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Verfolgte Verfolger#

Politisch-psychologische Reflexionen über Mehrheit und Minderheit#


von

Wilfried Daim


Hinter der Kärntner "Urangst" steht letztlich der uneingestandene Wunsch, die in der Anwesenheit von Slowenen in Kärnten bestehende "Gefahr" dadurch aus der Welt zu schaffen, dass man dafür sorgt, dass es hier eben bald keine Slowenen mehr gibt. Das heißt nicht physische Liquidierung, es heißt auch nicht Aussiedlung wie unter Hitler, sondern das heißt Entslowenisierung der Slowenen. Wenn immer mehr Slowenen keine Slowenen mehr sein wollen - so lautet der Trugschluss -, dann fällt auch die Gefahr von "Grenzkorrekturen" weg.

Das ist deshalb ein Trugschluss, weil für einen so tiefgreifenden Vertragsbruch heute kaum mehr nationale, sondern wesentlich weiter reichende ideologische - gesellschaftssystembezogene - und im einzelnen machtpolitische und strategische Gesichtspunkte entscheidend sind und nicht ein paar Zehntausende Angehörige eines Volkes, das auch im eigenen Land eine Minderheit ist. Für den Fall, dass jugoslawische Truppen im Rahmen eines dritten Weltkrieges Teile Österreichs besetzen wollten, würden sie immer eine Rechtfertigung finden.

Internationale Vergleiche#

Aber das Kärntner Problem sollte nicht ohne Seitenblick auf diesen internationalen Minoritätenaufbruch gesehen werden. Denn die Tatsache, dass Basken und Kurden, Iren und Waliser, Bretonen und Südtiroler, Neger und Indianer (in den USA) nach größeren Rechten verlangen, bedeutet einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Bewußtseinslage der beiden Lager in Kärnten. Sie erhöht das Selbstbewußtsein der Slowenen und verunsichert die Mehrheit, die in ihrem moralischen Verhalten in Frage gestellt wird, hat man doch international gerne mehr Sympathien mit der Minorität - wenn auch nicht gerade mit der jeweils eigenen.

So bekommen die nordirischen Katholiken Unterstützung aus der Irischen Republik, aber auch von Iren in den USA. Die Motive solcher Unterstützungen mögen dabei keineswegs immer lauter sein. Neben der Sympathie für die Schwachen gibt es meist ein Interesse an der Schwächung eines Landes durch irgendwelche andere Länder. So hatte der Schah von Persien an den armen Kurden im Irak vor allem das Interesse, den Irak zu schwächen. Als der Irak dem Schah Zugeständnisse machte, verlor dieser sein Interesse an den Kurden.

In Kärnten aber beachtet man die internationalen Verflechtungen zuwenig und sieht so auch nicht, dass man unter Umständen in Gefahr gerät, ganz Österreich in des Teufels Küche zu bringen, seine internationale Reputation zu schädigen und staatliche Beziehungen zu verschlechtern. Dies wird im übrigen Österreich durchaus registriert, und man läßt sich nur höchst ungern von den Kärntnern in mißliche Lagen bringen. Auch in Kärnten spürt man das, doch manövriert man sich in die psychische Haltung eines trotzigen Kindes, das zornig aufstampft; man spricht unter Umständen sogar von "Verrat". Denn die bemerkenswerte Isolation der Kärntner Deutschnationalen erzeugt natürlich nicht gerade ein angenehmes Gefühl. Und diese Isolation wird immer mehr gespürt.

Die Sozialdemokratie ist im Rahmen unseres Fragenkomplexes insofern von großer Bedeutung, als sie sowohl in Wien als auch in Kärnten die Regierungspartei (wenn auch nicht im ganz gleichen Sinne) stellt. In Kärnten ist, wie in den anderen Landtagsparteien auch, ein Teil der führenden Sozialisten seinerzeit mit dem Nationalsozialismus verbunden gewesen; und die alten Nationalsozialisten haben weder für ein unabhängiges Österreich noch für die soziale Freiheit gekämpft. Es ist sicherlich unausweichlich, dass die sattsam bekannte Feststellung gemacht wird, nur ein bodenständiger Kärntner könne sich hier ein Urteil bilden. Man sollte dies damit beantworten, dass schließlich das übrige Österreich - eventuell auch Südtirol - ein Kärntner Fehlverhalten ausbaden müsse und daher sehr wohl ein Recht, ja die Pflicht habe, sich einzumischen.

