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Statt eines Biers auf ein Glas Wein mit Figl #

Am 9. Mai jährt sich zum 50. Mal der Todestag von Leopold Figl (1902–1965). Der Historiker Helmut Wohnout widmet sich dem ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik und dem Schicksalsjahr 1945 in einem neuen Buch. Die FURCHE bringt daraus einen Vorabdruck.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 23. April 2015)

Von

Helmut Wohnout


Leopold Figl auf der ÖVP-Tagung am Semmering 1961
Leopold Figl auf der ÖVP-Tagung am Semmering 1961
Foto: © IMAGNO/Barbara Pflaum

Nur drei Tage nach der Rückkehr Reithers kam es für Figl zu einer anderen, von ihm schon lange ersehnten Begegnung. Als einer der ersten österreichischen Politiker im sowjetisch kontrollierten Osten traf er mit Vertretern der amerikanischen Besatzer zusammen. Wie bei vielen Ereignissen im Wien des Frühjahrs und Sommers 1945 kam auch dieses Treffen durch eine Mischung von Zufall und Improvisation zustande. Manches daran mutet kurios an, sodass man versucht sein könnte, die näheren Umstände dieser Begegnung in das Reich der zahlreichen „Figl-Legenden“ zu verweisen, wäre sie nicht sehr genau dokumentiert.

Schon im Juni und dann nochmals Mitte Juli waren erstmals Delegationen der Westalliierten nach Wien gekommen, um sich persönlich ein Bild von den Zuständen in der Bundeshauptstadt und ihrer Umgebung zu machen. Am 22. Juli 1945 traf neuerlich eine kleine Vorausabteilung der Amerikaner, aus Verona kommend, wo sich noch das Hauptquartier der US-Besatzungstruppen für Österreich befand, in Wien ein. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, geeignete Quartier- und Unterbringungsmöglichkeiten für die Besatzungstruppen vor Ort in Erfahrung zu bringen. Daneben sollte sie sich aus erster Hand ein Bild von den Lebensumständen im sowjetisch besetzten Wien machen und sich auch über die politischen Verhältnisse informieren. Was sie in Wien zu sehen bekamen, rief bei den Amerikanern Betroffenheit hervor: das Ausmaß der Zerstörungen, die dramatische Situation der Lebensmittelversorgung und die von ihnen so wahrgenommene teils deprimierte, teils resignative Stimmung auf den Straßen der Stadt angesichts der Übergriffe der Roten Armee.

