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Die 70 Jahre der II. Republik #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 18. Dezember 2014)

Von

Martin Haidinger


Österreich-Fahne
Österreich-Fahne
Foto: pixabay.com, unter PD

Gewitzte Geister fühlen sich seit jeher berufen, den Österreichern gute Ratschläge zu geben, so in der Art: Sie sollten doch bitteschön stolzer auf ihr Land sein, oder sich gefälligst dafür schämen, sollten mehr Selbstbewusstsein entwickeln, oder nicht so tun, als ob sie alleine auf der Welt wären, oder … Gott, ist das fad!

Frei nach Karl Kraus seien zunächst einmal zwei österreichische Archetypen, der Optimist und der Nörgler, auf die Bühne gebeten, zufällig beide 1938 geboren, und bei Gründung der Zweiten Republik im soliden Kindesalter, knapp vor der Trotzphase. Beide Herren sind demnach im Jahr 2014 in ihrem 77. Lebensjahr und zählen seit vielen Dezennien zur intellektuellen Elite des Landes.

Der eine, einst wichtiger Politiker und noch heute ein einflussreicher Mann, hielt unlängst bei einer Geburtstagsfeier eine resümierende Rede über die letzten Jahrzehnte, deren hintergründige Botschaft zu sein schien, dass in Sonderheit er und seine Leute diese Republik so wunderbar gemacht haben, wie sie heute ist. Als ich ihm danach sagte, dass mir das ein bisschen zu eindimensional und weichgezeichnet daherkommt, verstand er nicht, was ich damit meinte. Ich entwickelte Gewissensbisse: Ist doch alles nicht so arg, wie man gemeinhin sagt?

Wenige Wochen danach unterhielt ich mich auf einer anderen Geburtstagsfeier mit dem zweiten bedeutenden Herrn, Journalist und früher einer der wichtigsten Medienmanager des Landes. Succus seiner Klage war, dass Österreich in einem lausigen Zustand sei, wir alle einer grausigen Zukunft entgegengingen. Als ich, angelehnt an Leibniz, dagegenhielt, dass wir angesichts der übrigen Welt und unserer eigenen Geschichte der letzten tausend Jahre heute hier doch in der „besten aller möglichen Welten“ lebten, wollte er mir nicht zustimmen. Erneut keimten Zweifel auf: Ist doch alles ärger, als man gemeinhin sagt?

Das Land der guten Nerven#

Das Kompositum „gemein-hin“ bezeichnet zwei Facetten des permanenten, überzeitlichen und grenzenlosen österreichischen Jammertals. „Gemein“ heißt nicht nur „gewöhnlich“, sondern steht auch für den austriakischen Volkssport der genüsslichen Wadelbeißerei, und „hin“ ist bei uns letztlich alles, wie beim „Lieben Augustin“. Das mag man als Teil unseres Nationalcharakters belächeln, aber dass man hierzulande überhaupt noch kräftig zubeißen kann, ist überhaupt nicht skurril, sondern eine angenehme Folge der elastischen Sicherheit, in der die Österreicher leben. Grenzwertige Verhaltensweisen, Delikte und Skandale, die andernorts zu Staatskrisen, Finanzkollapsen oder gar zu Staatsstreich und Putschversuchen führen würden, werden durch die „Stabilitas austriaca“ ausgeglichen und politisch wie apolitisch applaniert. Das beschert uns unerfreuliche Plätze im europäischen Mittelfeld irgendwelcher internationaler Korruptionsrankings, aber zugleich auch Ruhe. Dabei sind wir nicht gemütlich, oder gar gutmütig (Gott allein weiß, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt haben mag!), sondern wir haben nur gute Nerven.