Da die (Süd-)Tiroler ein großes Interesse an der Abwehr des italienischen Bevölkerungsdruckes haben, fürchten sie mit Recht italienische Vorwürfe hinsichtlich des Verhaltens der Österreicher in Kärnten. Insofern wirkt auch die nord-tirolerische Solidarität in die gleiche Richtung. Wie schon gesagt, darf eine Aktion für Kärnten nicht auf die Kärntner beschränkt bleiben. Ja, die in Kärnten unpopulärsten Dinge sollten gerade Nichtkärntner sagen und vertreten, denn diese fahren ja wieder nach Hause, während jene Kärntner, die an der Aktion teilnehmen, sich nolens volens den Aggressionen der Extremisten aussetzen. Man kommt jedoch nicht umhin, einen solchen Einsatz zu fordern.

Zuerst waren die Slowenen da#

Die psychologische Verfassung entspringt einer historischen Problematik, die dadurch entstand, dass ein germanischer Stamm ansässige Alpenslawen überherrschte, wobei die Herren relativ zahlreich waren.

Deutschnationale Historiker in Österreich verbreiten bis heute das Märchen vom "praktisch" menschenleeren Raum, in den die Bayern einströmten, oder dass sie eben einzelne keltische Gruppen germanisierten. Für die slawischen Vorfahren schämen sich die Herren, da sie noch an das Märchen von den minderwertigen Slawen glauben. De facto wurden größtenteils Slawen und nur sekundär romanisierte Kelten überlagert, die dann langsam die Sprache der Herren annahmen und von diesen integriert wurden. Würde allein diese Erkenntnis Allgemeingut, vor allem in Kärnten, könnte sich bereits eine grundlegende Bewußtseinsänderung vollziehen.

Die Slowenen leben in einem geschlossenen Siedlungsgebiet in nach Norden und Westen hin abnehmender Stärke mit "deutschen" (oder "deutsch" gewordenen) Kärntnern zusammen. Gerade diese Konstellation brachte es mit sich, dass sie ständig ihre Aufstiegstypen an die herrschenden "Deutschen" abgaben. Stieg jemand über Bildung und sonstige Tüchtigkeit auf, war fast immer die Germanisierung der Preis.

Der deutschnationalen Offensivhaltung, die Slowenen ökonomisch zu benachteiligen, kommt die Randlage des Grenzgebietes entgegen: längere Transportwege zu den Absatzstellen, keine industriellen und siedlungsmäßigen Ballungsräume im Wohnbereich. Die Verlockung, um ökonomischer Besserstellung willen sich ins deutschsprachige Gebiet zu begeben und damit die Zahl der Slowenen neuerlich zu verringern, ist daher naturgemäß groß.

Feige Bekenner#

Das Nationalbewußtsein sagt beim einzelnen aus, dass er sich mit einer Nation - zumindest primär - identifiziert, sich ihr zugehörig fühlt und sich - zumeist - zu ihr "bekennt".

Das Wort "bekennen" hat nun in Kärnten besondere Bedeutung. Deutschnationale Kreise vertreten bekanntlich das "Bekenntnisprinzip" der Nationalitäten. Das zeigt aber bereits, dass da etwas faul sein muß. Denn unter vernünftigen Menschen stellt man einfach fest, zu welcher Nationalität man gehört, wie man sagt, woher man ist. Wer aus Linz, Stockerau, Murau oder Innsbruck ist, braucht sich nicht zu seinem Geburtsort zu "bekennen", weil kein Vernünftiger darin etwas Negatives sieht.

Das Wort "bekennen" impliziert eine moralische Anstrengung im Rahmen einer diskriminierenden Umgebung. Wer sagt, dass er Sozialist Ist, "bekennt" dies vielleicht in der ÖVP-Zentrale, Im Wiener Rathaus "bekennt" er dabei nichts.

