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PISA – wozu? (Essay)#

Martin Retzl

Internationale Schulleistungs- bzw. Schülerleistungstests wie PISA (Programme for International Student Assessment) sind spätestens seit der ersten PISA-Testung im Jahr 2000 sowohl aus der universitären Schul und Bildungsforschung als auch aus den öffentlich- politischen Bildungsdiskussionen kaum mehr wegzudenken.

Sie haben dabei einen Stellenwert eingenommen, der ihren tatsächlichen Wert und die Aussagekraft dermaßen übersteigt, dass es längst notwendig ist, ihnen den Platz zuzuweisen, der ihnen gebührt. Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, um massiven Fehleinschätzungen und daraus falsch abgeleiteten Maßnahmen für Schule und Unterricht vorzubeugen.

So ist dem nationalen PISA-Bericht zu entnehmen, dass PISA „die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme“ messen soll, jedoch werden die Leistungen von Einzelschülern gemessen. Es können daher keine unmittelbaren, wissenschaftlich haltbaren Rückschlüsse auf die Leistung von Schulen, deren Lehrer oder gar das ganze Bildungssystem gezogen werden.

Wie durch PISA selbst bestätigt wird, ist etwa der Einfluss von sozioökonomischen Faktoren auf die Leistungen der Schüler sehr hoch einzustufen. Die Studienautoren relativieren damit ihren Anspruch – die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme durch die Messung der Leistungen von Einzelschülern festzustellen – selbst.

Fest steht, dass sich die öffentlich-politische Darstellung und Verwendung der PISA-Studie von solchen und ähnlichen Tatsachen durchwegs unbeeindruckt zeigen. So werden gestützt auf die PISA-Studie Bildungsdiskussionen geführt sowie Bildungsmaßnahmen und Reformen gerechtfertigt, die PISA weder bestätigen noch widerlegen kann. Es werden Themenbereiche herausgegriffen, dramatisiert oder aus ihrem Zusammenhang gerissen (Lesehysterie, Leistungsabfall 2003 gegenüber 2000). Tatsächlich festgestellte Tatsachen wie die erschreckend hohe Anzahl an 15- bis 16-jährigen potenziellen Analphabeten (mehr als 20 %) werden öffentlich kaum erwähnt. Berechtigterweise drängt sich hier die Frage auf, warum Leistungstests wie die PISA-Studie eigentlich durchgeführt werden, wenn die vorgegebenen Ansprüche nicht haltbar sind und die tatsächlichen Ergebnisse und Aussagen falsch interpretiert bzw. nicht ernst genommen werden.

Zu beobachten ist jedenfalls, dass durch die öffentliche Inszenierung „PISA“ das gute Abschneiden bei einer PISA-Testung zum Maßstab für Schulqualität und letztendlich auch für Ressourcenverteilung wird (teaching for testing).

Das PISA-Bildungsverständnis und die PISA-Bildungsziele unterscheiden sich jedoch von denen der Einzelstaaten. Außerdem werden sie außerhalb der nationalen Parlamente von wenigen Experten festgelegt. Somit wird das PISA-Bildungsverständnis unterschwellig von allen Beteiligten an Schule und Unterricht mitgetragen und verbreitet, eine hervorragende Möglichkeit, unter dem Deckmantel von Freiheit und Autonomie bewusst Politik zu betreiben und die nationalen Bildungsziele (Lehrpläne) zu umgehen.

Die entscheidende Frage, der sich alle Verantwortlichen rund um PISA entziehen, die aber in einer demokratischen Gesellschaft die grundlegendste Frage wäre, wird nicht offen ausgetragen: Wer legt die Bildungsziele fest und wie geschieht dies?


Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:

© 2007 by Styria Verlag in der, Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien
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