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Die Dämonen der Digitalisierung #

Mit ökonomischer Rationalität schlägt die Digitalisierung dort zu, wo es am leichtesten geht: Bei den Routinearbeiten – nicht nur den manuellen, sondern zunehmend auch den kognitiven.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 3. Dezember 2015)

Von

Manfred Füllsack


Symbolbild: Computerarbeitrbeit

Foto: © Shutterstock

Manuela sortiert Schuhe. Sie packt sie in Plastiktüten, schreibt Schuhgrößen darauf und vermerkt, ob sie für Frauen oder Männer und eher leicht oder wintertauglich sind. Sie zählt die Schuhe und postet dann auf der Webseite, dass heute kein Bedarf mehr besteht. Danach gibt es Kartons mit Bananen zu schlichten. Ein Supermarktfahrer hat die gerade vorbeigebracht – unverkäuflich, aber noch nicht verdorben. Sie müssen nur schnell verteilt werden. Dazu braucht Manuela noch schnell fünf Helfer, die sie ebenfalls übers Internet organisiert. Vorhin sind wieder Busse eingetroffen. Jetzt sind kleine gelbe Zettel mit der Nummer Sieben gefragt. Die Zahl informiert die Betroffenen, dass sie die siebente Gruppe sind, die an der Reihe sein werden, sobald Busse eintreffen. Manuela muss improvisieren, weil nicht mehr genug Zettel da sind. Aber auch das geht – muss gehen – irgendwie.

Manuela macht das, was Soziologen als Nicht-Routine-Job bezeichnen und zurzeit als relativ beschäftigungssicher einstufen. Sie macht diesen Job aber nicht für Geld. Ihr Lohn ist immateriell. Sie hatte sich Mitte September, als die Zahl der Flüchtlinge dramatisch zu steigen begann, als Hilfskraft gemeldet und ist seitdem am Hauptbahnhof mit unzähligen Aufgaben betraut, die unterschiedlicher kaum sein könnten, meist völlig unvorhersehbar anfallen und sofort erledigt werden müssen.

Als Nicht-Routine-Job würde diese Tätigkeit zu jenen Arbeiten zählen, die schwer rationalisierbar sind, und das heißt in gegenwärtiger Orientierung, dass sie geringes Risiko tragen, in naher Zukunft von digitalen Maschinen verrichtet zu werden. Arbeiten mit mehr Routine-Charakter sind diesbezüglich stärker gefährdet. Die Klassifizierung ist neu. Jahrzehntelang sind Beschäftigungsexperten davon ausgegangen, dass der Einsatz von immer mehr Technik die Arbeit nur verlagert, ohne den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft zu senken. Zwar würden einzelne Qualifikationen ihren Wert verlieren. An ihrer Stelle entstehen aber stets ungefähr gleich viele neue Berufe. Nun wird allerdings seit Jahren diskutiert, ob nicht gerade der Einsatz digitaler Technologien die Nachfrage nach Arbeitskräften doch stärker reduziert als angenommen.

Unstrukturiert und beschäftigungssicher #

Mit ökonomischer Rationalität soll die Digitalisierung dabei dort zugreifen, wo es am leichtesten geht – bei den manuellen und kognitiven Routinetätigkeiten, also bei jenen Arbeiten, die bereits in der Hochzeit der Industriearbeit mit Fließbändern und Aufgabenzerstückelung zu rationalisieren versucht wurden. Hier ist die Sachlage klar: Da jede Rationalisierung Kosten verursacht, müssen diese durch wiederholten Einsatz der Mittel wieder eingebracht werden. Routine bedeutet da einfach, dass einzelne Aufgaben in diesen Tätigkeiten so oft anfallen, dass sich ihre Rationalisierung lohnt.

Bei Nicht-Routine Tätigkeiten ist dies weniger klar, vor allem nicht immer hinreichend planbar. Die Arbeit von Berufschauffeuren zum Beispiel, oder auch die von vielen handwerklichen Berufen, Tischlern, Schlossern, Erntehelfern etwa, ist eher unstrukturiert und gilt deshalb als relativ beschäftigungssicher. Mit Googles selbst-fahrendem Auto aber, mit Robotersystemen wie dem für bewegungsgeführte Programmierung gerüsteten Industrieroboter „Baxter“ oder auch etwa dem autonomen Weinleseroboter „Wall-Ye“, und mehr noch mit jenen Möglichkeiten, die sich im Kontext von Techniken der Künstlichen Intelligenz, wie etwa „Deeplearning“ ankündigen, verändert sich das Bild rapide. Vermehrt wird nun spekuliert, dass längst schon Nicht-Routine-Jobs in den Fokus der Rationalisierung geraten.