Fühlt man sich in seiner Umgebung diskriminiert, ist eine moralische Anstrengung nötig, um sich zu "bekennen", dann vermag man sehr wohl sich zu einer Nationalität zugehörig zu fühlen und sich zu einer anderen zu "bekennen". Ja, man vermag, da man sich selbst ja nicht als moralischen Schwächling ansehen möchte, das primäre Zugehörigkeitsgefühl zu verdrängen, d. h., man will es nicht wahrhaben und fühlt sich so sekundär als etwas anderes als primär. Solches Nicht-wahrhaben-Wollen hat natürlich eine neurotisierende Wirkung.

Der deutsche Gott blickt in die geheimste Wahlzelle#

Selbst die Anzahl der Slowenen in Kärnten läßt sich schwer feststellen. Denn außer der Muttersprache gibt es praktisch keine verläßlichen "objektiven Merkmale" dafür, ob einer Slowene oder Deutscher ist. Wenn es jedoch nach dem "Bekenntnisprinzip" entschieden wird, so halten die Slowenen das für unfair. Denn in einer Atmosphäre der Slowenenverachtung erfolgt gar manches "Bekenntnis" zur deutschen Sprache keineswegs ganz frei. Zumindest herrscht ein psychologischer Druck dahingehend, die Nationalität zu wechseln. Und je mehr Slowenen umfallen, desto geringer wird ihre Zahl und desto schwerer läßt sich der Rest verteidigen. Es wird dann immer schwieriger, das nötige Schrifttum zu produzieren usw.

Um so mehr beharren die Deutschnationalen auf dem "Bekenntnisprinzip", denn sie wissen natürlich, dass es in Kärnten keiner moralischen Kraft bedarf, sich zum Deutschtum zu bekennen, jedoch einer nicht geringen, dies für das Slowenentum zu tun. Und die mit moralischer Kraft sind immer in der Minderzahl.

Auch eine noch so geheime Abstim-mung nimmt den psychologischen Verachtungsdruck nicht weg. Ist einmal das Werturteil "Slowene ist minderwertig" durchgesetzt, und dies ist in Kärnten seit Jahrhunderten der Fall - sonst wäre da nichts zu "bekennen" -, verschwindet der Druck auch nicht in der geheimsten Wahlzelle.

Reizbare Minderheit#

Die psychologische Situation der Minorität ist psychisch gekennzeichnet durch eine partielle Übernahme des Bewertungsschemas der herrschenden Majorität. Zeichnen sich die Herren durch besondere körperliche Merkmale aus, wie etwa die Wikinger oder die Tataren in Rußland, die Hochlandbewohner in Abessinien, die Weißen gegenüber Indianern oder Negern, dann sind eben die jeweiligen körperlichen Merkmale ein Zeichen von Überlegenheit und Auserwähltheit. Bestehen solche natürliche Differenzen nicht, kann man sekundäre schaffen, wie eben den Zopf der Mandschus gegenüber den Chinesen.

Zuletzt bleibt noch die Sprache als Privilegierten- bzw. Unterprlvilegiertenstigma. Soweit nun die Minorität mehr oder weniger bewußt das Bewertungsschema der Majorität akzeptiert, es introjiziert - "Identifikation mit dem Aggressor" nennt es Freud -, hält sie sich de facto für minderwertig. Durch Eliminierung jener Merkmale, die sie unterwertig erscheinen lassen, kommt man der im Bewußtsein wertvolleren Majorität näher. So glätteten sich USA-Neger früher ihre Wuschelhaare. Ist der Unterschied lediglich einer der Sprache und vielleicht der von Verhaltenstraditionen, kann man durch einen Wechsel in die als wertvoller empfundene Majorität "aufsteigen".

Eine andere Variante des Verhaltens wäre die Ablehnung des Minderwertigkeitsstigmas. Da man aber das Minderwertigkeitsstigma doch introjizierte, also von Minderwertigkeitsgefühlen keineswegs frei ist, überkompensiert man, indem man aufgrund einer gegenteiligen Wertskala die Werte der Herrenschicht abwertet und der eigenen Gruppe besondere Werte zuschreibt, teils illusionäre, teils aufgeblähte vorhandene.

So wird dann im Bewußtsein jener Minoritätspersonen die Minorität zur "Elite", die eigentlich etwas Besseres ist als die Majorität.

