Beziehung in Arbeit #
Das Verhältnis des Menschen zum Tier war stets widersprüchlich. Der Schlüssel zu einem neuen Verständnis führt über die Einsicht, dass Vernunft und Moral Verantwortung mit sich bringen. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 31. Juli 2014)
Von
Raimund Lang
Tiere zeigen allzu menschliche Eigenschaften: Intelligenz, Gefühl und, je nach Definition, auch Moral. Bahnt sich somit ein neues Verhältnis von Mensch und Tier an? Im Anschluss an die Weltkonferenz zur Anthropozoologie beleuchtet die FURCHE eine uralte Beziehung zwischen Terror und Liebe.
Innige Beziehung #
Einer unserer Alltagsmythen besagt, dass Hundebesitzer im Lauf der Zeit ihren vierbeinigen Lieblingen zu ähneln beginnen. Trotz der latenten Gehässigkeit dieser Behauptung liegt ein Körnchen Wahrheit darin. Tatsächlich gibt es seitens psychologischer Forschung Hinweise, dass sich Hundehalter unbewusst solche Exemplare aussuchen, die ihnen ähnlich sehen. Dieser Befund ist freilich nur ein kleines Puzzlestück auf dem Weg zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Mensch und Tier.
Die Geschichte des abendländischen Denkens ist als eine Geschichte intellektueller Anstrengungen zu verstehen, was genau der Mensch ist. Wie jede Begriffsbestimmung bezieht auch diese ihren Antrieb zum Teil aus der Suche nach Unterschieden. Das Tier als stets präsentes Lebewesen bietet sich dafür idealerweise an. Auf Aristoteles geht das traditionelle Verständnis des Menschen als „zoon logon echon“ zurück, das der Sprache bzw. des Denkens fähige Lebewesen. Daraus machte das lateinische Mittelalter das „animal rationale“, das vernunftbegabte Lebewesen. Dabei lässt sich sowohl das griechische Wort „zoon“ wie auch das lateinische „animal“ ebenso als „Lebewesen“ wie auch als „Tier“ übersetzen. Erst die moderne biologische Systematik hat diese über Jahrhunderte mitgetragene Spannung beseitigt. Der Homo sapiens ist demnach eine Spezies, die zur Gattung der Menschen, zum Tribus der Menschenaffen, zur Familie der Menschenartigen und so weiter gehört.
Biologische Feldforschung #
Geradezu ketzerisch musste vielen die Ansicht des Aufklärers Kant erscheinen, der die Vernunft des Menschen lediglich als Disposition betrachtete, die es zu verwirklichen gilt. Er charakterisiert den Menschen derart, „daß er einen Charakter hat, den er sich selbst schafft, indem er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren; wodurch er als mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier (animal rationabile) aus sich selbst ein vernünftiges Tier (animal rationale) machen kann“.
Fast alle klassischen Theorien haben eines gemeinsam: Sie proklamieren einen fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Demgegenüber nährt die Naturwissenschaft immer stärkere Zweifel an diesem Bild. Bereits seit dem 18. Jahrhundert sank schleichend die tradierte Ehrfurcht, den Menschen als etwas Außergewöhnliches, dem Rest der Natur gleichsam Enthobenes zu betrachten.
Mit solider Regelmäßigkeit erreichen uns aus der Welt der Forschung Nachrichten über tierische Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die traditionell dem Menschen vorbehalten schienen. Mehr noch: In Nischen sind uns Tiere sogar überlegen. Affen können besser klettern, Geparden schneller laufen und Delphine besser schwimmen als die in diesen Bereichen leistungsstärksten Menschen. Körperliche Anstrengung gering schätzende Zeitgenossen zucken angesichts dieser Tatsachen zwar unbeeindruckt die Schultern.
