene Editing bezeichnete Verfahren läuft folgendermaßen ab: Zunächst muss im Erbgut genau jene Stelle gefunden und angesteuert werden, bei der die gewünschte Änderung erfolgen soll. In der Folge führen bestimmte RNA-Abschnitte wie eine Sonde den Eiweißstoff Cas9 hochpräzise an die gewählte Stelle im Erbgut. Dort wird ein Schnitt durchgeführt. Während die zelleigenen Reparatursysteme den durchtrennten DNA-Strang wieder zusammenflicken, können etwa defekte Teile entfernt oder abgeschaltet werden. Es besteht aber ebenso die Möglichkeit, Bausteine dieses Erbguts auszutauschen oder kurze Sequenzen neu einzubauen. "Diese Technologie hat die Biomedizinische Grundlagenforschung revolutioniert", sagt der deutsche Molekularbiologe Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien zur "Wiener Zeitung".

Mögliche Anwendungen#

Doch was bringt das dem Menschen? Realistische Anwendungsmöglichkeiten sieht der Experte vor allem im Labor. In Zellkulturen oder gar Organmodellen, sogenannten Organoiden, könnten Mutationen – etwa eine Krebserkrankung – eines Patienten nachgebildet werden. An diesem persönlichen konstruierten Tumor ließen sich verschiedene Medikamente testen. Die Erforschung von Krankheiten könnte somit gezielter angesteuert werden.

Eine potenzielle Anwendungsmöglichkeit sieht Knoblich auch in der regenerativen Medizin – "nicht nächstes Jahr, aber sie wird kommen". Dezidiert nennt er die Schmetterlingskrankheit (Epidermolysis bullosa), die die Haut von Kindern extrem empfindlich gegenüber äußeren Reizen macht. Sie entsteht durch einen falschen Buchstaben im Genom. Dieser kann in den betroffenen, entnommenen Zellen ausgetauscht werden, um in Folge Haut herzustellen und die entstandenen Defekte zu reparieren. Von dieser regenerativen Medizin "werden wir relativ bald hören", betont Knoblich. Auch bei bösartigen Erkrankungen wäre eine Anwendung möglich, wie deutsche Wissenschafter zuletzt berichteten. Vorerst aber weniger zu Heilungszwecken, sondern in der Diagnostik. Mutationen, die für das schnelle Krebswachstum ausschlaggebend sind, könnten präzise erkannt werden, um eine auf diesen Informationen basierende zielgerichtete Therapie einzuleiten. Mithilfe der Genschere konnten die Forscher etwa Mutationen identifizieren, die für Wachstum und Lebensfähigkeit der Tumorzellen maßgeblich verantwortlich sind.

In der Grundlagenforschung ist die Technik bereits weit verbreitet. Voraussichtlich wird sie über kurz oder lang auch in der angewandten Forschung Fuß fassen. Auf dem Weg dorthin ist sie schon. So wollen etwa Forscher in Schweden mit Hilfe der Genschere Gründe für das Absterben von Embryonen im Mutterleib und die daraus folgende Unfruchtbarkeit der Eltern erforschen.

Immer wieder wird auch auf Möglichkeiten der Vermeidung von Erbkrankheiten geschielt. Das würde jedoch den Eingriff in die Keimbahn des Menschen mit sich ziehen. Theoretisch ließen sich Eizellen durch dieses Skalpell der Genetik gezielt manipulieren. So könnte etwa der Rezeptor für HIV zerstört werden, um das Virus am Andocken zu hindern. Der Mensch wäre dann immun gegen HIV – "für immer und ewig, und alle Nachkommen auch", so Knoblich. Demnach könnten Viruserkrankungen ausgeschaltet oder Krebsgene entfernt werden – und das, noch bevor es zu einer Befruchtung der Eizelle kommt.

