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Ein konstruktiver Staatsdiener#

Eine Erinnerung an den Juristen Heinrich Klang, der die österreichische Rechtsprechung maßgeblich beeinflusst hat.#


Von der Wiener Zeitung, freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 24. Jänner 2009)

von

Martin Niklas und Günter Gößler


© Wiener Zeitung
© Wiener Zeitung

Zumindest der älteren Juristengeneration dürfte „der Klang“ noch als Namensgeber für den bahnbrechenden „Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch“ ein Begriff sein. Wer sich jedoch, wie die Autoren dieses Artikels, mit Fragen des NS-Vermögensentzuges und früheren Restitutionsmaßnahmen beschäftigt, wird auf Heinrich Klang auch als den ersten Vorsitzenden der 1947 beim Obersten Gerichtshof (OGH) in Wien eingerichteten Obersten Rückstellungskommission (ORK) stoßen. Heinrich Klang wurde am 15. April 1875 als Sohn von Karoline und James Klang, Generaldirektor der Versicherungsgesellschaft „Österreichischer Phönix“, in Wien geboren. Nach seiner Schulzeit im Franz-Josephs-Gymnasium absolvierte er von 1892 bis 1897 das Studium der Rechtswissenschaften in Wien, danach begann er seine richterliche Karriere. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war er an verschiedenen Gerichten in und um Wien tätig. Der Qualifikationskommission bei den k.k. Landesgerichten in Wien galt Klang 1914 als „ganz hervorragend tüchtiger Einzel- und Fachrichter“.

Wissenschaft und Praxis#

1903 publizierte Klang seine erste wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „Ein Ratengeschäft über Immobilien“. Insgesamt sollten 775 wissenschaftliche Beiträge, vorwiegend Aufsätze zum bürgerlichen Recht, aber auch über rechtswissenschaftliche Fragestellungen hinausgehende Erörterungen (z.B. über die Geldentwertung Mitte der 1920er Jahre) folgen. Ab 1914 diente Klang an der Ostfront als Offizier der österreichisch-ungarischen Armee. 1916 erfolgte seine Versetzung nach Wien, wo er bis zum Ende des Krieges in der Militärgerichtsbarkeit tätig war. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie kehrte er in den Ziviljustizdienst zurück. Von 1918 bis 1925 führte er am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien verschiedene Gerichtsabteilungen und wurde auch bereits in Rechtsmittelsenaten tätig. Im Oktober 1935 wurde er zu einem Rat des Oberlandesgerichtes (OLG) Wien ernannt. Dort übte er das Richteramt von 1926 bis 1938 aus, ab 1928 als Vorsitzender eines Berufungssenates. 1923 trat Klang in die Redaktion der „Juristischen Blätter“, der traditionsreichsten und bekanntesten juristischen Fachzeitschrift Österreichs, ein, deren Herausgeber er 1928 wurde. Seine Karriere als Wissenschafter erreichte mit der 1923 erfolgten Habilitation als Privatdozent für bürgerliches Recht einen ersten Höhepunkt. Ab 1926 übernahm er auf Ersuchen der Staatsdruckerei die Herausgeberschaft eines Kommentars zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch. Die erste Auflage, zu der Klang selbst wesentliche Teile beigesteuert hatte, konnte 1935 vollendet werden. In den 1920er Jahren war Klang ein führendes Mitglied der von Franz Klein, dem Schöpfer der österreichischen Zivilprozessordnung, gegründeten bürgerlich-demokratischen Partei. Nach mehreren erfolglosen Kandidaturen bei Nationalratswahlen schlief deren politische Tätigkeit allerdings Anfang der 1930er Jahre ein. Nach dem „Anschluss“ jedoch galt Heinrich Klang „nur mehr“ als Jude, seine wissenschaftlichen und richterlichen Leistungen zählten nichts mehr. (Auf seinen Kommentar zum ABGB wollte man selbst in der NS-Zeit – unter der „neutralen“ Bezeichnung „Kommentar der Staatsdruckerei“ – dennoch nicht verzichten.) Am 1. Juni 1938 wurde er „auf eigenes Ansuchen“ nach fast 41 Dienstjahren in den Ruhestand versetzt. Vom Unterrichtsministerium wurde ihm die Venia Legendi entzogen, er musste auch seine Redaktionstätigkeit für die „Juristischen Blätter“ niederlegen und ließ die Zeitschrift einstellen. Klang, nunmehr einkommenslos, war gezwungen, sein Eigentum zu Geld zu machen, wovon auch seine 9600 Bände umfassende Bibliothek betroffen war. Davon erhielt er nach 1945 lediglich die etwa 3000 Bände umfassende juristische Fachliteratur wieder zurück. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 blieb Klang selbst zwar von Repressalien verschont; doch wurde ihm klar, dass er nicht in Österreich würde bleiben können. Er ließ sich beim amerikanischen Konsulat registrieren, ohne über die tatsächliche Möglichkeit einer Auswanderung in die USA zu verfügen. Zwar erhielt er 1939 von einem New Yorker Anwalt ein Affidavit – eine Art Bürgschaft –, aufgrund seiner späten Anmeldung konnte er aber kein Einwanderungsvisum mehr erlangen. Eine Auswanderung nach Shanghai scheiterte ebenfalls, da er kein japanisches Durchreisevisum erhielt. Die Geldmittel für ein Visum für Kuba – die letzte Chance zur Auswanderung – konnte er nicht mehr aufbringen. Somit musste er den Gedanken einer „legalen“ Emigration aufgeben. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch nach Ungarn wurde Heinrich Klang am 24. September 1942 in das Lager Theresienstadt deportiert. Dort wurde er als Richter am „Ghettogericht“ eingesetzt, dessen Leitung er dann im Herbst 1944 übernahm. Die Aufgaben dieses Gerichtes, das Teil der „jüdischen Selbstverwaltung“ in Theresienstadt war, bestanden vor allem in Verlassenschaftsabhandlungen, Vormundschaften, Kuratelen und Strafsachen. Im Dezember 1944 wurde er auch „Repräsentant“ der österreichischen Häftlingsgruppe im „Ältestenrat“, der Leitung der Selbstverwaltung.