Das Schwanken zwischen Minder-und Überwertigkeitsgefühl, das Verkriechen in Isolation und Ghettomentalität, Aggressivität gegen die Majorität und Aggressivität gegen sich selbst - Selbsthaß also -, weil man zu den "Minderwertigen" gehört, machen deren Angehörige leicht empfindlich, reizbar, kontaktärmer nach außen. Verachtung erzeugt Kollektivneurose; das Gefühl, schlechter behandelt zu werden, macht krank.

Natürliche Überlegenheit?#

Die These von der "natürlichen Überlegenheit" der Majorität mag bei einzelnen naiven Typen tatsächlich bis in tiefere psychische Schichten geglaubt werden, bei vielen, wenn nicht letztlich doch allen, macht sich aber ein mehr oder weniger dumpf empfundenes Bewußtsein bemerkbar, dass es sich bei dieser These um eine glatte Lüge handelt. Zwar befindet sich die Minorität zunächst in einer schlechteren Position dank der Zementierung der durch Quantität bedingten Privilegien der Majorität und der permanenten Aufsaugung der Aufstiegstypen der Minorität in die Majorität. Aber von "natürlich" oder "gottgewollt" kann dabei keine Rede sein.

Tatsächlich steckt in der unterprivilegierten Schicht eine große Entwicklungspotenz. Und bei Aufhebung etwa des Bildungsprivilegs ist ein entsprechender Aufstieg der Unterprivilegierten zu erwarten. Da das Wissen um diese Möglichkeiten Angehörigen der Majorität keineswegs fremd ist, sie dies jedoch nicht wahrhaben wollen, verdrängen viele von ihnen gerne das Wissen um die potentiellen Möglichkeiten der Minorität. Sie versuchen, sich selbst von ihrer "natürlichen" Überlegenheit zu überzeugen.

Dabei bedeutet bewußte Teilhabe an beiden Seiten einen echten psychischen Produktionsappell. Man hätte eine Ver-arbeitungsleistung zu erbringen. Der einseitige Fanatiker verfolgt im "Gegner" das verdrängte Eigene, das der Gegner psychologisch repräsentiert.

Die Verdrängung des Wissens um die Aufstiegspotenzen der Unterprivilegierten erzeugt eine Angst, jene könnten das Gesellschaftsniveau der Privilegierten erreichen, ja überholen. Man muß nur die Angst der Heimatdienstleute vor den jungen slowenischen Intellektuellen sehen, um diesen Mechanismus zu verstehen. Es handelt sich um eine Art von gesellschaftlichem Sohnkomplex, um eine Angst der Großen vor den erwachsen werdenden Kleinen. Die Position des Unrechts unterminiert das Überlegenheitsgefühl solcher Privilegierten, und sie rationalisieren ihre Angst vor den Entwicklungsmöglichkeiten der Minorität: sie sehen sich in der Rolle des "Antikommunisten", des "Landesverteidigers" und die Minorität als Quelle der Gefahr.

Das ganze Ensemble der Abwehrmechanismen wird gegen die bessere Einsicht mobilisiert. Verdrängung - man tut z. B. so, als gäbe es kein überwertiges Herrenmenschtum (Verdrängung heißt nämlich: nicht wahrhaben wollen, dass ...); Bagatellisierung - man wertet das ganze Problem als nur unwichtige Nebensächlichkeit, mit der zu beschäftigen es sich gar nicht lohnt, Projektion - man erklärt die Slowenen für gefährlich, obwohl man es selbst ist; Verschiebung - man sucht das Problem in Jugoslawien statt in Kärnten; Trennung des Zusammengehörigen - man leugnet, dass die Tatsache, dass in Kärnten so viele Nazis waren und es sie noch gibt, mit dem sicheren Grundmandat der FPÖ und dem Antislawismus bzw. antislawischen Affekt etwas zu tun hat usw.

Woher der windische Wechselbalg?#

Die Problematik liegt in den Zwischenzonen, den eigentlichen "Kampfgebieten. Die umkämpften Seelen sind das Hauptproblem, das Terrain, um das es geht. Jeder, der vermitteln will, muß das sehen. Die pathologische Form der Zwischenposition zwischen Mehrheit und Minderheit ist dadurch gekennzeichnet, dass eine der Identifikationsseiten zugunsten der anderen verdrängt und die dominante Identifikation extremisiert wird. So wird ein Sprößling eines ukrainischen Adeligen und einer Deutschen - Taras von Borodajkewycz - ein fanatischer Deutschnationaler; ein Herr Pfeiffer wird fanatischer ungarischer Faschist usw. Diese Reaktion auf den inneren Konflikt ist insofern pathologisch, als eine entscheidende Realität negiert wird, nämlich die Mitzugehörigkeit zu jener Seite, gegen die man ankämpft. Die Slowenen sprechen in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht von "Janitscharenmentalität".

