!!Verfassung: Die rechtliche Grundordnung für Demokratie


Von

__Manfried Welan__

\\

Was ist eine Verfassung und wann braucht man sie? Jede Gemeinschaft
braucht Spielregeln. Sie machen diese erst aus und charakterisieren
sie. Besonders gilt dies für den Staat als Rechtsgemeinschaft.
Die Verfassung ist die meist in einer Urkunde fixierte rechtliche
Grundordnung eines Staates. Sie enthält Spielregeln der Politik.
Sie legt die Grundrechte fest, regelt die Wahlen, die Gesetzgebung und
Grundzüge von Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Es war die Erfahrung des
Missbrauchs der Macht durch die Herrscher, die zum Verfassungsstaat der
Neuzeit führte. Eine Verfassung sollte die Freiheit vom Staat durch
Grundrechte und Bindung an Gesetze gewährleisten. Sie sollte auch
Freiheit im Staat durch Mitbestimmung bringen. Das Volk hat an der
Staatswillensbildung mitzuwirken. Verfassungsfragen sind nach einem
berühmten Wort auch Machtfragen. Der Kampf um die Verfassung war auch
ein Kampf um die Macht: Im 19. Jahrhundert war es vor allem der Kampf
zwischen Bürgertum und Monarchen, im 20. Jahrhundert der Kampf zwischen
den politischen Parteien. Verfassungsgeschichte wurde seit der
Revolution 1848 in Österreich zur Demokratiegeschichte. Der Kampf um die
Verfassung war auch ein Kampf um Demokratie. Der 1848 gewählte Reichstag
arbeitete einen Verfassungsentwurf aus (Kremsierer Entwurf). Der Entwurf
des Grundrechtskataloges proklamierte schon die Volkssouveränität:
"Alle Staatsgewalten gehen vom Volk aus." Die Revolution wurde zwar vom
Kaiser niedergeschlagen, Kaiser Franz Joseph löste im März 1849 den
Reichstag auf, aber die Idee der Verfassung setzte sich umso mehr durch,
als der Kaiser militärische und politische Niederlagen hinnehmen musste.
Nicht zuletzt als Folge der Niederlage von Königgrätz 1866 kam es zur
Dezemberverfassung 1867. Sie war ein Kompromiss zwischen Monarch und
Bürgertum. Mehrere Staatsgrundgesetze wurden zur Grundlage des
Verfassungslebens der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder
von 1867 bis 1918. In dieser Zeit kam es zur fortschreitenden
Demokratisierung des Wahlrechts, damit zur steigenden Mitbestimmung des
Volkes und zur wachsenden Bedeutung der politischen Parteien. Die
Niederlage der Habsburgermonarchie 1918 führte zu ihrer Auflösung und
zur demokratischen Republik. Träger dieser Revolution waren die großen
Parteien des Abgeordnetenhauses der Monarchie. Die aus Sozialdemokraten,
Christlichsozialen und Deutschnationalen bestehende Nationalversammlung
beschloss schließlich am 1. Oktober 1920 die noch heute geltende
Bundesverfassung (B-VG).




!Verfassung: Die rechtliche Grundordnung für Demokratie


Das Verfassungsleben ab 1848 war ein Laboratorium des Staatsrechts. In diesem Prozess lassen 
sich die großen Probleme der Verfassung erkennen: die Frage der Grund- und Freiheitsrechte, die 
Frage der föderativen Ordnung - also des Bundesstaates - und die Frage des Verhältnisses von 
Gesetzgebung und Vollziehung. Die österreichische Verfassungsgeschichte zeigt, dass großen 
Reformen fast immer Anstöße von außen vorausgegangen sind. Die Februarrevolution 1848 in 
Paris führte zur österreichischen Revolution 1848 und zur weiteren Verfassungsenfwicklung. 
Zuletzt gaben der Grundrechtskonvent und der Verfassungskonvent der EU den Anstoß zum 
Osterreichkonvent 2005.


!Grundprinzipien (Baugesetze) der Verfassung

Das sind jene leitenden Grundsätze, deren Veränderung eine Gesamtänderung der Bundesverfassung ist. 
Sie bedarf der Annahme des entsprechenden Verfassungsgesetzbeschlusses des Nationalrates durch eine 
Abstimmung des Bundesvolkes. Dazu gehören:       das Prinzip der demokratischen Republik, das 
bundesstaatliche und das rechtsstaatliche      Prinzip. Von manchen wird auch das Prinzip der 
Gewaltentrennung als eigenes hervorgehoben. Hier wird es zum rechtsstaatlichen Prinzip gezählt. 
Staatszielbestimmungen wie das Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität, zur umfassenden Landesverteidigung, zum umfassenden Umweltschutz u.a.m. gehören nicht zu den Grundprinzipien.

Art. 1 B-VG: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus."      
Das bedeutet die Ablehnung der monarchischen Staatsform. Das Staatsoberhaupt,      
der/die Bundespräsidentin, wird vom Volk gewählt. Seine/ihre Amtsperiode ist zeitlich       
begrenzt und er/sie ist für die Ausübung seines/ihres Amtes verantwortlich. Für manche      
bedeutet Republik mehr als „Nichtmonarchie", nämlich Gewaltentrennung, Bindung
auch der - Demokratie an die Verfassung und Zugänglichkeit aller Amter für alle.
Die weltweit einmalige Formulierung „Ihr Recht geht vom Volk aus" verspricht mehr, als
die Verfassung festlegt: Die mittelbare (repräsentative) Demokratie ist nämlich stark, die
direkte Demokratie durch die Einrichtungen des Volksbegehrens, der Volksabstimmung
und der Volksbefragung schwach ausgeprägt. Volksabstimmungen sind an sich nur über
Gesetzesbeschlüsse vorgesehen, nicht aber über Staatsverträge.
Art. 2 B-VG: „Österreich ist ein Bundesstaat. Der Bundesstaat wird gebildet aus den	 
selbstständigen Ländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien." Schon durch die alphabetische Aufzählung ist die 
Gleichheit der Länder ausgedrückt. Der österreichische Bundesstaat setzt im Wesentlichen die Einteilung der Monarchie in Kronländer fort. 