Den Möglichkeiten scheint Tür und Tor geöffnet zu sein. Derzeit jedoch nur theoretisch, da sich die Forscher aufgrund massiver ethischer Bedenken selbst in die Schranken weisen. Derzeit würden "noch das Risiko und auch das Potenzial für Missbrauch den Nutzen übersteigen", erklärt Knoblich. Das sei auch die generell anerkannte Meinung unter den Forscherkollegen. Der weltweit darüber stattfindende Diskussionsprozess sollte demnach noch abgewartet werden, bevor großzügig weitergeforscht wird, fordert der Molekularbiologe. Die Zeiten der wissenschaftlichen Freiheit "sind vorbei", wenn es um Eingriffe in die Keimbahn oder die weitreichende Veränderung anderer Organismen gehe.

Der vieldiskutierte Gene Drive ist ein solcher genetischer Eingriff. Diesem zugrunde liegt die Veränderung des Erbguts von wild lebenden Organismen. CRISPR/Cas9 verschafft den Forschern die Möglichkeit, etwa Malariamücken so zu manipulieren, dass sie die Krankheit nicht mehr übertragen können. Angesichts der Tatsache, dass jährlich hunderttausende Menschen daran sterben, scheint dieser Weg ein heilbringender zu sein. Doch die tatsächlichen Auswirkungen sind noch unklar.

Gen mit Superkräften#

Der Gene Drive verleiht einem Gen Superkräfte bei der Vererbung. Für gewöhnlich vererbt sich eine Mutation den Mendelschen Regeln zufolge nur an einen Bruchteil der Nachkommen. Beim Gene Drive setzt sich immer das manipulierte Merkmal durch. Ein paar solche Mücken könnten innerhalb weniger Generationen ein ganzes Moskitovolk immun gegen den Malaria-Erreger machen. Auch Tigermücken, die Dengue, Gelbfieber oder Zika übertragen, könnten mit der Technologie unschädlich gemacht werden. Knoblich sieht diese Methode spätestens in den nächsten drei bis fünf Jahren reif für die Anwendung. Bis dahin sollte es allerdings weltweite gesetzliche Vorgaben dafür geben, um unerwünschte Folgen fernzuhalten.

Die ethische Diskussion darüber hatte schon 2015 in einem Aufruf internationaler Forscher gemündet. Im Rahmen einer "Science"-Publikation hatten sie für spezielle Sicherheitsmaßnahmen in Forschungslabors plädiert, um potenzielle Schäden von der Allgemeinheit abzuwenden. Darunter befanden sich auch Jürgen Knoblich sowie der US-Biologe Kevin Esvelt vom Massachusetts Institute of Technology in Boston. Aufgrund seiner massiven Bedenken – so könnte die Methode auch ungewollte ökologische Kettenreaktionen auslösen oder zum Bau biologischer Waffen genutzt werden – hat er das CRISPR/Cas9-Verfahren derart weiterentwickelt, dass es sicherer und auch umkehrbar wurde. Zuletzt wurde Esvelt als "Hüter der Genschere" vom Fachblatt "Nature" gar zu einem der einflussreichsten Forscher des Jahres 2016 gekürt.

Streit ums Patent#

Die revolutionäre Methode zur DNA-Veränderung wird 2017 aber auch die Gerichte beschäftigen. In einem Patentstreit stehen sich drei Forscher gegenüber: Charpentier, Doudna und der chinesische Wissenschafter Feng Zhang vom Broad Institute in den USA. Bereits im Mai 2012 hatten die Forscherinnen für die bei Bakterien angewandte Methode ein Patent angemeldet. Im Dezember darauf tat es Zhang ihnen gleich. Er wandte die Genschere erstmals bei Eukaryoten an – Lebewesen, deren Zellen einen Kern mit Membran enthalten. Dies öffnete den Weg, die Technik auch bei menschlichen Zellen zu benutzen. Vor dem Gericht wird diskutiert, ob Zhang von den Entdeckungen seiner Kolleginnen profitiert hat oder vielmehr derjenige war, der die Technologie entscheidend voranbrachte.

Große Medizinlabore und Biotech-Unternehmen sehen in der Technologie ein riesiges Potenzial. Mit einer Patenterteilung wären jedoch ungeheuer hohe Lizenzgebühren verbunden, was sich als hinderlich für viele Unternehmen oder sogar für die gesamte Forschung daran erweisen könnte. In jedem Fall wird CRISPR/Cas9 die Fachwelt lange in Atem halten.

Wiener Zeitung, Samstag, 24. Dezember 2016

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