Leben im Ghetto#

Theresienstadt wurde ab 1942 von den Nationalsozialisten unter anderem als Altersghetto für deutsche und österreichische Jüdinnen und Juden und für „prominente jüdische Persönlichkeiten“ verwendet. Die Lebensbedingungen waren katastrophal; die meisten der Inhaftierten starben entweder sehr rasch an Unterernährung und Krankheiten oder wurden bald nach ihrer Ankunft weiter in die NS-Vernichtungslager deportiert. Insgesamt kamen von den über 140.000 Theresienstädter Häftlingen fast 119.000 ums Leben. Von den rund 17.000 österreichischen Jüdinnen und Juden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, wurden fast 15.000 ermordet. Heinrich Klang verzichtete in seiner autobiographischen Darstellung auf eine detaillierte Schilderung des Lagerlebens. „Es hätte auch hier wenig Sinn, die Beschwernisse und Leiden des Lagerlebens zu schildern. Sie sind im allgemeinen bekannt genug und auf Einzelheiten kommt es nicht an. Das menschliche Gedächtnis hat die Eigenschaft, die Vergangenheit zu verklären: die Erinnerung an harte und beschwerende Erlebnisse verblasst, die an erfreuliche haftet lebhafter. Es wäre nicht gut, dieser natürlichen Tendenz entgegenzuarbeiten und Widerwärtigkeiten, die der Vergessenheit anheimfielen, wieder heraufzubeschwören.“ Nach der Befreiung Theresienstadts am 8. Mai 1945 durch sowjetische Einheiten begann die Repatriierung der ehemaligen Häftlinge. Klang organisierte den ersten geschlossenen Transport für Überlebende aus Österreich, der am 7. Juli 1945 Wien erreichte. Noch im Juli 1945 wurde Klang dem OGH in Wien zugeteilt, im November 1945 wurde er zum Senatspräsidenten des OGH ernannt und zum Referenten des provisorisch konstituierten Verfassungsgerichtshofs bestellt. Ab 1945 engagierte er sich auch in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die dringend anstehende Regelung der „Wiedergutmachungsfrage“, das heißt, der Rückgängigmachung bzw. Beseitigung der nationalsozialistischen Arisierungs- und Entziehungsmaßnahmen. In den Jahren 1946 und 1947 war Klang auf Einladung der Ministerialbürokratie in die Schaffung der gesetzlichen Restitutionsgrundlagen involviert. Insbesondere wurde er als „Geschädigtenvertreter“ den Ausschussberatungen des Nationalrates über das Dritte Rückstellungsgesetz beigezogen, der weitaus bedeutendsten Restitutionsvorschrift, die vor allem die von Privatpersonen vorgenommenen Arisierungen und Vermögensentziehungen rückgängig machen sollte. Unter maßgeblicher Beteiligung Klangs erhielt dieses Gesetz Ende Jänner 1947 seine endgültige Fassung. Retrospektiv sah Klang das Dritte Rückstellungsgesetz als adäquates Mittel zur Bewältigung der Problematik. Er glaube, schrieb er, „dass das Gesetz im ganzen gelungen ist und die Härten, die es unzweifelhaft, bald für die eine, bald für die andere Seite mit sich gebracht hat, unter den gegebenen Umständen kaum vermieden werden konnten.“ Die Vertrautheit mit der Materie und die lange richterliche Erfahrung dürften neben der politischen Unbescholtenheit den Ausschlag gegeben haben, dass Klang im April 1947 zum ersten Vorsitzenden der ORK bestellt wurde. Dieser aus drei Richtern bestehende Senat hatte in dritter und letzter Instanz das im März 1947 in Kraft getretene Dritte Rückstellungsgesetz zu vollziehen. Neben dieser Tätigkeit führte Klang bis zu seiner endgültigen Versetzung in den Ruhestand Ende 1949 beim OGH weiterhin den Vorsitz in einem ordentlichen Zivilsenat und übernahm darüber hinaus Ende 1947 noch den Vorsitz in einem arbeitsrechtlichen Senat.

