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Kampf um den Boden#

Die Auseinandersetzung um globale Macht wird nicht mehr nur über Öl geführt, sondern auch über die Aneignung riesiger Agrarflächen – zum Schaden ohnehin schon benachteiligter Staaten#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 18. Februar 2010)

Von

Oliver Tanzer


Kampf um den Boden
Die neue Agrarmachtverteilung

Tansania hat schon viele Eroberer kommen und gehen sehen. Im 16. Jahrhundert waren es die Portugiesen, im 18. Jahrhundert Perser und Araber, im 19. Jahrhundert die Deutschen und nach dem ersten Weltkrieg die Briten. Die einen trieben Sklavenhandel, andere raubten Elfenbein, wieder andere machten aus Ackerland Gewürzplantagen. Als das Land in den 60er-Jahren unabhängig wurde, glaubte man, die Zeit der großen Ausbeutung sei vorbei. Weit gefehlt.

Heute ist Tansania eines der ärmsten Länder der Welt. Die überwiegende Mehrheit seiner 41 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung lebt in tiefer Armut. 450 Dollar beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Kopf (Österreich zum Vergleich: 37.300 Dollar). Die unterentwickelte Wirtschaft des Landes hängt zum großen Teil vom Agrarsektor ab. 46 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden so erwirtschaftet. Die Ernteerträge reichen meist nicht aus, um die Selbstversorgung des Landes zu gewährleisten. Mehr als zehn Millionen Tansanier leben in Hunger. Es dürften noch mehr werden in den kommenden Jahren, denn neue Herren kündigen sich an – mit einem großen Hunger nach fruchtbarem Ackerland.

Die große Gier nach Land#

Ein saudi-arabischer Investmentfonds, unterstützt von der saudischen Regierung, verhandelt derzeit über ein 99 Jahre dauerndes "Leasing" von etwa 500.000 Hektar fruchtbaren Landes und vieles spricht dafür, dass die neuen Herren den Zuschlag erhalten werden. Die Saudis sind nicht die einzigen Interessenten: Ein schwedisches Firmenkonsortium verhandelt mit Tansania über den Ankauf von 400.000 Hektar Land zum Anbau von Zuckerrohr für die Erzeugung von Biotreibstoffen. In der betroffenen Provinz Bagamoyo werden Tausende Bauern ihre Existenzgrundlage verlieren mit entsprechenden Konsequenzen für die lokale Versorgung mit Nahrungsmitteln.

"Land grab" heißt dieses Phänomen, das den Verantwortlichen der Vereinten Nationen zunehmend Sorge bereitet. Kapitalstarke Investoren und die Regierungen bevölkerungsreicher oder ressourcenarmer Staaten, wie etwa jene Indiens und Chinas oder Saudi-Arabiens versuchen vermehrt, Landbesitz in fruchtbaren Teilen Afrikas, Asiens und Südamerikas zu erwerben, zulasten der meist verarmten Bevölkerung. Das internationale "Food-Policy-Research-Institute" in Washington geht von 20 Millionen Hektar aus, die seit 2006 weltweit von Unternehmen, Staaten oder Banken aufgekauft wurden, darunter von Agro-Invest-mentfonds der Deutschen Bank und der US-Gruppe Goldman-Sachs.

Die Interessen der Investoren sind dabei sehr unterschiedlich. Reiche Ölländer, wie Saudi-Arabien, Quatar, Bahrain oder die Vereinigten Arabischen Emirate, suchen vor allem nach der Sicherung ihrer Nahrungsmittelversorgung. Saudi-Arabien beispielsweise verbraucht 80 Prozent seiner Wasserreserven für künstlich angelegte Getreidefelder. Das kostenintensive Agrarprogramm lässt das Regime in Riad nun aber bis 2016 auslaufen. Statt dessen werden Unternehmen massiv unterstützt, die ihr Geld in den Erwerb von Agrarflächen in Afrika und Indonesien fließen lassen. Die "Hail Agricultural" ist eine solche Firma, die mit 60 Prozent staatlicher Unterstützung 50.000 Hektar Land im Sudan gemietet hat.

Die saudische Regierung freute sich Anfang 2009 schon über den ersten im Ausland geernteten "saudischen" Reis. Absurd wird ein solches Geschäft allerdings, wenn – wie geschehen – Äthiopien, der weltweit größte Empfänger von Lebenslieferungen, Getreide nach Arabien exportiert oder der indische Agrarkonzern "Karuturi" in Äthiopien Ölsaaten, Getreide und Rosen für den Export anbaut – und das auf 300.000 Hek-tar Ackerland. Doch die zumeist schiefe Optik scheint die Landkäufer nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Saudische Unterhändler verhandeln derzeit mit Kasachstan, der Türkei und der Ukraine. Bereits erfolgreich waren die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihrem "Abraaj Capital Fund", der sich zuletzt 800.000 Hektar fruchtbares Land in Pakistan sicherte.

