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Spezialisten im Verborgenen #

Rund 8000 Menschen gelten hierzulande als Asperger-Autisten. Allmählich wissen Betriebe, ihre Fähigkeiten zu nutzen. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE Donnerstag, 18. April 2013

Von

Anna Maria Steiner


Die Welt erkunden – das will Amadé Modos, seit er denken kann. Doch im Gegensatz zu Geografie-Interessierten, die den Erdball bereisen, macht er sich fremde Kulturen in der Verständigung vertraut. „So, wie andere Romane oder Geografie- Bücher lesen, lerne ich eben Fremdsprachen. Sie machen für mich die Buntheit des Lebens aus“, verrät Modos, der mittlerweile zwölf Sprachen beherrscht. Wer, wie er, derart multilingual ist, ein Hochschulstudium abgeschlossen hat und darüber hinaus noch umfassend gebildet ist, dürfte kaum Probleme bei der Arbeitssuche haben. Dennoch war der Versicherungsmathematiker vier Jahre lang durchgängig arbeitslos. Grund dafür war sein von vielen als asozial gedeutetes Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich. „Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich fremd gefühlt – als ob mir ein Sinnesorgan fehlen würde und ich blind wäre für die Vorgänge rundherum.“

Im Herbst 2012 kommt endlich der Befreiungsschlag. Ein fachärztliches Gutachten bestätigt, dass Modos nicht etwa abnormal ist, sondern dass Stärken und Schwächen bei ihm einfach anders gelagert sind. Auf Anraten seiner Mutter, die kurz zuvor vom Asperger-Syndrom erfahren hat, lässt er sich testen und weiß heute, dass auch er diese spezifische, autistische Entwicklungsstörung aufweist. Die Schwierigkeit der Diagnose besteht in der Vielschichtigkeit des vom gleichnamigen österreichischen Arzt entdeckten „Asperger“-Syndroms. Betroffene weisen vor allem Defizite im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation und Interaktion auf. In einzelnen Fachbereichen sind sie dafür mitunter überdurchschnittlich begabt. So gelten so genannte „Aspis“ laut Selbstbeschreibung als besonders aufmerksam, ausdauernd, detailgetreu, logisch denkend, hoch motiviert, loyal und wahrheitsliebend. Ihr überdurchschnittlich hohes logisches Denken geht oft einher mit so genannten Inselbegabungen, etwa im Bereich der Mathematik, Logik und der Sprachen.

„Lebensuntüchtige“ Genies #

Dem entgegen steht das häufige Unvermögen, sich im Alltag zurechtzufinden. So ist es auch kein Zufall, dass Modos mit seinen 41 Jahren noch bei seinen Eltern lebt. Den privaten Alltag zu regeln, fällt ihm schwer. Von „Lebensuntüchtigkeit“ spricht er selbst – obwohl er sieben Jahre allein in Innsbruck gelebt hat: „Meine Eltern haben aber den ganzen Umzug organisiert und alles Organisatorische erledigt“, erzählt Modos. Klare Vorgaben sind für Menschen wie ihn von großer Wichtigkeit; Rituale können bei der Bewältigung von unregelmäßig anfallenden Aufgaben helfen.

Amadé Modos
Amadé Modos
Foto: © Privat

Dass über ein Syndrom, von dem laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwischen 0,1 und 0,3 Prozent aller Menschen betroffen sind, dessen Dunkelziffer sich aber im Bereich der Fünfprozentmarke bewegt, noch so wenig bekannt ist, hat vor allem damit zu tun, dass es erst in den 1980er-Jahren vermehrt Eingang in die Fachliteratur fand. „Heute wird das Asperger- Syndrom oft schon von Kindergärtnerinnen erkannt“, weiß Carolin Steidl von der Österreichischen Autistenhilfe (ÖAH). Ihr Verein ist als Kompetenz-, Diagonistik- und Therapiezentrum nicht nur Anlaufstelle für Betroffene und deren Angehörige, sondern unterstützt Menschen mit Asperger auch im Lebens- und Arbeitsalltag.

„Die Defizite der Betroffenen sind in der Arbeitswelt im Grunde marginal“, weiß Andreas Keplinger, Projektleiter bei der Arbeitsassistenz des Wiener Werkstätten- und Kulturhauses (WUK), wo man behinderte und benachteiligte junge Menschen bei der Arbeitsplatz- und Lehrstellensuche sowie bei Problemen im Job unterstützt. Zugleich ist Keplinger auch beim Verein „Specialisterne Österreich“ engagiert. Die im Jahr 2004 in Dänemark vom Vater eines Asperger- Buben gegründete Firma ist darauf spezialisiert, die Arbeitsplätze für Menschen mit Asperger-Syndrom zu schaffen und ihre Potenziale wirtschaftlich zu nutzen. Seit 2012 gibt es „Specialisterne“ (dänisch für „Spezialisten“) auch in Österreich (nähere Informationen unter www.specialisterne.at).

