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Was heißt Gleichberechtigung? #

Gerald Stourzh, Doyen der österreichischen Geschichtswissenschaft, hat einen neuen Essay vorgelegt: ein Plädoyer für eine moderne Gleichberechtigungsordnung – im Wissen um deren Gefährdung durch faktische Ungleichheitsentwicklungen und sprachliche Verrohung. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 21. Jänner 2016).

Von

Christoph Konrath


Justitia
Justitia
Foto: © Istockphoto

Die Antwort auf diese Frage scheint vielen selbstverständlich – so selbstverständlich, dass Widersprüche gar nicht mehr auffallen, wenn von ihr als einem „Grundwert“ gesprochen wird, oder wenn sie als Merkmal angeführt wird, das die „Kultur“ des Westens von anderen unterscheide. Wenn aber, wie im Juni 2015, ein Höchstgericht unter Berufung auf Gleichberechtigung ausspricht, dass „jedes Individuum selbst dann das Recht auf Schutz durch die Verfassung hat, wenn die breite Gesellschaft widerspricht und der Gesetzgeber sich weigert, Abhilfe zu schaffen“, kann sich bei vielen Widerspruch regen.

Das Zitat steht im Zentrum der Entscheidung des US-Supreme Court im Fall Obergefell vs. Hodges. Mit ihr wurde festgestellt, dass die Bundesstaaten verpflichtet sind, gleichgeschlechtliche Ehen zuzulassen. Obergefell setzt einen der jüngsten Schritte in der langen Geschichte von Angleichungen zu rechtlicher Gleichstellung. Und sie macht die Brennpunkte der politischen Lebensform jener Länder, die sich auf Demokratie und Menschenrechte berufen, deutlich: die Rechtsperson als Trägerin des Rechts auf politische Teilhabe – als Gleiche unter vielen Gleichen –, und die Rechtsperson, die „als einzelne die Rechtsordnung in Bewegung setzen kann“ (Georg Jellinek).

Konfliktreiche Angleichungsprozesse #

Gerald Stourzh, der seit über 50 Jahren zu den international anerkanntesten Erforschern dieser Geschichte und der sie leitenden Ideen zählt, verbindet diese Brennpunkte in dem ungewohnten Begriff der „modernen Isonomie“. In einem neuen Essay führt er die Schwerpunkte seines reichen Lebens zusammen und legt damit ein Plädoyer für diese „Gleichberechtigungsordnung“ vor.

In der Debatte über die geeignetste Verfassungsordnung für Persien lässt Herodot Orantes die Isonomie der Griechen loben. Der Begriff wird durch seine Bezüge zur Gleichheit und zum Recht, durch seinen moralischen Anspruch hervorgehoben. Demgegenüber betont der uns geläufige Begriff der Demokratie den Aspekt des Herrschens.

Stourzh weist aber auch auf den besonderen Gehalt des Wortes Gleichberechtigung hin, das es so in vielen anderen Sprachen nicht gibt. Im Unterschied zu „equal rights“ oder „droits egaux“ wird im Deutschen zugleich eine Feststellung getroffen, ein Anspruch und ein Auftrag formuliert. Gleichberechtigung ist nichts Selbstverständliches, und die Gleichheit an Rechten darf nicht mit einer gleich-machenden Ordnung verwechselt werden.

In der antiken Isonomie war nur eine kleine Gruppe gleichberechtigt. Der Weg zur modernen Isonomie zeichnet sich durch konfliktbehaftete Angleichungsprozesse aus, in denen der einzelne Mensch als Rechtsperson in den Vordergrund tritt und zum Leitbild wird. Dem steht eine durch Abstufungen geprägte Ordnung gegenüber: Herr und Knecht, Mann und Frau, Freie und Sklaven, Christen und Juden. Auch das Wort Jesu „ich aber habe euch Freunde genannt“ (Joh 15,15) stand der Hierarchie im Himmel – in Wien erinnert die Kirche zu den neun Chören der Engel daran – und auf der Erde lange nicht entgegen. Dabei, und das ist entscheidend, geht es nicht um die harmlos klingende Frage, jedem „seinen Platz zuzuweisen“ und damit das Zusammenwirken in der Gesellschaft zu betonen, sondern es geht darum, einander als freie, gleiche und rechtsfähige Personen wahrzunehmen.

