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Arbeit neu gedacht #

Wir brauchen eine neue Ausbalancierung zwischen Erwerbs-, Familien- und Sozialleben. Das alles ließe sich sogar finanzieren und umsetzen. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 3. Dezember 2015)

Von

Hans Holzinger


Symbolbild: Arbeit
Symbolbild: Arbeit
Foto: https://pixabay.com

Menschen verbrachten in der Steinzeit laut Studien zur „Stone Age-Economy“ täglich nur zwei Stunden mit Arbeit, den Rest des Tages konnten sie sich der Geselligkeit und dem Nichtstun hingeben. Noch in der Antike war körperliche Arbeit verpönt, die freilich von Sklaven verrichtet werden musste. Erst mit dem sich ausbreitenden Christentum kam es zur Aufwertung von körperlicher Arbeit – Josef, der Vater von Jesus war ein Handwerker. In der katholischen Kirche wurde Arbeit neben das Gebet gestellt – „Ora et labora“ lautete etwa das Gebot der Jesuitenorden. Mit dem protestantischen Arbeitsethos wurde Arbeit endgültig für alle erstrebenswert.

Selbst die sozialistische Bewegung hatte mit den Kapitalisten eines gemeinsam: das Hohe Lied auf die Produktivkraft der Werktätigen. Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit – die sogenannte „Employability“ – gelten auch im modernen Wohlfahrtsstaat, der ja zugleich ein Wettbewerbsstaat ist, als unhinterfragte Leitwerte. Auch Programme zum „Life Long Learning“ oder die Wachstumsstrategie der Europäischen Union, die diese zur wettbewerbsfähigsten Region der Erde machen will, zeugen davon.

Was kann daran falsch sein, mögen Sie fragen. In einer Gesellschaft, in der vornehmlich Erwerbsarbeit die materielle Absicherung garantiert und auch die zentrale identitätsstiftende Institution darstellt, ist Arbeitslosigkeit nicht nur ein finanzielles Problem (verringertes Einkommen), sondern auch ein soziales (verringerte Anerkennung). Arbeitslosigkeit ist somit keiner Gesellschaft zuträglich, vor allem in der Form von Dauerarbeitslosigkeit, in der Menschen über längere Zeit oder überhaupt von Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden.

Arbeit besser verteilen #

Dass alle Bürger für sich und ihre Lieben selber sorgen können und – durch Steuern – auch zum Gemeinwohl beitragen, ist durchaus sinnvoll und gehört zur Würde des Menschen. Vollbeschäftigung soll demnach auch aus sozialhygienischen Gründen weiter als erstrebenswert gelten, auch wenn wir uns immer weiter davon entfernen, wie aktuelle Arbeitslosenstatistiken zeigen. Die Vollbeschäftigung der Zukunft muss aber – so bezeugen mittlerweile zahlreiche Studien – mit weniger Erwerbsarbeit ermöglicht werden. Wie soll das gehen?

Eine zentrale Herausforderung wird in der besseren Verteilung des vorhandenen Erwerbsarbeitsvolumens liegen. Es geht um Zeitpolitik, die den Menschen in all seinen Tätigkeitssphären wahrnimmt. Wir leben im Paradox: die einen arbeiten immer mehr – 270 Millionen Überstunden wurden in Österreich 2014 geleistet – und andere finden gar keinen Job. Zugleich steigen Stress und psychische Belastungen bei denen, die Arbeit haben, was menschliches Leid, aber auch volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Laut Pensionsversicherungsanstalt gab es in Österreich 2012 3,4 Millionen Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen; 1999 waren es „erst“ 1,4 Millionen.