Politische Querelen#

Dass die Tätigkeit als Rückstellungsrichter auch politische Implikationen hatte, versteht sich von selbst: In ungewöhnlich deutlichen Worten hatte die ORK etwa im Fall einer bis 1938 im Eigentum der Republik Österreich befindlichen Finanzwachkaserne, die vom Deutschen Reich an eine Privatperson verkauft worden war, dem Staat die Anspruchslegitimation abgesprochen: „Das Ergebnis wäre, dass die Republik Österreich es einerseits ablehnt, für Schädigungen, die ihre Bürger durch Vermögensentziehungen erlitten, in irgendeiner Weise aufzukommen, dass sie selbst aber den Ersatz ihrer eigenen Schädigungen auf Kosten ihrer Bürger erhalten würde. Es erübrigt sich, über die Unmöglichkeit einer derartigen rechtlichen Regelung weiter zu sprechen“ (in ORK Rkv 50/48). Solche Entscheidungen ließen bei der Finanzprokuratur, dem Anwalt der Republik, erhebliche Zweifel an der Unbefangenheit des Vorsitzenden der ORK entstehen. Sie mündeten gar in der Überlegung, „auf Grund der [. . . ] kritischen Einstellung des Sen. Präs. Dr. Klang gegenüber dem Staat“ einen Ablehnungsantrag zu stellen. Dazu kam es zwar nicht, doch fehlte es nicht an verschiedenen Polemiken. Als Klang Ende 1949 als 74-Jähriger endgültig in den Ruhestand versetzt wurde, konnte er – unterbrochen durch sieben Jahre NS-Herrschaft – auf mehr als 52 (!) Jahre richterlicher Tätigkeit zurückblicken. Privat fand er 1952 sein spätes Lebensglück. Er heiratete seine Schwägerin Helene Klang, die Witwe seines Bruders Fritz, der 1941 verstorben war. Sein zweiter Bruder, der Redakteur und Schriftsteller Marcell Klang, hatte die NS-Zeit ebenfalls nicht überlebt; er war aufgrund „kritischer Äußerungen gegenüber dem NS-Staat“ im Juni 1942 nach Mauthausen deportiert worden, wo er „auf der Flucht“ erschossen wurde. Heinrich Klang starb vor 55 Jahren, am 22. Jänner 1954 in Wien. Ein Jahr später wäre sein 80. Geburtstag zu feiern gewesen. Zu diesem Anlass rühmte „Die Presse“ postum: „Hat er doch wie Sokrates das ungerechteste Schicksal nicht mit Hass gegen den Staat erwidert, sondern mit dem Bestreben, in jeder Lage Nützliches zu leisten...“

Martin Niklas ist Historiker und Referent bei der beim Allgemeinen Entschädigungsfonds der Republik Österreich eingerichteten Schiedsinstanz für Naturalrestitution. Demnächst erscheint seine Monographie zu österreichischen Juden in Theresienstadt. Günter Gößler, Jurist und Historiker, Referent bei der beim Allgemeinen Entschädigungsfonds der Republik Österreich eingerichteten Schiedsinstanz für Naturalrestitution, Autor mehrerer juristischer Fachbeiträge zu Restitutionsfragen.


Wiener Zeitung, Samstag, 24. Jänner 2009