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Warum heute noch immer „Wiedergutmachung“? #

Thomas Olechowski

Die jüngst erfolgte Rückgabe von fünf Klimt-Gemälden aus dem Besitz der Republik Österreich an ihre rechtmäßigen Eigentümer hat die Frage der „Wiedergutmachung“ an NS-Opfern erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Dabei sind Verfahren, in denen es um Kunstgegenstände von unvorstellbarem Wert geht, sicher nicht typisch für die gegenständliche Problematik und nur zu sehr geeignet, in einem großen Teil der Bevölkerung einen falschen Patriotismus und Zweifel an der Richtigkeit derartiger Restitutionen aufkommen zu lassen.

Denn die meisten jener Zehntausenden Österreicherinnen und Österreicher, die Opfer des Nationalsozialismus waren, waren ja keine schwerreichen Großindustriellen (wie Ferdinand Bloch, der ursprüngliche Eigentümer der genannten Klimt-Gemälde); es waren Kleingewerbetreibende, Beamte, Ärzte oder Landwirte. Viele von ihnen hatten Hals über Kopf flüchten und ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen müssen; andere waren ins Konzentrationslager gebracht worden, während ihr Vermögen von der NS-Vermögensverkehrsstelle „arisiert“ worden war. Wieder andere waren keiner persönlichen Verfolgungen ausgesetzt gewesen, hatten aber dennoch durch NS-Willkür große Teile ihres Vermögens verloren. – Vermögen: Das waren nur selten weltberühmte Gemälde, das waren meist Möbel, Goldschmuck oder Wertpapiere, Wohnungen oder Zinshäuser, eine Gemischtwarenhandlung in Graz oder eine Buchbinderei in Wien, ein Kaffeehaus in Salzburg oder ein Sägewerk in Kärnten.

Mehr als 60.000 Rückstellungsanträge wurden zwischen 1947 und 1965 bei den zuständigen Behörden gestellt. Dabei hatten jene, die soweit gekommen waren, bereits eine Reihe von Hürden bewältigt: Denn um einen Antrag zu stellen, bedurfte es sowohl genauer Kenntnisse der komplizierten Rückstellungsgesetze und der sehr kurz bemessenen Fristen als auch, wer sich im Moment im Besitz des entzogenen Vermögens befand und gegen wen sich daher der Rückstellungsanspruch zu richten hatte. Keine Chance hatte daher z. B. jener ehemalige Rechtsanwalt (!) aus der Leopoldstadt, der bei seiner Flucht eine juristische Bibliothek, einen Bösendorfer- Flügel, Anzüge und Hemden zurücklassen hatte müssen: Diese Gegenstände waren im Dorotheum zu „Schleuderpreisen“, wie er es nannte, versteigert worden und damit unwiederbringlich verloren. Verzweifelt schrieb er Brief um Brief aus seiner Einzimmerwohnung in Buenos Aires an Rechtsanwälte und Behörden in Wien; von seinem ehemaligen Vermögen sah er bis zu seinem Tod nichts mehr.

Aber auch wenn das Vermögen noch existierte und der neue Besitzer bekannt war, so dauerte es meist Jahre, bis die zuständige Behörde die Rückstellungspflicht ausgesprochen hatte. Der neue Besitzer war dann schon meist nicht mehr der seinerzeitige „Ariseur“, sondern derjenige, der die Rückstellungssache viel später von ihm gekauft hatte. Nun musste er sie an den geschädigten Eigentümer zurückstellen und bekam dafür von diesem nur das als Entgelt, was seinerzeit der geschädigte Eigentümer vom Ariseur erhalten hatte. So wirkten sich die unfairen Kaufpreisbedingungen, die die NS-Vermögensverkehrsstelle ausgeheckt hatte, nun gegen Personen aus, die womöglich bis 1945 überhaupt nichts mit der Sache zu tun gehabt hatten.

Die Kompliziertheit der Rückstellungsgesetze sowie ihre Lückenhaftigkeit, vor allem aber die Weigerung des Staates, selbst für Ersatz zu sorgen, führten also sowohl auf Seiten der geschädigten Eigentümer als auch auf Seiten der späteren Besitzer immer wieder zu großen Härten, und auch wenn nach dem Krieg viel getan wurde, um erlittenes Unrecht „wieder gut zu machen“, so erfolgten die Maßnahmen doch immer nur halbherzig und zögernd.

Ein – freilich erst Jahrzehnte später bekannt gewordener – Ausspruch des Ministers Oskar Helmer zu dieser Problematik lautete: „Ich wäre dafür, dass man die Sache in die Länge zieht.“ Und so ist es vielleicht erklärlich, dass die Republik erst mehr als fünfzig Jahre nach dem Krieg das Nationalfondsgesetz 1995, das Kunstrückgabegesetz 1998 und das Entschädigungsfondsgesetz 2001 erließ, mit denen die teils tatsächliche, teils symbolische „Wiedergutmachung“ nun endlich vollzogen werden soll.

Thomas Olechowski

Ausschnitt aus dem Bundesgesetz über einen Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus: „Artikel I § 2. (1): Der Fonds erbringt Leistungen an Personen, die vom nationalsozialistischen Regime aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung, auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder auf Grund des Vorwurfes der sogenannten Asozialität verfolgt oder auf andere Weise Opfer typisch nationalsozialistischen Unrechts geworden sind oder das Land verlassen haben, um einer solchen Verfolgung zu entgehen.“


Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:

© 2007 by Styria Verlag in der, Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien
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