In Kärnten gibt es als Zwischenpositio-nelle die sogenannten "Windischen", die der Gesinnung nach aus dem Slowenentum ins Deutschtum überwechseln oder solche, die von Eltern verschiedener Nationalität stammen. Aus dem Deutschtum ins Slowenentum "Abgesunkene" - so muß man sie realistischerweise bezeichnen - gibt es dagegen kaum. Bei den "Windischen" handelt es sich um Slowenen, die einen slowenischen Dialekt sprechen, ohne in der Schule die Möglichkeit gehabt zu haben, die slowenische Hochsprache zu erlernen oder sich diese nicht aneignen wollten.

Es handelt sich dabei auch um eine von den Nationalsozialisten in die Volkszählung Statistik eingeführte Kategorie. Das Herausbrechen eines Teiles der Slowenen als "Windische" hatte für die Germanisierungspolitik einige Vorteile. Zunächst ist eine Dialektgruppe ohne Beziehung zur Hochsprache a priori zun Untergang verurteilt, denn sie kann über einen Dialekt nicht am internationalen Schrifttum teilhaben. Dies geht, lehnt man das Hochslowenische ab, nur über das Deutsche. Jede Intellektualisierung bedeutet damit auch Germanisierung. Im Dialekt kann nur das Niedervolk als Volk überleben. Wahrscheinlich hat ein slowenisch-sprachiger Bauer mit einem deutschsprachigen Bauern in Kärnten mehr Wertpräferenzen gemeinsam als mit einem Intellektuellen seiner eigenen Nationalität.

Reinheit ist dumm#

Personen, die einen slowenischen Vater und eine deutschkärntnerische Mutter oder umgekehrt haben, sind klassische Zwischenpositionelle. Ist die Ehe gut, gibt es gegenseitige Achtung der Eltern, und liebt das Kind beide Elternteile, dann ist die Chance, dass hier ein echter Vermittler heranreift, sicherlich in hohem Maße gegeben. Aber kommt es, wenn die Ehe schlecht ist, zur Identifikation mit einer Seite gegen die andere, dann erhalten wir den klassischen Fall nationaler Fanatiker, wobei natürlich auch noch der nicht unerhebliche Umweltdruck eine Rolle spielt. Solche Personen sind in Kärnten sehr zahlreich, wobei das Problem, wenn auch nicht in seiner ganzen Drastik, auch noch in der zweiten und dritten Generation eine Rolle spielen kann, besonders wenn der Familienname auf die Herkunft eines Teils der Vorfahren aus einer anderen Nationalität hinweist als der, in der man sich jetzt beheimatet fühlt.

Assimilierung wirkt in der ersten Generation natürlich besonders verunsichernd. Denn wer um des sozialen Aufstiegs willen seinen Ursprung verleugnet, der ihn als minderwertig ansieht, weiß ja doch um diesen Ursprung, dessen Realität sich nicht eliminieren läßt. Und das belastet. So entsteht dann leicht die "Janitscharenmentalität".

Nun ist eine große Zahl der Deutschkärntner teilweise slowenischer Herkunft. Wenn nicht in der ersten Generation, so ist sicher in einer der vorhergehenden praktisch jeder Südkärntner partiell slowenischer Herkunft, es sei denn, er ist von außerhalb dieses Gebietes zugewandert.

Erinnert man besonders "heimattreue" Kärntner an diese Tatsache, dann ärgert man viele. Nun ist diese Wut nur ver-ständlich aus einer ganz falschen, wissenschaftlich völlig unhaltbaren These, die allerdings die Nationalsozialisten mit Nachdruck vertraten, dass nämlich irgendwelche "Reingezüchtete", Ungemischte besonders wertvolle Menschheitsexemplare ergeben würden, obwohl die ganze Kulturgeschichte das Gegenteil bezeugt. Da nämlich kulturelle Überlappungserscheinungen einen höheren Konflikt- und damit Bewußtseinsgrad erzeugen, provozieren sie auch synthetisierende Geistesakte und damit kulturelle Leistungen.