Erwerbsarbeit trägt wesentlich zur Sinnfindung und sozialen Integration bei. Der Begriff „Work-Life-Balance“ ist daher irreführend. Es geht nicht um Arbeit hier und Leben dort, denn Arbeit ist ein Wesensbestandteil des Lebens. Das Ziel liegt darin, dass wir uns als sinnvoll in unserem gesamten Tun erfahren können. Tätigkeitswohlstand bedeutet demnach zum einen eine ansprechende und gut zu bewältigende Erwerbsarbeit, zum anderen aber auch die Zeit zu haben für die vielen weiteren, notwendigen und erfüllenden Tätigkeiten: Sorge um Kinder oder ältere Menschen, Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe, Engagement in einer sozialen oder politischen Initiative. Als „gute Arbeit“ wird jene Arbeit bezeichnet, von deren Einkommen man gut leben kann und deren Entlohnung als gerecht empfunden wird. Dazu gehört auch, dass diese abwechslungsreiche Tätigkeiten bietet, die weder unter- noch überfordern und deren Inhalte als sinnvoll erfahren werden. Auch wenn man dem Vorschlag des „bedingungslosen Grundeinkommens“ nicht folgen will – ich persönlich plädiere für großzügigere Karenzmodelle, die alle Erwerbstätigen in den Genuss von „Auszeiten“ kommen lassen –, so steht eine Neuverteilung der verbleibenden Erwerbsarbeit dringend an. Der Ethiker Clemens Sedmak fordert in diesem Sinne die Möglichkeit einer „würdevollen-Arbeitslosigkeit“, die für ein Innehalten oder eine Neuorientierung genutzt werden kann.

Auf jeden Fall brauchen wir eine neue Ausbalancierung zwischen den unterschiedlichen Tätigkeitssphären, um dem Diktat von Zeitstress und zunehmender Unvereinbarkeit von Erwerbsleben und Familien- sowie Sozialleben zu entgehen. Eine Gesellschaft egoistischer Singles würde zwar kurzfristig den Konzernen eine noch „optimalere“ Verwertung seiner Arbeitskräfte ermöglichen, die Gesellschaft mittelfristig aber zusammenbrechen lassen. Neue Modelle sind gefragt.

Ein ganzheitliches Verständnis von Arbeit sowie eine Neuverteilung der Erwerbsarbeit würden dem Argument für Wirtschaftswachstum, nämlich permanent Jobs schaffen zu müssen, den Wind aus den Segeln nehmen. Die Arbeitszeitmodelle der Zukunft reichen von der 30-Stunden-Woche als neuer Durchschnittsnorm über eine „Dreizeit-Gesellschaft“, die in bewusster Absetzung von der Freizeitgesellschaft aus je einem Drittel Erwerbsarbeit, Eigenarbeit und Muße besteht, bis hin zu einer „Halbtagsgesellschaft“, in der zukünftig Erwerbsarbeit auf die Hälfte reduziert würde, dafür andere Tätigkeitsbereiche an Gewicht gewinnen – ein Modell, das von Carsten Stahmer durchgerechnet wurde. Um allen Menschen in Deutschland Erwerbsarbeit zu ermöglichen, müssten die Erwerbsarbeitsstunden pro Kopf im Durchschnitt auf 1000 reduziert werden. Derzeit lägen wir bei 1700, so Stahmer. Die Sozialwissenschaftlerin Frigga Haug spricht schließlich von der „Vier-in-einem-Perspektive“.

Sie schlägt als Ziel für Männer und Frauen je ein Viertel Erwerbsarbeit, Eigen- bzw. Reproduktionsarbeit, Zeit für kulturelle Entwicklung (Bildung, Reisen) sowie politisches Engagement vor. Erwerbsarbeit wird auch in Zukunft den zentralen Stellenwert in arbeitsteiligen Gesellschaften einnehmen. Auch wird der Anteil sozialer Dienstleistungen weiter steigen. Finanziert können diese nur werden durch einen Produktionssektor hoher Wertschöpfung – „High Tech“ finanziert sozusagen „High Touch“. Dies hätte auch positive ökologische Auswirkungen: Der ressourcenintensive Güterkonsum würde zurückgehen, wohl auch der Freizeitkonsum – die Menschen würden wieder mehr miteinander machen. Zudem würden in einer „Drei-Tage-Woche“ die Arbeitswege und die Verkehrsbelastungen merklich sinken.