Angelobung von Bundespräsident Karl Renner im Dezember 1945
Angelobung von Bundespräsident Karl Renner im Dezember 1945
Foto: © IMAGNO/ÖNB

Der einzige Putsch, den wir nach 1945 aufzuweisen hatten, wurde letztlich keiner: Als die Kommunisten 1950 mit Zaunlatten bewaffnet das Kanzleramt mit dem Figl drin stürmen wollten, scheiterte das an den guten Nerven der Re- gierung, der Exekutive und der Gewerkschafter Franz Olahs. Die Folge: Wo die Deutschen eine Gauck-Behörde zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur brauchten, reichte uns Hugo Portisch, in dessen TVSerie „Österreich II“ unter anderem zufrieden grinsende alte Kommunisten ihre Geschichten erzählen konnten, ohne jemals hinter Gittern gesessen zu sein. Ist das nicht ein glückliches Land? Eines, das statt einer mörderischen „DDR“ den „DDr.“ Nenning und den „DDr.“ Wehle hatte, die uns köstliche politische Kasperliaden und gescheites Kabarett bescherten.

Die zahnlose Republik #

Putzig waren wir auch in den 68er-Jahren: Während in Paris und anderswo die Gesellschaft im Feuerschein brennender Autos kollabierte, war der schnöde Beitrag Österreichs zu dieser famosen Bewegung aktionistische Kathederscheißerei an der Uni Wien und der Tausch schöner alter Kirchenmusik gegen gitarrenbewehrte „Kumbaya“-Gesänge. Und auch danach, in den 80ern: Wie provinziell war doch im Rückblick die Krise um den zum politischen Crash-Test-Dummy aufgeblasenen, in maulwurfsartiger politischer Blindheit und Starre verharrenden Kurt Waldheim, an dem sich frustrierte Linke postum bis heute abarbeiten, und den die Mehrheit der Österreicher längst vergessen hat. Ach ja, da waren dann noch die „Sanktionen“ der EU gegen Schüssel und Co., die schon wieder so fern sind, als hätten wir nicht mehr die Zweite, sondern schon die Dritte oder Vierte Republik.

Mir gefällt’s, die zahnlose Republik! Es sind keine „großen Zeiten“, die wir in Österreich erleben. Den Polit-Zirkus bestreiten eine zur Staatsoperette neigende verkrustete Sozialdemokratie, eine ideologiebefreite ÖVP aus Krämern, in deren Herrgottswinkerl ein Säckchen gehamstertes Gold steht, ein blauer Wahlverein böser Buben, dessen deutschnationaler Chef sich mit serbischen Stammessymbolen behängt, eine als linke Partei getarnte Radelfahrersekte von Bürgerkindern aus gutem Hause, und dazwischen ein bisschen Polit-Plankton, das so kommt und geht, wie es kreucht und fleucht. Das mag lächerlich klingen, aber es ist respektabel, was die Zweite Republik in ihren 70 Jahren hervorgebracht hat! Es herrscht nämlich Friede, Freunde! Trotz aller Panikmache vor einer gemein-hin niederträchtig vorhergesagten, angeblich alles niederwalzenden Asylantenwelle. Und wir haben an Jahren die Regierung Franz Joseph übertroffen! Endlich sind wir frei!

Ja, es ist ein schwaches Land, es ist zahnlos, es lässt Agenten fremder Mächte ungehindert aus- und eingehen, und es beißt nicht diejenigen, die mehr oder weniger originell auf Österreich herumtrampeln, sondern finanziert sie aus den öffentlichen Händen der geheimen Minister für Kulturkauf Pröll und Häupl. Damit kein Missverständnis aufkommt: Mir gefällt das! Ich lebe um Welten lieber hier, als im Land der ausgesteuerten Wohnwagenpensionisten und des „Bible Belt“ oder in der Oligarchie des KGB-Zaren oder gar im Horrorladen von öligen Scheichs, nach deren Gesetzen ich mindestens schon dreimal zum Tod verurteilt worden wäre.

Und weil es ein paar Begriffe gibt, ohne die angeblich kein Resümee der Zweiten Republik auskommt, hier in aller Kürze für die Suchmaschinen: Renner, Jörg Haider, Raab, EU, Dichand, Wirtschaftswunder, Schärf, Jörg Haider, Kreisky, Staatsvertrag, Neonazis, Zwentendorf, Jörg Haider, Hainburg. Jörg Haider wurde ja schon erwähnt.

DIE FURCHE, Donnerstag, 18. Dezember 2014


Es gibt natürlich keine Asylanten- und Flüchtlingswelle.....

-- Glaubauf Karl, Donnerstag, 5. Februar 2015, 19:11