Gasthaus „Bauernbund“ #

Auf Basis ihrer wohlvorbereiteten Pläne und Karten besichtigten sie am 23. Juli 1945, einem schwülen Sommertag, die für sie in Frage kommenden Gebäude und Liegenschaften. Nachdem die drei Offiziere von der Früh an herumgefahren waren, wollten sie den Tag bei einem kühlen Bier ausklingen lassen. Dies erwies sich als ein Vorhaben, dessen Verwirklichung sich in der devastierten Wiener Innenstadt alles andere als leicht herausstellen sollte. Immerhin hatte einer der drei Offiziere, Martin F. Herz, seine Jugend im Wien der 1920er- und frühen 1930er-Jahre verbracht und war mit den örtlichen Verhältnissen gut vertraut. Doch in welches Lokal er seine Kollegen auch führen wollte, überall standen sie vor verschlossenen Toren oder verwüsteten Liegenschaften, wie etwa bei dem bekannten Lokal „Linde“ in der Rotenturmstraße. Die Straßen der Wiener Innenstadt waren nahezu menschenleer. Schließlich fand sich ein Passant, der den drei amerikanischen Offizieren auf deren Frage, wohin sie auf ein Bier gehen könnten, den Tipp gab, sie sollten es beim „Bauernbund“ in der Schenkenstraße versuchen. Die Amerikaner dachten, es handle sich dabei um ein Lokal, und fuhren über den Ring zu der hinter dem Burgtheater gelegenen Straße. Als sie dort ankamen, fielen ihnen vorweg einige in der engen Gasse geparkte Autos auf. Sie vermuteten zuerst, an einem Umschlagplatz für den Schwarzmarkt gelandet zu sein. Ein Mann, bekleidet mit einer die Amerikaner seltsam anmutenden Lederhose, sah sie misstrauisch an. Als sie ihn fragten, ob man hier ein Bier bekäme, reagierte er sichtlich erschrocken und verschwand im Bauernbundgebäude. Plötzlich öffneten sich die Fenster im Haus des Bauernbundes und Männer sahen ungläubig nach den Offizieren mit ihren amerikanischen Uniformen. Gleichzeitig kam der Mann mit der Lederhose zurück und erklärte ihnen: „Es gibt hier zwar kein Bier, meine Herren, aber der Herr Staatssekretär Figl würde sich freuen, Ihnen einen Wein anbieten zu dürfen.“ Erst als die Amerikaner im Stiegenhaus an den Wänden alte Wahl- und Veranstaltungsplakate des Bauernbundes hängen sahen, dämmerte es ihnen, dass sie im Hauptquartier einer politischen Organisation gelandet waren. Im Sitzungszimmer warteten schon die anwesenden Bauernbundfunktionäre, unter ihnen Ferdinand Graf und Edmund Weber und in ihrer Mitte Figl, ein, wie ihn Herz beschrieb, „kleiner, drahtiger Mann mit einem witzigen Schnurrbart und einem heiteren Lächeln im Gesicht. Umgehend hob er ein Weinglas und begann auf die Ankunft der Amerikaner einen Trinkspruch auszugeben.“ Figl nützte geistesgegenwärtig die unerwartete Situation und tat so, als handelte es sich bei den US-Offizieren um eine von General Mark Clark persönlich zu ihm gesandte offizielle Delegation. Die Amerikaner erwiderten höflich den Toast Figls, blieben noch eine Weile und tranken auch noch ein weiteres Glas Wein, ehe sie sich freundlich verabschiedeten. Doch betrachteten auch sie das zufällig zustande gekommene Zusammentreffen mit dem stellvertretenden Regierungschef als Glücksfall. Denn Martin F. Herz war als Major bei der politischen Abteilung des Oberkommandos für Österreich auch an politischen Kontakten interessiert. Gerne nahm er Figls Einladung an, ihn am nächsten Tag mit einem Kollegen zu einem längeren Gespräch zu besuchen.

Energisch, humorvoll-schlagfertig#

Leopold Figl beim Kartenspiel auf der ÖVP-Tagung 1962
Leopold Figl beim Kartenspiel auf der ÖVP-Tagung 1962
Foto: © IMAGNO/Barbara Pflaum

Figl war entschlossen, seinen Startvorteil bei den Amerikanern zu nützen, auch wenn er sich bei seinem ersten Gespräch mit den Repräsentanten der US-Besatzungsmacht noch nicht ganz so geschickt anstellte. Er erweckte bei seinem Treffen am nächsten Tag den als etwas aufdringlich empfundenen Eindruck, dass er es kaum erwarten konnte, enge Beziehungen mit den Amerikanern herzustellen. Wohl um ihnen zu gefallen, äußerte er sich mehrfach abschätzig über die Sowjets, was seine Gesprächspartner allerdings tunlichst zu überhören trachteten.

Wie schon am Vortag so machte Figl auch bei diesem Treffen auf die US-Offiziere den Eindruck eines energischen, zugleich aber humorvoll-schlagfertigen Politikers. Er betonte ihnen gegenüber, dass die Beziehungen zu anderen Parteien freundschaftlich seien, trotz großer inhaltlicher Unterschiede zu den Kommunisten. Um das zu unterstreichen, bot er an, zwischen seinen Gesprächspartnern und Adolf Schärf eine erste Zusammenkunft zu vermitteln. Im Hinblick auf die kommenden Wahlen gab er der ÖVP in Wien zwischen 30 und 35 Prozent der Stimmen und war überzeugt davon, dass sie überall sonst die Mehrheit erringen würde. Umgekehrt gab er den Kommunisten in Wien weniger als 20 und in Gesamtösterreich weniger als 10 Prozent. Das war eine aus damaliger Sicht sehr optimistische Einschätzung. Sie lag aber gar nicht so weit entfernt von den tatsächlichen Ergebnissen der Wahl im November.