Selbst im Bereich rein kognitiver unstrukturierter Tätigkeiten geraten die Dinge in Bewegung. Computer schreiben und erkunden Forschungshypothesen, erstellen juridische Fachgutachten, durchforsten chemische Datensätze nach aussichtsreichen Substanzen, handeln Wertpapiere in Bruchteilen von Sekunden auf globalen Märkten und fassen Pressemeldungen zu publizierbaren journalistischen Texten zusammen. Was früher selbst Futuristen nicht möglich schien, rückt in den Bereich des Machbaren.

Die Beschäftigung könnte dies nachhaltig treffen. Soziologen gehen davon aus, dass zurzeit zwar die unteren Erwerbsarbeitssegmente, in denen primär manuelle Nicht- Routine-Arbeiten wie etwa Putzdienste oder auch Pflegearbeiten anfallen, wenig betroffen sind. Auch am anderen Ende soll das oberste Segment mit den kognitiven nichtroutine Tätigkeiten, etwa von Führungskräften, verschont bleiben. Betroffen von der digitalen Rationalisierung soll insbesondere das mittlere Segment sein, in dem mit durchschnittlichen Ausbildungen manuelle und kognitive Routinearbeiten verrichtet werden. Die Beschäftigung bricht demnach von der Mitte her ein.

Somit entsteht in der Mitte der Qualifikationen Raum für Neues. Das könnte das Bild unserer Arbeit von Grund auf verändern. Manuelas Freiwilligendienst zur Flüchtlingshilfe bietet dafür nur ein Beispiel. In dieselbe Kategorie fallen die vielfältigen Aktivitäten in Bottomup-Initiativen, die den Defiziten marktwirtschaftlicher Unternehmungen kreative Alternativen entgegenstellen wollen: Foodcoops, die Nahrungsmittel regionaler Hersteller über genossenschaftliche Beteiligungen verteilen, Tafeln, die Ausschussware von Supermärkten einholen und an Bedürftige weitergeben, Repair-Shops, die defekte Haushaltsgeräte wiederherstellen, Maker-Spaces, die die dafür benötigten Produktionsmittel verfügbar halten, und viele andere. Solche Aktivitäten stehen durchschnittlicher Bildung offen, haben partizipativen und sozialen Wert und bieten intrinsische Motivation. Sie sind zweifellos arbeitsintensiv, stehen aber in der Regel außerhalb jener Marktlogik, mit der Arbeit bewertet wird. Sie basieren in hohem Maß auf unbezahlter Freiwilligentätigkeit.

Soziales Engagement verdient Einkommen #

Interessanterweise sind gerade diese Aktivitäten meist von starkem Nicht-Routine- Charakter geprägt. Wer hier tätig ist, braucht Flexibilität, Improvisationskunst und den Nerv, sich auf ständig neue Aufgaben einzulassen, ohne die Frage des eigenen Auskommens geklärt zu wissen. Gerade diesem Aspekt böte sich vor dem Hintergrund der digitalen Rationalisierung allerdings eine Lösung. Denn der digitale „Entsatz“ menschlicher Arbeit schmälert die Produktion keineswegs. Explizites Ziel ist das Gegenteil.

Allerdings werden die Produktionsgewinne zurzeit hauptsächlich über Erwerbsarbeit verteilt. Fiele dieses Kriterium dem „Entsatz“ zum Opfer und würden viele der „entsetzten“ Arbeitskräfte in Freiwilligentätigkeiten aktiv, so scheint es nur recht, das Auskommen dieser Aktiven über die Produktionsgewinne zu sichern. Kurz: Manuela und den vielen anderen selbstlosen Helfern, die sich in den letzten Wochen um die Flüchtlinge sorgen, stünde ein Einkommen zu – eines, das sich vielleicht nicht der Marktlogik fügt, wohl aber dem Wandel der Arbeit und den damit verbundenen sozialen Gegebenheiten entspricht.

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und Professor für Systemwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz

DIE FURCHE, Donnerstag, 3. Dezember 2015

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