Gut arbeiten in der „Dreizeit-Gesellschaft“ #

Und wie soll das finanziert werden? Erstens: Arbeitslosigkeit ist auch teuer. Würde diese bedeutend sinken, würden Mittel frei werden. Zudem wären neue Prioritäten zu setzen: Die tendenzielle Verschiebung der Abgabenlast von Erwerbsarbeit auf Ressourcenverbrauch, Wertschöpfung und hohe Vermögenskonzentrationen würde Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich zumindest für niedrige Einkommen ebenso finanzierbar machen wie die Aufrechterhaltung oder gar Ausweitung staatlicher Leistungen. Die neuen Arbeitszeitmodelle könnten durchaus auf Wahlfreiheit basieren, doch Unternehmen, die sie anbieten, würden steuerlich begünstigt, und Arbeitnehmer, die diese in Anspruch nehmen, würden finanziell „belohnt“. Die Übernahme von Sorgetätigkeiten würde besser honoriert – entweder über mehr staatliche Transferleistungen oder über Zeitguthabensysteme, die etwa in Japan bereits praktiziert werden. Diese erweiterte Tätigkeitsgesellschaft ließe auch den auf uns zukommenden Übergang in Postwachstumswirtschaften frühzeitig einleiten. Denn knapp sind heute nicht mehr Arbeitskräfte, sondern Ressourcen, was auf die ökologischen Grenzen verweist, und Absatzmärkte, die mit Sättigungstendenzen ringen.

„Glaubst du, es gibt ein Leben nach der Arbeit?“ – So die Frage eines zusammengekauerten Mannes an das neben ihm am Fluss sitzende Glücksschweinchen in einer vielsagenden Karikatur. Die Vertröstung auf das Leben jenseits der Arbeit – im Urlaub oder gar in der Pension – ist eine gefährliche Falle. Wir leben jetzt und die Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens. Wir haben daher das Recht auf ein gutes Leben in der Erwerbsarbeit und außerhalb. Bereits 1930 hatte der Ökonom John Maynard Keynes einen Aufsatz unter dem Titel „Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkelkinder“ publiziert. Keynes prognostizierte darin eine Zukunft, in der die Menschen aufgrund der Produktivitätsfortschritte im Kapitalismus mit einem Bruchteil des Arbeitsaufwandes – höchstens drei Stunden täglich – ihre materiellen Bedürfnisse befriedigen und sich in der übrigen Zeit der Muße, zweckfreien Bildung, musischen Betätigung sowie Hilfe für die Ärmeren hingeben würden. Ein schönes Ziel. Es ist sinnvoll, dieses wieder in den Blick zu nehmen.

Der Autor ist Nachhaltigkeitsexperte und forscht an der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg.

Auszug aus der Furche vom 2. Mai. 1970 / Nr. 18 #

Arbeiten in einer leeren Fabrik...#

Die Bewältigung der Zukunft, Teil 3: Mobilität und Umschulung #

Von Hans Schöner

Der Industriebetrieb der Zukunft wird – ähnlich wie im Märchen – ohne sichtbare Menschenarbeit funktionieren. In riesigen Hallen, so prophezeien die Zukunftsforscher, werden „Geisterhände“ Werkstücke bearbeiten, Maschinen ein- und abschalten und jene Tätigkeiten ausführen, zu denen heute nur Menschenfinger imstande sind. (...) Immerhin: der Hilfsarbeiter der Zukunft wird zum technisch versierten Steuerungsfachmann, der heutige Arbeiter zum Ingenieur. Auf dem Weg zu dieser Entwicklung allerdings geraten Politiker und Psychologen, die Manager der Wirtschaft und die Vertreter der Arbeiter in ein Spinnennetz von Problemen. Die Umschulung und Berufsfortbildung stellt neue Aufgaben und fordert neue, radikalere Wege der Bildungspolitik. Noch sind in Österreich die Weichen nicht gestellt. (...)

DIE FURCHE, Donnerstag, 3. Dezember 2015