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Radioaktivität aus dem All#

Vor 125 Jahren wurde der österreichische Nobelpreisträger Viktor Franz Hess, Entdecker der "Kosmischen Strahlung", geboren#


Mit freundlicher Genehmigung aus der Wiener Zeitung (Samstag, 21. Juni 2008)

Von

Christian Pinter


Ein Blitz schlug in den Turm des Schlosses Waldstein ein, rund eine Gehstunde nordwestlich des steirischen Deutschfeistritz. Das Erlebnis bewegte den am 24. Juni 1883 geborenen Viktor Franz Hess zutiefst und entzündete sein Interesse an der Luftelektrizität. Vater Vinzenz, fürstlicher Forstmeister, hatte ihn ans Gymnasium nach Graz geschickt. Dort besucht Viktor gerade die Universität, als Henri Becquerel sowie Pierre und Marie Curie den Nobelpreis für Physik erhalten – für die Entdeckung der Radioaktivität und des Radiums. Hess promoviert 1906 und wirkt am Zweiten Physikalischen Universitätsinstitut in Wien. Dann wird er Assistent am jungen Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften in der Boltzmanngasse 3.

Der Umgang mit radioaktiven Proben wird ihn schwer schädigen und zur Amputation des linken Daumens führen. Forscher haben damals ein interessantes Phänomen beobachtet: Elektrisch geladene Körper verlieren gemächlich ihre Ladung. Die Luft isoliert offensichtlich nicht perfekt. Sie muss selbst etwas leitfähig, also ionisiert sein. Dafür machen Hess und seine Kollegen die radioaktive Strahlung verantwortlich, die ständig aus der Erdkruste dringt. Demnach sollte die Leitfähigkeit der Atmosphäre abnehmen, je weiter man sich vom Erdboden entfernt. Doch selbst hoch oben auf dem Eiffelturm, so stellt der Jesuit Theodor Wulf 1910 fest, ist das kaum der Fall.

Viktor Hess erwirbt den Ballonführerschein und steigt 1912 mit Hilfe des Österreichischen Aeroclubs und der Akademie weit über 5000 Meter hoch auf. Anfangs zeigen seine Bordelektrometer eine Ab-, dann jedoch eine stetige Zunahme der Ionisation. Dergleichen ist mit der Bodenstrahlung nicht zu erklären. Vorsichtig spricht Hess von der Existenz einer "Höhenstrahlung", deren wahrscheinliche Quelle er aber schon im Weltall wähnt. Zu Vergleichs- und Testzwecken nimmt er mehrstündige Messungen am Platz des Aeroclubs vor, einem weiten Rasenfeld im Wiener Prater. Außerdem versenkt er das Messgerät in 3,5 Meter tiefem Wasser der Alten Donau. Die Leitung des städtischen Strandbades Gänsehäufel und Bademeister Tomitzky überlassen ihm Boote und sonstige Behelfe.

Messung der Strahlung#

Nach zweijährigem Arbeitsaufenthalt in New Jersey kehrt Hess in seine steirische Heimat zurück. 1925 übernimmt er die Leitung des Physikalischen Instituts der Universität Graz. Fuhrwerke und Träger schaffen seine Messgeräte auf den Gipfel des Hohen Sonnblicks hinauf, wo man seit 1886 ein meteorologisches Observatorium betreibt. Hier, in 3105 Meter Seehöhe, startet er eine lange Messreihe. Auch andernorts will man nun Natur und Ursache der "Kosmischen Strahlung" ermitteln. Dazu werden ihre Intensitätsschwankungen mit der Tages- und der Jahreszeit, der Sonnenhöhe und dem Sternenstand verglichen. Allerdings setzen die von Hess geplanten Untersuchungen mit noch empfindlicheren Instrumenten die ständige, kostspielige Anwesenheit eines Physikers voraus.

Als Hess 1931 an die Universität Innsbruck berufen wird, richtet er deshalb eine neue Station auf dem nahen Hafelekar ein. Sie ist in nur 40 Minuten per Seilbahn zu erreichen. Die junge Nordkettenbahn stellt dafür ein Unterkunftshaus in 2270 Metern Höhe zur Verfügung. Fünf Jahre später wird Hess die größte Ehrung zuteil: Für den Fund der "Kosmischen Strahlung" erhält er den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit Carl David Anderson. Der US-Amerikaner hatte – übrigens in der "Hess’schen" Strahlung – das Positron entdeckt.

Bald setzt man auf dem Hafelekar auch fotografische Verfahren zur Teilchenregistrierung ein. Die empfindlichen Kernspurplatten werden am Wiener Institut für Radiumforschung untersucht. 1937 erspähen Marietta Blau und Hertha Wambacher darauf mikroskopisch kleine "Zertrümmerungssterne": Sie entstehen, wenn Silberatome der Platte von Teilchen der Kosmischen Strahlung getroffen werden. Die Physikerinnen erhalten dafür den renommierten Lieben-Preis, der zum letzten Mal für lange Zeit vergeben wird. Die Nazis verfolgen die Stifterfamilie. Auch Marietta Blau muss fliehen.

