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Beschwörung eines Kastens #


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 17. November 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Susanne Breuss


Radio, Philips Type 456 „Prélude“
© Wiener Zeitung

Drei junge Frauen und ein Radioapparat: Die Aufnahme stammt aus einer mehrteiligen Serie von Amateurfotografien, in deren Mittelpunkt ein Gerät steht, dessen Geschichte in den 1920er Jahren begann – in Österreich im Jahr 1924, als die RAVAG (Radio-Verkehrs- AG) ihren offiziellen Sendebetrieb aufnahm.

Bertolt Brecht meinte zwar, dass die Öffentlichkeit nicht auf den Rundfunk, sondern der Rundfunk auf die Öffentlichkeit gewartet habe, das neue Medium stellte sich dennoch bald als ein höchst erfolgreiches Unternehmen heraus.

Gegen alle Konkurrenz von Grammophon, Kinofilm, Tageszeitung und Illustrierter, die als Unterhaltungs- und Informationsmedien bereits ein Massenpublikum erreichten, konnte sich das Radio als neues technisches Konsumgut erstaunlich schnell einen eigenen Markt erobern. Es ermöglichte die Teilnahme am Weltgeschehen ebenso wie unterschiedliche Formen von Unterhaltung und Bildung.

Im Unterschied zum Lesen oder Schauen konnte man Zuhören auch sehr gut nebenbei, etwa während der Arbeit oder dem Essen. Der Hörfunk bot für alle Bevölkerungsschichten und für alle Interessen etwas: Informationen über Politik und Wirtschaft, Reportagen, Sonderveranstaltungen bei aktuellen Ereignissen, Konzerte, Theaterübertragungen, Tanzmusik, Hörspiele, Ratschläge für Haushalt und Erziehung, Kinderprogramme, Reklame und vieles mehr. Der Rundfunk überwand Zeit und Raum; Worte und Töne bewegten sich drahtlos durch den Äther und vernetzten Orte und Vorgänge. Der Radioapparat stand somit für Fortschrittlichkeit und Modernität, diente als Prestigeobjekt und Statussymbol.

Dies meint man auch auf dieser Fotografie erkennen zu können: Die drei Frauen vermitteln den Eindruck, als wären sie überzeugt, ein ganz besonderes Ding in ihrer Mitte zu haben. Bei dem Gerät handelt es sich um ein Modell der Firma Philips, und zwar die Type 456 „Prélude“ aus der Symphonischen Serie. Es war insofern ein spezielles Modell, als es an der Oberseite seines Holzgehäuses ein aufstellbares Senderfenster aus Bakelit besaß (auf dem Foto ist es nicht zu sehen, da zurück geklappt). Auf dem Markt war es ab 1936/1937, die Aufnahme entstand also vermutlich in dieser Zeit – einer historischen Phase, in der politische Propaganda bereits den Radioalltag prägte. Brecht beschwor im Übrigen in seinem im Exil entstandenen Gedicht „Auf den kleinen Radioapparat“ den Kasten, den er „flüchtend trug“, „nicht auf einmal stumm zu sein!“

Susanne Breuss, geboren 1963, ist Kulturwissenschafterin und Kuratorin im Wien Museum.

Wiener Zeitung, Samstag, 17. November 2012