„Die Botschaft unserer Klienten ist zumeist einfach. Sie lautet: ,Passt auf mich in der Arbeitswelt auf‘“, erklärt Keplinger. Oft seien die einzigen als Defizite am Arbeitsplatz ausmachbaren Verhaltensweisen solcher Menschen das Nichtinteresse an Firmenfeierlichkeiten oder am täglichen Tratsch in der Kaffeeküche. Im Fall von Amadé Modos etwa ist es das berufliche Kommunizieren, das ihm Probleme und Ängste bereitet. „Wenn das Schreibtisch-Telefon geklingelt hat, habe ich Angst bekommen, die Absicht des Gegenübers nicht zu erkennen und das Falsche zu sagen“, erinnert er sich. Was sich jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin wünscht, gilt auch für Menschen mit Asperger-Syndrom in der Arbeitswelt: nämlich dass die eigenen Stärken erkannt werden und Nachsicht geübt wird bei Defiziten, die oft als vernachlässigbare Größen behandelt werden können, weil sie auf Arbeitsprozesse keine unmittelbaren Auswirkungen haben. Amadé Modos’ derzeitiger Arbeitgeber hat genau das beherzigt und ihn kurzerhand vom Telefondienst befreit. Seitdem profitiert er von den Stärken seines speziellen Dienstnehmers: Extrem hohe Konzentrationsfähigkeit, Verlässlichkeit und logisches Denkvermögen machen Modos zu einem nicht zu vernachlässigenden wirtschaftlicher Faktor im Unternehmen.

Win-Win-Situation für alle Beteiligten #

„Wenn man für einen solchen Menschen den passenden Arbeitsplatz findet, kann er immens hohe Leistungen erbringen“, betont Elisabeth Krön von „Specialisterne Österreich“. In Trainingsprogrammen werden Betroffene für einen gelungenen beruflichen (Wieder-)Einstieg vorbereitet. Parallel dazu werden Auftraggeber für IT Consulting gesucht – mit dem Ziel, eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten herzustellen. Etwa 20 Teilnehmer werden 2013 im Trainingsprogramm begleitet. Gleichzeitig wird momentan mit etwa 15 Firmen über eine Zusammenarbeit verhandelt, wobei sowohl Menschen mit autistischer Wahrnehmung wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen auf den gegenseitigen Umgang im Alltag vorbereitet werden. „Wichtig dabei ist, diese Menschen normal im Berufsalltag zu integrieren und nicht auf Spezialschienen zu schieben“, mahnt auch Carolin Steidl von der Österreichischen Autistenhilfe in diesem Zusammenhang ein.

Dass die Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen am Arbeitsmarkt nichts mit Almosen zu tun hat, wissen auch die Unternehmer selbst. Für Michael Fembek, Leiter des „Humanprogramms“ der heimischen Handelskette bauMax und Programm- Manager der Essl-Foundation, die mit ihrem „Zero Project“ am Abbau zwischenmenschlicher Barrieren arbeitet (siehe Kasten), ist für das Gelingen einer integrativen beruflichen Initiative vor allem ein Faktor entscheidend: nämlich Zeit. „Der betriebswirtschaftliche Nutzen für ein Unternehmen, das Menschen mit Behinderung integriert, ist nicht sofort erkennbar“, sagt Fembek. „Aber längerfristig profitieren alle am Arbeitsprozess Beteiligten.“ Wenn erst die Stärken erkannt und dementsprechend umgesetzt würden, dann steige die Arbeitszufriedenheit aller: die der so genannten „Behinderten“ – und auch die der so genannten „Normalen“.


Hilfen zur beruflichen Integration #

Menschen mit Handicaps stoßen im Job oft auf Probleme – oder sind überhaupt arbeitslos. Ende 2012 waren von den 96.000 begünstigten behinderten Personen in Österreich knapp 8000 ohne Beschäftigung, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent. (7,8 Prozent sind es unter der Gesamtbevölkerung.) Um die berufliche Integration zu forcieren, sind alle Arbeitgeber laut Behinderteneinstellungsgesetz verpflichtet, auf je 25 Mitarbeiter mindestens einen behinderten Menschen einzustellen. Ansonsten ist eine Ausgleichtaxe von 238 Euro monatlich fällig. Vorbildliche Länder punkte Integration sind derzeit die Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, das Burgenland und Wien. Tirol und Vorarlberg sind säumig, Niederösterreich erfüllt die Vorgabe exakt. Abgesehen von der Beschäftigungspflicht gibt es zahlreiche Hilfen im Rahmen der nationalen Beschäftigungsoffensive zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung (https://www.sozialministeriumservice.at, www.dabei-austria.at):

  • Das Clearing oder Jugendcoaching soll den Weg in ein Lehrverhältnis erleichtern.
  • Die Berufsausbildungsassistenz (BAS) unterstützt Jugendliche im Betrieb. Bei Bedarf ist eine verlängerte Lehrzeit oder Teilqualifizierung möglich.
  • Die Arbeitsassistenz begleitet bei der Arbeitssuche, hilft in der Anfangsphase sowie bei etwaiger Jobgefährdung.
  • Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz (PAA) bietet Menschen mit schwerer Behinderung (ab Pflegestufe 3) unentgeltliche Unterstützung durch einen persönlichen Assistenten.

Dazu kommen zahlreiche andere Initiativen: Der Österreichische Zivilinvalidenverband (ÖZIV) etwa bietet Firmentrainings an, um Mitarbeiter für den Umgang mit behinderten Menschen zu sensibilisieren („Access“). Die Initiative „Support“ leistet kostenloses Coaching (www.oeziv.org). Und das von der Essl-Foundation ins Leben gerufene „Zero Project“ will mittels Publikationen, Kongressen und einer Website zum Abbau von Barrieren beitragen.(dh)

--> www.zeroproject.org

DIE FURCHE, Donnerstag, 18. April 2013