Nobelpreisträger Hess passt den braunen Despoten politisch nicht ins Konzept. Gerade an die Universität Graz zurück gekehrt, wird er 1938 ohne Pensionsanspruch entlassen. Er emigriert in die USA, lehrt an der katholischen Fordham-University von New York. Im nahen Mount Vernon findet er im Dezember 1964 die letzte Ruhestätte.

Den Beginn des Raumfahrtzeitalters erlebte Hess also noch mit: Die meisten frühen Satelliten trugen Messgeräte zur Erforschung "seiner" Strahlung in die Umlaufbahn. Die eigentliche Primärstrahlung lässt sich nämlich nur in sehr großen Flughöhen oder, besser noch, direkt im All erkunden. Sie besteht vor allem aus Masseteilchen, aus positiv geladenen Protonen, Alphateilchen und negativen Elektronen. Die schnellsten besitzen Milliarden Mal mehr Energie als die gefährlichste Gammastrahlung auf Erden. Irgendwo im All müssen Wasserstoff und Helium von unvorstellbar kräftigen Magnetfeldern gepackt und auf nahezu Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Die Suche nach diesen Teilchenbeschleunigern ist nicht einfach, langt die "Kosmische Strahlung" doch aus allen Richtungen mit recht ähnlicher Intensität ein. Auf der langen Reise zur Erde werden die geladenen Teilchen nämlich von den Magnetfeldern in der Milchstraße gepackt und mannigfach im Laufe gestört. Und dies verwischt die Spuren ihrer Herkunft.

Rasende Gasteilchen#

Dennoch konnten Forscher den Täterkreis einengen. So rührt die extragalaktische Primärstrahlung sehr wahrscheinlich von Aktiven Galaxien bzw. Quasaren her – fernen Milchstraßen, in deren Zentren Schwarze Löcher von jeweils Millionen bis Milliarden Sonnenmassen enorme Gasmengen anziehen. Ein Teil der Gasteilchen wird von Magnetfeldern ergriffen und in Form mächtiger Jets in den Raum gejagt. Die galaktische Primärstrahlung geht vor allem auf das Konto von Supernova-Explosionen innerhalb unserer Milchstraße. Der spektakuläre Tod eines Riesensterns lässt einen gasförmigen, expandierenden Supernova-Überrest zurück. Darin versteckt sich meist ein winziger, ultrakompakter Neutronenstern. Beide Hinterlassenschaften sind berühmt für ihre extremen Magnetfelder. Für die solare Primärstrahlung ist übrigens unsere Sonne verantwortlich: Magnetische Prozesse erhitzen Plasma in ihrer Atmosphäre auf Dutzende Millionen Grad und katapultieren es ins All.

Die rasenden Teilchen der Primärstrahlung prasseln ständig auf alle ungeschützten Oberflächen im Sonnensystem. Sie dringen bis zu einem Meter tief ins Gestein ein und sorgen dort für die Bildung neuer Isotope. Das erlaubt Aussagen über die Bestrahlungsdauer – und verrät Forschern etwa, wie lange ein kleiner Meteorit durchs All geirrt sein muss. Raumfahrer sehen tatsächlich Lichtblitze, wenn kosmische Teilchen ihre Augen treffen. Ein langer Flug zum Mars würde das strahlungsbedingte Krebsrisiko deutlich erhöhen. Ein weiteres Mal ließe man einen derart exponierten Astronauten wohl nicht mehr ins All.

Da sich geladene Teilchen leichter entlang der Feldlinien als quer zu ihnen bewegen, werden sie vom Erdmagnetfeld teilweise zu den Polgebieten hin abgelenkt. Besseren Schutz bietet unsere Lufthülle. In Höhen um etwa 20 Kilometer treffen die kosmischen Teilchen auf atmosphärische Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle. Die Kollisionen bremsen sie ab, bewirken allerdings ein anderes Problem: In einem kaskadenartigen Prozess sorgt ein einziges energiereiches Proton aus dem All für die Produktion von Millionen bis Milliarden neuer Teilchen. Nur ein Bruchteil davon schafft es bis auf die Erdoberfläche. Diese Sekundärstrahlung zeichnet in Wien für etwa ein Drittel der natürlich bedingten Strahlungsbelastung verantwortlich. In großen Höhen, speziell bei Flügen über die Polgebiete hinweg, übernimmt sie die Regie: Arbeitsalltag für Airline-Crews.

In der Luft sorgt der Teilchenbeschuss auch für die Bildung des Isotops Kohlenstoff-14. Dieses wird von Lebewesen aufgenommen und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Darauf fußt die Radiokohlenstoffdatierung, die von Archäologen zur Altersbestimmung organischer Stoffe eingesetzt wird. Manche Forscher sehen einen statistischen Zusammenhang zwischen der Stärke der "Kosmischen Strahlung" und der Bewölkungsdichte. Höchst umstritten ist, ob sie auch Blitzschläge auslösen kann: Diese Hypothese hätte Viktor Franz Hess sicherlich gefallen.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".

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Wiener Zeitung, Samstag, 21. Juni 2008