Charakteristisch ist die Aufteilung 
der Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Ländern und deren Teilnahme an	 
der Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes durch die Länderkammer „Bundesrat".	 
Die meisten Staatsaufgaben mit Einschluss der Gerichtsbarkeit sind dem Bund übertragen. Die Mitwirkung des Bundesrates ist schwach, allerdings ist der Anteil der Länder an	 
der Führung der Verwaltungsgeschäfte des Bundes durch den Landeshauptmann/die Landeshauptfrau (mittelbare Bundesverwaltung) stark.	
Das rechtsstaatliche Prinzip ist nicht ausdrücklich festgelegt. Es war aber schon in der Monarchie durch die Grundund Freiheitsrechte, durch die Aufteilung der Staatsfunktionen auf verschiedene voneinander unabhängige und 
einander gegenseitig kontrollierende Funktionsträger (Gewaltentrennung), die Unabhängigkeit der Richter, durch 
die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Rechnungs- und Gebarungskontrolle festgelegt. Die 
Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung, die der gesamten Verwaltung an inhaltsbestimmte Gesetze, die 
Selbstverwaltung und die Volksanwaltschaft gehören ebenfalls zum rechtsstaatlichen Prinzip.



!Realverfassung und Verfassungswirklichkeit


 Realverfassung nennt man die wirklichen Machtverhältnisse und -träger, vor allem politische  
Parteien, Verbände wie Wirtschaftskammer, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Industriellenvereinigung, Massenmedien wie ORF und „Kronenzeitung". Die Koalition von SPÖ und ÖVP und die Kooperation der Großverbände (Sozialpartnerschaft) waren und
sind Realverfassung.

      Verfassungswirklichkeit wird oft als Gegenbegriff zum Verfassungsrecht verwendet. Manche meinen damit die Realverfassung. Meistens steht dahinter aber ein überzogenes Verfassungsverständnis, das vom Verfassungsrecht eine vollkommene Bindung von Politik        nach Art 
eines politischen Grundbuches oder Eisenbahnfahrplanes verlangt. Verfassungsrecht ist aber als Spielregel 
relativ offen. Es enthält nur Rahmen und Schranken der Politik,   -  nicht ihr Abbild. Politik und politische 
Akteure können diese Regeln unterschiedlich ausfüllen und damit die Verfassung unterschiedlich 
verwirklichen. Die Verfassungsverwirklichung    bietet ein unterschiedliches Bild bei unterschiedlichen 
Regierungsformen. Bei einer Alleinregierung oder Minderheitsregierung entwickelt sie sich anders 
als bei einer kleinen oder großen Koalition. Daher ist es immer wichtig, die realen Gegebenheiten mit dem 
Verfassungsrecht, Kontext mit dem Text der Verfassung zusammen zu betrachten. Grenze ist die 
Verletzung der Spielregeln, der Widerspruch zur Verfassung, die Verfassungswidrigkeit.


!Der Österreichkonvent
      
      Die Bundesverfassung 1920 hat sich im Großen und Ganzen bewährt. Aber sie hat an       
Ordnung und Übersichtlichkeit verloren. Das Verfassungsrecht umfasst mehr als 2.000 Seiten Text 
und an die l.400 speziellen Verfassungsregelungen. Es gab seit 1920 über hundert       Änderungen der 
Verfassung als solche. 2003 entschieden in einem großen Konsens alle Parteien und 
Gebietskörperschaften, einen Osterreichkonvent einzuberufen . Er sollte 
Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform ausarbeiten. Ende 2005 beendete er 
seine offizielle Tätigkeit und legte einen Bericht mit zahlreichen Vorschlägen vor. Die Arbeit wurde im 
kleinen Kreis fortgesetzt. SPÖ und ÖVP haben vieles davon ins Regierungsprogramm übernommen. Mit 
der kleinen Demokratiereform 2007 (insbesondere die Herabsetzung des Wahlalters, Briefwahl) und 
mit       der Verfassungsnovelle Ende 2007, die vor allem eine Verfassungsbereinigung brachte, wurden 
erste Konsequenzen aus der Arbeit des Konvents gezogen. Bausteine für eine Verfassungsreform mit Maß 
und Ziel sind vorhanden. Die Reform muss weitergehen.



__Weiterführende Literatur__\\
Welan, Manfried: Recht in Österreich. Ein Überblick. Wien, 2. Aufl., 2000\\
Welan, Manfried/Noll, Alfred J.: Republik Europa. Staat und NichtStaat im überregionalen Kontext. Wien 2006.\\
Welan, Manfried: Über die Grundrechte und ihre Entwicklung in Österreich. Wien 2002.\\
Welan, Manfried/Pelinka, Anton: Austria Revisited. Demokratie und Verfassung in Österreich. Wien 2001.


[http://www.demokratiezentrum.org|http://www.demokratiezentrum.org]

!Quelle
Informationen zur politischen Bildung Nr. 28


[{Metadata Suchbegriff=' Verfassung: Die rechtliche Grundordnung für Demokratie, Welan' Kontrolle='Nein'}]