Im Zentrum einer Gleichberechtigungsordnung muss das stehen, was Hannah Arendt als einziges Menschenrecht bezeichnet: das Recht, Rechte zu haben. Als Menschenrecht muss es jeder Mensch haben, egal ob Mann oder Frau, egal welcher Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung. In den Konflikten um Gleichberechtigung geht es folglich nicht bloß um Unterordnung, sondern um Rechtsverweigerung.

Das wird an gegenläufigen Entwicklungen zur Gleichberechtigung deutlich. Auf die Veränderung des Denkens – etwa in der Zwischenkriegszeit weg von einzelnen Menschen zu „Ganzheiten“ –, die Desensibilisierung der Sprache in Politik und Medien – „lebensunwertes Leben“ – folgt der Prozess der Rechtszerstörung. Das ist die Verweigerung von Rechten des Einzelnen und die Zerstörung eines demokratischen Rechtssystems, das erst aufgrund einer Vielfalt an Meinungen und Idealen, die im Recht artikuliert werden können, existiert.

Die Sicherung der „Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt“, wie es Johann Gottlieb Fichte ausgedrückt hat, zeigt sich für Stourzh im Streben nach gleichen Rechten. Ihre Grundlage bildet die allgemeine Rechtsfähigkeit, die Anerkennung als Rechtsperson und somit im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen Leben sichert. Aus ihr folgt aber noch nicht Gleichheit, wie die Geschichte der Rassentrennung in den USA, die auf die Aufhebung der Sklaverei folgte, zeigt. Erst mit der Rechtsgleichheit werden Statusunterschiede aufgehoben, und mit ihr wird jedem Menschen der Zugang zu den grundlegenden Einrichtungen des Rechts – und damit den Institutionen des modernen Staates – gesichert. Wie lange die Verwirklichung dieses Ziels dauern kann, macht die Reform des Familienrechts in Österreich deutlich: Hier konnte der Ehemann bis 1977 über die Erwerbstätigkeit der Frau bestimmen.

Schutz von Minderheiten #

Rechtsansprüche müssen artikuliert, verteidigt und durchgesetzt werden können. Das geschieht durch das allgemeine Wahlrecht und die Einrichtungen des demokratischen Staates. Und es geschieht durch den Schutz von Minderheiten, die keine Möglichkeit haben, je selbst zur Mehrheit zu werden, oder die vom demokratischen Stimmrecht ausgeschlossen sind. Daher kommt Verfassungsgerichten eine wesentliche Stellung in der Isonomie zu. Sie ermöglichen es jedem, die Prüfung politischer Entscheidungen am Maßstab der Verfassung zu verlangen. So geht eine der wichtigsten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes der letzten Jahre auf die Beschwerde zweier Asylwerber zurück: Sie stellt klar, dass auch bei Fällen in Österreich die EU-Grundrechtecharta zu beachten ist.

Stourzh hält hartnäckig an der Rede von Menschen- und Grundrechten und ihrem universalen Geltungsanspruch fest. Er ist sich bewusst, dass ihre ursprünglich motivierenden Antriebskräfte – das Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts, die Renaissance der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg – erodieren. Er weiß um die materiellen und sozialen Bedingungen, auf die die Gewährleistung von Rechten angewiesen ist, und um die Gefahren, die aus faktischer Ungleichentwicklung und Desensibilisierung der Sprache folgen.

Dieser Fokus auf Rechte und Individuen kann irritieren. Er fordert angesichts bestehender Verhältnisse heraus, kann mit der Absolutsetzung des Einzelnen und dem Schüren von Konflikten assoziiert werden. Die Geschichte der Angleichungen macht aber deutlich, dass Verletzungen und Unterdrückungen zuerst kommen. Rechte sind Antworten auf Unrechtserfahrungen. Erst die Sprache des Rechts ermöglicht es – unabhängig von Wertschätzung und Wohlwollen –, diese Erfahrungen zu artikulieren und Vergleichsstandpunkte für die (Neu-)Bewertung von Handlungen zu finden.


Bild 'Buchcover'

Die moderne Isonomie Menschenrechtsschutz und demokratische Teilhabe als Gleichberechtigungsordnung.

Ein Essay Von Gerald Stourzh,

Böhlau 2015, 182 S., €35,–

DIE FURCHE, Donnerstag, 21. Jänner 2016