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Brust oder Keule#

Künstliches Fleisch würde "nur kleine Herden von Spender-Tieren" benötigen, doch Massenproduktion dauert#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So. 10./11. August 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Eva Stanzl


Künstlicher Burger: Vor der Marktreife muss noch viel geforscht werden.#

Hamburger-Proben.jpg
Hamburger aus dem Geschäft (links), Fleisch aus Labor (Mitte), rohes Rindfleisch (rechts).
Univ. Maastricht

Maastricht/Wien. "Wie Fleisch, aber nicht so saftig", befanden die beiden Verkoster, als sie jüngst in London vor laufender Kamera den ersten im Labor gezüchteten Hamburger zerkauten. Mark Post ließ sich vom Urteil des US-Ernährungsautors Josh Schonwald und der österreichischen Lebensmittelforscherin Hanni Rützler die Stimmung nicht nehmen und nannte seine Kreation einen "guten Start". Bei einem sorgfältig orchestrierten Medienevent hatte der Stammzellenforscher der Universität Maastricht das erste Fleischgericht aus der Retorte präsentiert.

Um den Hamburger zu machen, hatte Post zwei Kühen Stammzellen entnommen, diese millionenfach vervielfältigt und sie dann zu Muskelzellen heranwachsen lassen, jede nur drei Millimeter lang. Danach wickelte der Forscher die Muskelzellen um Agarose herum, ein Gel-artiges Polymer, das aus Algen gewonnen wird. Er nährte die Zellen in einer Lösung aus pflanzlich gewonnenen Aminosäuren, Zucker und Fett. Innerhalb von sechs Wochen bildeten sich Muskelstreifen. Aus 20.000 der im Labor gezüchteten Muskelstreifen ließ sich ein Burger formen.

Das teuerste Fleischlaibchen#

Das neue Fleischlaibchen mag von einem saftigen Filetsteak zwar noch weit entfernt sein. Doch künstliches Fleisch zu schaffen ist alles andere als trivial. Würden sie ein Steak erzeugen wollen, müssten die Wissenschafter Rinder-Stammzellen zu großen, dreidimensionalen Strukturen heranwachsen lassen, was bisher noch nie gelungen ist. Es müssten mehr Nährstoffe zugeführt werden und Blutzellen. Myogrlobin, das den Muskel rot färbt und Eisen enthält, wird ansonsten kaum in anderen Zellen hergestellt. Ohne sie wäre das Steak farblos. Es müsste außerdem Fettzellen enthalten. Deren Fehlen erklärt, warum das mit 250.000 Euro Entwicklungskosten teuerste Fleischlaibchen der Welt nicht so saftig ist.

Die Rechnung übernahm Sergey Brin, Co-Gründers von Google. Sie könnte sich eines Tages bezahlt machen. "Schon in 40 Jahren könnte Fleisch sehr teuer werden. Dann wird die Weltbevölkerung auf neun Milliarden angewachsen sein und der Fleischbedarf steigen. Dabei werden schon jetzt 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Viehzucht genutzt", betont Post in einem Interview mit dem britischen "Independent".

Die globale Fleischindustrie erzeugt 288 Millionen Tonnen Fleisch jedes Jahr. Laut der Food and Agriculture Organisation (FAO) der UNO werden es 2050 doppelt so viel sein, vor allem aufgrund der wachsenden Mittelklasse in Entwicklungsländern. Jeder Deutsche vertilgt 60, jeder Österreicher 70 und jeder Brite sogar 85 Kilo Fleisch im Jahr. In China ist der Fleischverbrauch pro Person in den vergangenen 30 Jahren von 14 Kilo auf 60 Kilo gestiegen. Jedes Kilo in unserem Mägen benötigt zehn Kilo pflanzliches Tierfutter und Düngemittel. 18 Prozent der ausgestoßenen Treibhausgase gehen auf das Konto der industriellen Tierzucht.

Geht es nach Post, könnte es anders werden. Seiner Vision zufolge könnten aus Stammzellen von einem Tier bis zu einer Million Mal mehr Fleisch auf den Teller kommen als von einem geschlachteten Rind. Jeder Mensch könnte seinen ökologischen Fingerabdruck verkleinern. Nötig wären dazu "nur eine kleine Herde von Spender-Tieren", denen man Stammzellen entnimmt, welche dann in Fleischfabriken zu Essen heranwachsen.

Schon Winston Churchill schrieb 1932 in seinem Buch "Gedanken und Abenteuer", es sei lächerlich, ganze Tiere zu töten, wenn man nur Teile essen wolle. 2004 startete der niederländische Forscher Willem van Eelen ein Projekt zur Fleischproduktion außerhalb des tierischen Körpers. Es gelangen Fleischstücke 22 Millimeter lang, acht Millimeter breit und einen halben Millimeter dick. Der französische Regisseur Claude Zidi griff das Thema wiederum humoristisch auf. "Brust oder Keule" kam 1976 in die Kinos. Im Film schleicht sich Louis de Funes als Gourmet in die Lebensmittelfabrik seines Erzrivalen. Zu seinem Entsetzen findet er Fließbänder vor, auf denen Hühnerkeulen gestanzt werden, und Wein, der in der Retorte entsteht.

Eine Frage der Nährstoffe#

Da Fleisch durch den Magen geht, lässt es die Emotionen hochgehen. Wie die Kontroverse um die umstrittene Einführung eines "Veggie Day" in deutschen Betriebskantinen zeigt, bauen Fleischliebhaber und Vegetarier durchaus harte Fronten auf, wenn es um ihre Sichtweise geht. Fleischliebhaber argumentieren, ihre speise enthalte Eiweiße in einer höheren Konzentration als Pflanzen, Vegetarier verweisen auf Schadstoffe im Fleisch durch die Industrieproduktion - beide zu Recht.

Post‘s Retorten-Burger enthält neben Muskelfleisch Eipulver und Brösel zur Bindung sowie Rote Rüben-Saft und Safran für die Farbe. Offen ist, wie Nährstoffe in massengefertigtes künstliches Fleisch kommen werden, und vor allem welche Nährstoffe aus welchen Quellen. Zu befürchten ist ein Qualitätsverlust durch die Nutzung billiger Zusatzstoffe, wie schon jetzt bei verarbeitetem Käse der Fall ist. Nicht einschätzbar ist, wie viel Energie solche Fabriken brauchen.

Bis künstliches Fleisch eine echte Alternative wird, muss also noch viel geforscht werden. Jüngst hat die US-Tierschutzorganisation Peta einen Preis von 800.000 Euro ausgeschrieben für das erste Hühnerfleisch aus dem Labor, nach eigenen Angaben damit keine Tiere sterben. Um die Welt zu retten, könnte wir aber auch unsere Diät umstellen, oder zumindest weniger der derzeitigen Unmengen Wurst verzehren. Oder Käfer essen. Die enthalten nämlich auch sehr viel Protein.

Wiener Zeitung, Sa./So. 10./11. August 2013