Existenzielle Verbindung #
Doch Tiere können noch mehr „typisch Menschliches“. Zum Beispiel einfache Werkzeuge herstellen: Besonders Schimpansen tun sich hierbei hervor, mehr als zwei Dutzend verschiedene Werkzeugarten sind bei ihnen dokumentiert. Auch bei Elefanten, Fischen, Reptilien und sogar Insekten wurde schon Werkzeuggebrauch beobachtet. Werkzeuggebrauch ist verhaltensbiologisch deshalb so interessant, weil er ein Verständnis der Relation von Zweck und Mittel voraussetzt. Darüber hinaus opfern sich Tiere im Kampf für ihre Artgenossen, trauern um Verstorbene, sind rachsüchtig, spielen. All dies freilich in einem Ausmaß, das bei Weitem nicht an die Komplexität der entsprechenden Verhaltensweisen beim Menschen heranreicht. Besonders deutlich zeigt sich das bei tierischen Kommunikationssystemen, die über keine Grammatik, Begriffsbildung und ein bestenfalls minimales Vokabular verfügen. Doch die Gesamtheit der Beobachtungen der biologischen Feldforschung legt nahe, dass die Annahme einer fundamentalen qualitativen Kluft zwischen Mensch und Tier zu Unrecht den Status eines Dogmas innehat.
Die Frage, deren Antwort am meisten über den Menschen aussagt, lautet deshalb: Wie gehen wir mit den Tieren um? Zwar ist Tierschutz in den meisten aufgeklärten Staaten offiziell eine Selbstverständlichkeit. In manchen, nicht in Österreich, ist er sogar in der Verfassung verankert. Doch gleichzeitig sind die oft dramatischen Zustände der Massentierhaltung, Stierkämpfe oder Großwildjagden zum bloßen Vergnügen Realität. Peter Singer, ein australischer Philosoph mit Wiener Wurzeln, hat 1975 mit seinem einflussreichen Buch „Animalliberation“ (dt. Die Befreiung der Tiere) eine globale Debatte um Tierrechte angestoßen. Darin fordert er, Tiere als moralische Subjekte zu behandeln und argumentiert damit, dass Tiere Schmerzen empfinden: „Jedes Lebewesen, das danach strebt, nicht zu leiden, verdient, dass dieses Streben berücksichtigt wird.“
Eine aktuell besonders radikale Position vertritt der französische Verhaltensforscher Dominique Lestel. Er meint, dass die Selbstwahrnehmung von Menschen stets durch Tiere mitgeprägt ist. „Es ist deshalb falsch, zu sagen, dass wir mit Tieren leben; korrekter ist es, zu sagen, dass wir Tiere sind und Tiere wir sind“, so Lestel. Für ihn liegt die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier auf zwei Ebenen. Zum einen nehmen Menschen Tiere über ihre Nahrung auf (und in eingeschränktem Ausmaß passiert das auch umgekehrt). Andererseits gibt es eine existentielle Verbindung, da sich Mensch und Tier den gleichen Lebensraum teilen, denselben Einflüssen durch die umgebende Welt ausgesetzt sind. „Die Frage ist nicht, wie ich mein Leben mit anderen Lebewesen teile, sondern wie sie mich formen und ich sie forme.“ Die amerikanische Paläoanthropologin Pat Shipman vermutet sogar, dass die Beziehung zwischen Mensch und Tier die treibende Kraft hinter der 2,6 Millionen Jahre langen menschlichen Evolution sein könnte.
Jenseits von Arroganz und Verniedlichung #
Unbestritten ist, dass nur der Mensch über die Fähigkeit verfügt, seine Handlungen zu kartographieren, nach ihren Folgen zu beurteilen und daraus Verhaltensregeln zu kodifizieren. Rechtssysteme, aber mehr noch die diesen zu Grunde liegenden Moralvorstellungen, sind das vielleicht Menschlichste am Menschen. Genau dieser Unterschied zu anderen Lebewesen rechtfertigt aber nicht Überlegenheit gegenüber jenen. Im Gegenteil. Aus moralischer Überlegenheit erwächst Verantwortung. Eben weil Menschen über ethische Normen verfügen, sind sie gleichsam von Natur aus dazu angehalten, ihre Handlungen kritisch zu hinterfragen. Diese Prämisse nimmt keineswegs eine bestimmte Position in der Frage der Tierrechte vorweg. Sie schafft vielmehr die Voraussetzung für die hierzu nötige Diskussion.
Ein neues Verständnis der Beziehung von Mensch und Tier sollte jenseits von Verniedlichung, Rachegefühlen oder plumper Arroganz gedeihen. In den Worten Arthur Schopenhauers: „Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig.“
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