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Was ist Biopolitik? (Essay)#

Martin G. Weiß

Ob es sich nun ummedizin-ethische Probleme oder die Organisation des Gesundheitswesens handelt: Das menschliche Leben wird heutzutage immer öfter zum Gegenstand der Politik.

Das war durchaus nicht immer so, zumindest wenn man dem französischen Philosophen Michel Foucault (1926–1984) Glauben schenken darf. Diesem zufolge ging es der Politik bzw. dem Souverän, unabhängig davon, ob es sich um einen absolutistischen Herrscher oder eine demokratisch entscheidende Volksversammlung handelte, lange Zeit mehr um Landgewinn und die Organisation des öffentlichen Lebens, während die private Sphäre der Bürger und ihre biologischen Lebensfunktionen nicht von Interesse waren.

Im Laufe des 17. und vollends im 18. Jahrhundert begann sich der Staat jedoch plötzlich für das nackte Leben seiner Bürger zu interessieren. Staatliche Krankenhäuser und Irrenanstalten wurden etabliert, Hygienevorschriften erlassen und die Fortpflanzung und Vermehrung der Staatsbürger zu einem primären Anliegen des Staates. Das Leben als solches wurde zum Gegenstand und zur Ressource der Politik.

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben (* 1942) geht davon aus, dass das nackte Leben immer schon den eigentlichen Gegenstand der Politik darstellte, denn Bürger eines Staates zu sein bedeutet, wie das bereits der Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) festgestellt hat, dem Souverän das Gewaltmonopol zuzugestehen und selbst auf jegliche Gewaltausübung zu verzichten. Das heißt aber auch, dass Staatsbürger zu sein bedeutet, dem Staat ausgeliefert zu sein, insofern der Souverän es ist, der die „Macht über Leben und Tod“ ausübt, wie es Foucault definiert.

Dass ein wesentliches Merkmal der Politik in dieser Macht des Souveräns über das Leben seiner Bürger besteht, zeigt sich etwa in der Bestimmung der allgemeinen Wehrpflicht im Kriegsfall, der zumindest erwogenen Rechtfertigung von Folter oder der andiskutierten Möglichkeit, entführte Passagiermaschinen mitsamt den unschuldigen Passagieren abzuschießen, wenn damit „Schlimmeres“ verhütet werden könnte. An all diesen Beispielen wird deutlich, dass der Staat, „gegründet um des Überlebens willen“ und „bestehend um des guten Lebens willen“, wie es bei Aristoteles (384–322 v. Chr.) heißt, immer auch eine dunkle Seite hat, denn die schützende Macht über das Leben beinhaltet immer auch die Verfügung über dasselbe und damit die Möglichkeit zu töten. Freilich bleibt mit Agamben zu hoffen, dass es eine Alternative zu dieser auf der Idee der Souveränität gründenden Politik gibt. Wie dieses Gemeinwesen jenseits staatlicher Strukturen aussehen soll, bleibt allerdings ein Aspekt, den auch Agamben im Dunkeln belässt.


Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:

© 2007 by Styria Verlag in der, Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien
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