Wird man sich der Falschheit, um nicht zu sagen Dummheit der Reinheitstheorie einmal bewußt und betrachtet man das Slowenische dem Deutschen als völlig gleichwertig, steht einer Bewußtwerdung partieller slowenischer Herkunft nicht nur nichts mehr im Wege, man vermag sie sogar als Vorzug zu erkennen. Der Krebsschaden liegt in der Verachtung des Slowenischen, sonst wäre der ganze neurotisierende Zauber unnötig.

Die Slowenen werden in Österreich zwar nicht "physisch", wohl aber in ihrem Zugehörigkeitsgefühl zum Slowenentum liquidiert. Sie sind objektiv - wegen ihrer geringen Volkszahl - in Österreich bzw. auch in Jugoslawien in einer schlechten Position. Sie müssen selbst eine zusätzliche Sprache lernen, um in Österreich und international bestehen zu können, und sie können nicht ohne weiteres eine gleichwertige Gegenleistung erwarten. Sicherlich, wenn sich Slowenen durchsetzen, dann sind sie besonders erfolgreich, weil sie besonders tüchtig sein müssen.

Russen drücken von unten, Deutschnationale von oben#

Nun wollen die Kärntner Slowenen heute zum größten Teil keineswegs zu Jugoslawien kommen, wogegen auch die internationale Situation (insbesondere die verschiedenen Gesellschaftssysteme von Jugoslawien und Österreich) spräche. Jugoslawien selbst steht innen- und außenpolitisch in einem äußerst komplizierten Spannungsfeld. Es ist ein kommunistisches Land, aber ein häretisches. Es umfaßt Slowenien, ist jedoch kein slowenisches Land. Es ist ein "östliches" Land, jedoch blockfrei usw.

Der historisch verschiedene Background der einzelnen Landesteile des heutigen Jugoslawien wirkt sich teils kulturell, teils ökonomisch aus. Die ungleich längere türkische Herrschaft im Süden Jugoslawiens bewirkte - da sich diese Teile fern vom türkischen Zentrum in einem langsam schwächer werdenden Staat befanden - eine ökonomische und auch bildungsmäßige Zurückgeblieben heit dieser Landesteile im Gegensatz zu den Teilen im Verband der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Jugoslawien vereinigte also große Teile teils gut-, teils schlechtentwickelter Länder. Dazu kamen die Unterschiede der Religion - hier römisch-katholisch, dort orthodox bzw. muselmanisch, hier lateinische Schrift, dort zyrillische. Was den verschiedenen ökonomischen Entwicklungsstand betrifft, so gibt es Analogien zwischen der Lage Jugoslawiens und der Italiens, dessen Süden lange unter spanischer Herrschaft gestanden hat, wobei das Interesse der Spanier an Unteritaüen viel geringer war als das Österreichs an Oberitalien.

Um nun das ganze Land auf ein einheitliches ökonomisches und kulturelles Niveau zu heben, bleibt im wesentlichen nur die Möglichkeit, Gewinne aus dem Norden zu Investitionen im Süden zu benützen. Im andern Fall gäbe, ja gibt es tatsächlich auch eine mit der italienischen analoge Süd-Nord-Bewegung gerade der initiativen Kräfte, was dann zu einer weiteren Zementierung der gegebenen Verhältnisse führen müßte. Andererseits ist der Abfluß von Mehrwert aus dem Norden nach dem Süden ein massives Stimulans für den innerjugoslawischen Nationalitätenpartikularismus, also den kroatischen und slowenischen Partikularismus.

Weiters geben diese Verhältnisse natürlich wieder dritten Mächten die Möglichkeit einzuhaken, so sie an der Unterminierung des jugoslawischen Staates interessiert sind. Hier kommt vor allem die Sowjetunion in Frage. Die Sowjetunion wird alles daransetzen, eines Tages Jugoslawien wieder in den Ostblock zu integrieren, wenn dies nur mit relativ geringem Prestigeverlust zu geschehen vermag. Insoferne ist die Sowjetunion an der Stärkung der zentrifugalen Kräfte in Jugoslawien interessiert. Auch separatistischen Elementen in Slowenien wird naturgemäß das sowjetische Interesse gelten. Das Interesse der Sowjetunion an der Zerstörung des titoistischen jugoslawischen Staates ist für Österreich sehr unangenehm. Es muß der deutschsprachigen Bevölkerung in Kärnten klargemacht werden, dass die österreichische Slowenenpolitik auch weltpolitische Aspekte und entsprechende Verantwortung hat.