Dissens zu Dollfuß/Schuschnigg#

Befremden löste Figl bei seinen Gesprächspartnern aus, als sie ihn zu seiner Einschätzung der Dollfuß/Schuschnigg-Jahre befragten. Er stellte sich voll hinter Dollfuß und beharrte darauf, dass das von diesem konzipierte ständestaatliche System demokratisch gewesen sei, auch wenn er einräumen musste, dass in der Realität, von den bäuerlichen Vertretungen abgesehen, nirgends Wahlen stattgefunden hatten. Die Amerikaner reagierten irritiert. Denn im Gegensatz zu den Diplomaten, die vor 1938 an der US-Gesandtschaft in Wien tätig waren, allen voran dem langjährigen Gesandten, George S. Messersmith, nahm die jüngere Generation an politischen Beratern und Diplomaten eine durchaus kritische Haltung gegenüber den autoritären Regierungen Dollfuß/Schuschnigg ein. Man hegte Sympathien für die Sozialdemokratie als die underdogs des Jahres 1934 und blieb misstrauisch, inwieweit die Funktionäre des einstigen Ständestaates, die jetzt in der ÖVP tätig waren, wirklich vorbehaltlos zur Demokratie standen. Die diesbezügliche Sichtweise der Amerikaner sollte im weiteren Verlauf des Jahres und insbesondere während des Nationalratswahlkampfes noch für Irritationen sorgen.

Figl hatte übrigens später seine eigene Version über das Zustandekommen seines ersten Zusammentreffens mit den Amerikanern. Wann immer er Martin F. Herz, der ein Jahr später amerikanischer Diplomat wurde und als solcher abermals nach Wien zurückkehrte, traf, sprach er ihn ironisch auf die Episode „mit dem Glas Bier“ an. Bei der Verabschiedung von Herz 1948 erklärte er ihm dann mit einem listigen Augenzwinkern, der wahre Grund für das Erscheinen der Amerikaner Ende Juli in der Schenkenstraße sei ein ganz anderer gewesen: „Ein Glas Bier, was?“, und Figl setzte feierlich fort: „Nicht eine Sekunde hatte ich geglaubt, dass Sie auf der Suche nach einem Bier waren. Aber der Vorwand mit dem Bier war gut gewählt, Respekt. Und Ihr Geheimdienst arbeitete ganz sicher professionell. Denn wer hätte zu so einem frühen Zeitpunkt gedacht, dass das Department of State bereits herausgefunden hatte, dass ich dazu bestimmt war, Kanzler von Österreich zu werden?“

Im Gegensatz zu anderen Spitzenrepräsentanten seiner Partei war Figl ein gegenüber den westlichen Alliierten von Anfang an nicht nur auskunftsfreudiger Gesprächspartner, sondern es war ihm sehr daran gelegen, regelmäßige Kontakte aufzubauen. Schon bei seinem zweiten Zusammentreffen mit den Amerikanern schlug er vor, sich einmal pro Woche im kleinen Kreis zu treffen. Tatsächlich fand dann eine der nächsten Begegnungen in einer kleineren Runde gemeinsam mit Graf und Weber beim Heurigen in Heiligenstadt statt, „mit großen Mengen von Wein und Sturm“, wie die Amerikaner nicht vergaßen, in ihrem Bericht über das Treffen festzuhalten.

Buchcover: Leopold Figl und das Jahr 1945

Leopold Figl und das Jahr 1945. Von der Todeszelle auf den Ballhausplatz.

Von Helmut Wohnout

224 S., Hardcover, €21,90

erscheint am 30. April 2015

DIE FURCHE, Donnerstag, 23. April 2015