Chinas Landhunger#

China, das eigenen Angaben zufolge seit 1997 66.000 Quadratkilometer fruchtbares Land durch Wüstung verloren hat, ist ebenfalls auf Einkaufstour, in Afrika (Berichte von Landkäufen in Nigeria, Zimbabwe, Malawi und Angola) und in Südostasien (Vietnam, Reisproduktion). In Mosambik soll China nach Angaben der Hamburger Zeit bereits chinesische Bauern eingeschifft haben. Offiziell läuft dort allerdings nur ein von Peking mit 50 Millionen Dollar gefördertes "Hilfs- und Forschungsprogramm" für afrikanische Reisbauern, denen chinesische Agraringenieure zur Seite stehen.

Chinas südlicher Nachbar Indien hat sich derweil in Südamerika umgetan und in Paraguay und Uruguay massiv in den Anbau von Ölsaaten zur Erzeugung von Nahrungsmitteln und Biotreibstoff investiert. Die Liste der Landkäufer ließe sich beliebig fortsetzen. Sie reicht von einer britischen Bergbaugesellschaft, die für Bioethanol Zuckerrohrplantagen in Mosambik anpflanzen will, bis zum südkoreanischen Daewoo-Konzern, der für wenige Millionen Dollar die Hälfte der Agrarflächen Madagaskars aufgekauft hätte, wäre er nicht von einem Volksaufstand daran gehindert worden. "Früher waren Nahrung und Hunger weiche Themen", resümierte Anfang des Jahres die Financial Times, "doch nun sind sie gemeinsam mit Erdöl zum Schlüssel der Macht und der wirtschaftlichen Sicherheit geworden." Diese Ansicht bestätig auch der aktuelle "Weltagrarbericht", der einen Über- und Ausblick auf die dramatische Situation der Ressourcen Land, Wasser und Nahrung gibt, zusammengestellt von über 500 Wissenschaftern in vierjähriger Forschung.

Einige der ernüchternden Erkenntnisse: Seit die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsstaaten 1996 versprachen, die Zahl der Hungernden bis 2015 um 415 Millionen zu senken, ist deren Zahl um 200 Millionen auf 1,05 Milliarden gestiegen. Dabei übersteigt das globale Produktivitätswachstum in der Landwirtschaft das Bevölkerungswachstum bei Weitem. Warum dann die Negativentwicklung? "Ein wachsender Anteil der Produktion dient nicht mehr der Ernährung, sondern wird als Tierfutter, Treibstoff und für andere industrielle Zwecke verwendet." Die Menschheit stehe vor einer "Entkoppelung, Zertrennung und Entfremdung von Lebensmittelproduktion und -verbrauch", so die Wissenschafter. Nummerisches Fazit: Von 4600 Kalorien, die auf Feldern produziert werden, kommen nur 2000 nach Ernteverlust, Transport und Verarbeitung im Haushalt an. Die Grundstrategie der Agrarwirtschaft, mit industrieller Technik und Chemie den Einsatz menschlicher Arbeit zu ersetzen, erweise sich letztlich vor dem Hintergrund des Klimawandels als Sackgasse, kommentiert der Agrarbericht: "Ausgelaugte und versalzene Böden, Entwaldung, Vergiftung ganzer Wasserläufe und ein Artensterben ungekannten Ausmaßes sind der ökologische Preis dieses Fortschritts."

Doch was folgt aus diesen Erkenntnissen? Die Experten fordern angesichts der Globalisierung und der Öffnung der Agrarmärkte revolutionäre Antworten: Die massive wirtschaftliche Förderung kleinbäuerlicher Strukturen in Entwicklungsländern und die Errichtung von Handels- und Zollbarrieren zum Schutz lokaler und nationaler Märkte. Doch dagegen wehren sich die international operierenden Großkonzerne ebenso wie die Welthandelsorganisation WTO, die im "Protektionismus" einen der Hauptfeinde des Wirtschaftswachstums sieht.

Stimmt es allerdings, was die Experten des UN-Ernährungsprogrammes UNEP in ihren Modellen errechnet haben, dann steuern -einige der größten Nahrungsmittelerzeuger mit oder ohne Handelseinschränkungen auf eine Katastrophe zu: Die Agrarproduktivität sinkt demnach bis 2080 aufgrund des Klimawandels in den USA, Indien, Südamerika und Südafrika um bis zu 50 Prozent.

Was wiederum zum essenziellen Punkt der Sache führt: Wer 2080 über genug Kornkammern verfügt, also in der Ukraine, Argentinien oder Äquatorialafrika, hat den Kampf um Macht und Ressourcen gewonnen. Aber was tun die anderen – jenseits der Biosprit-Plantagen von Tansania?

  • Nur 47 Prozent der Weltgetreideproduktion werden laut Weltagrarbericht für die Ernährung verwendet. Der Rest wird an Tiere verfüttert, verheizt oder zu Sprit verarbeitet.

  • 2,6 Milliarden Menschen, 40 Prozent der Weltbevölkerung leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. 85 Prozent der Landwirte besitzen weniger als zwei Hektar Ackerland.

Die FURCHE, 18. Februar 2010