Kommunisten, Christen, Käufer#

Da die Kärntner Slowenen viel zu schwach sind, um sich aus eigener Kraft gegen die übermächtige Majorität zu behaupten, wendet sich ein Teil ihrer Vertreter an Jugoslawien, gleichgültig, ob dieses kommunistisch ist oder nicht. Mehr oder weniger in der Tradition des Nationalsozialismus stehende deutsch-nationale Gruppen versuchen nun, den Tatbestand der Rückendeckung der Slowenen dazu zu benutzen, sie insgesamt des Kryptokommunismus zu verdächtigen. Dabei wird es natürlich stimmen, dass die ökonomische Unterstützung der Slowenen durch jugoslawische Stellen diese zur Rücksicht auf Jugoslawien zwingt, auch wenn dieses eine solche Rücksichtnahme nicht fordern würde; man kann einen Spender nicht schlecht behandeln.

Dass die Slowenen deshalb jedoch zu "Befehlsempfängern" Jugoslawiens geworden wären, ist natürlich Unsinn. Allerdings ist der Kommunismus kein einfaches Problem für die österreichischen Slowenen. Die österreichische KP wurde nicht ohne Mühe, doch mit Konsequenz nach der Besetzung der CSSR durch Moskau und Ost-Berlin gleichgeschaltet, wobei in einzelnen Fragen Moskau und Ost-Berlin nicht konform laufen. Sonst jedoch ist die KPÖ gesäubert, und es mangelt ihr jene Eigenständigkeit, die Jugoslawiens KP noch immer aufweist. So kann Moskau auf die österreichischen Slowenen über die KPÖ Einfluß nehmen und über diese auch auf Slowenien selbst, eine von den Jugoslawen nicht ohne Sorge beobachtete Möglichkeit (ähnlich sorgenvoll betrachtet Tito übrigens die Rolle der nationalslowenischen katholischen Priester in Kärnten). Daher liegt auch das Kommunismusproblem keineswegs so einfach, wie der primitive Deutschnationalismus glauben machen will, dessen Antikommunismus mitunter Rechtfertigungsideologie des früheren Nazismus ist.

Wären übrigens jugoslawische Touristen imstande, ähnlich viel auszugeben wie etwa die westdeutschen, würden die slowenischen, ja serbokroatischen Auf schriften, Speisekarten usw. wie Pilze aus dem Boden schießen. Denn ökonomische Argumente machen selbst auf eingefleischte Deutschnationale Eindruck. An Einkaufstagen sprechen in den Läden der grenznahen Orte auch radikal deutsche Geschäftsleute mit den aus Slowenien kommenden Kunden gern slowenisch ...

Quelle#

Neues Forum, April 1976, S. 23 ff.

Wilfried Daim im Neuen Forum:
Marx im CV, NF Juni/Juli 196
Die Selbstkastration der Autoritäten, NF Oktober 1968
Mehr Rücksicht auf die Russen, NF Jänner 1969
BH hat keine Chance, NF Anfang Februar 1970
Ein katholischer Kriegsdienstverweigerer und was der ORF aus ihm machte, NF Dezember 1971
Ehret eure deutschen Meister. Zur Psychoanalyse der Aggressivität im Sport, NF September/Oktober 1972

Slowenen im Neuen Forum:
Karel Smolle: Hakenkreuz Kärnten 1972, NF November 1972
Spezialheft "Kärnten bleibt deutsch", NF Dezember 1972:
Hanns Haas: Kärntner Abwehrkampf - Eine Geschichtsfälschung Lutz Holzinger: Zur politischen Ökonomie der Kärntner Urangst
Michael Siegert: Die Randdeutschen (Über Hans Steinacher)
Michael Springer: Kärntner Lokalaugenschein
Karl Stuhlpfarrer: Germanisierung in Kärnten
Karel Smolle: Apartheid in Kärnten, NF November 1974
Michael Siegert: Endlösung der Slowenenfrage, NF April 1975