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Digital und feudal#

Das Netz verstärkt Ungleichheit und reduziert Innovationen. Der britische Autor Andrew Keen rechnete in Alpbach mit den großen Internet-Konzernen ab.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 3. September 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Reinhard Göweil


'Burning Man'-Festival in der Wüste Nevadas
Techno-libertäre Visionen ohne staatliche Regulierung: Das "Burning Man"-Festival in der Wüste Nevadas inspiriert Google, Apple, Facebook und Co.
Foto: © reu/jim urquhart

Alpbach. Im gerade laufenden "Burning Man"-Festival in der Wüste Nevadas treffen sich mehr als 70.000 Menschen. Dort treffen die Größen des Silicon Valley wie Google-Gründer Larry Page oder Tesla-Chef Elon Musk auf Techie-Nerds, Künstler, Partypeople und Verrückte jeglicher Herkunft. Offizielles Motto des Burning Man ist gesellschaftliche Verantwortung, Selbstfindung und Kunst. Das Ganze findet mitten in der Wüste statt und ist ziemlich schräg. Am Ende wird - wie bei Karnevalsveranstaltungen - eine riesige Holzpuppe verbrannt, daher der Name des Festivals.

Für den britischen Autor Andrew Keen, der nun in den USA lebt, ist das Festival Sinnbild für eine Gesellschaft, die durch das Internet aus den Fugen gerät. Tatsächlich werden in der Wüste techno-libertäre Visionen entwickelt, in denen staatliche Strukturen keine Rolle mehr spielen.

Die Chefs der "4 Horsemen", wie Google, Apple, Facebook und Amazon genannt werden, holen sich dort Inspirationen, wie sie die Welt mittels Web 2.0 weiterentwickeln können. Das schließt Weltherrschaft durchaus ein.

Andrew Keen, der in Alpbach sein nun ins Deutsche übersetzte Buch "Das digitale Debakel" ("The Internet is not the answer") vorstellte, geht mit der vermeintlich egalitären Welt des Internets hart ins Gericht. Google und Facebook etwa zapfen die Intelligenz ihrer "User" an, ohne dafür zu bezahlen - und machen selbst Milliardengewinne. Das Vermögen der Gründer dieser vier Internet-Companies veranschlagt Keen auf 250 Milliarden Dollar. Das entspricht in etwa der Wirtschaftsleistung von Finnland.

"Das Internet ist eine Monopol-Wirtschaft", konstatiert Keen. "Und Monopole sind schädlich für Innovationen." Dass die großen Technologie-Firmen in den USA strikte Gegner von Gewerkschaften sind, passt hier gut ins Bild. Klassische Arbeitsplätze werden von automatisierten Systemen ersetzt, etwa durch Plattformen wie der "Taxidienst" Uber oder AirBnB.

"In dieser Sharing Economy wird allerdings gesellschaftliche Verantwortung von diesen Unternehmen nicht geteilt. Investoren und Gründer der Internet-Firmen werden reich, mit den Folgen am Arbeitsmarkt müssen sich dann staatliche Unterstützungssysteme herumschlagen. Und Konzerne wie Apple zahlen auch so gut wie keine Steuern", so Keen. Er lobte die EU-Wettbewerbs-Kommissarin Margarethe Vestager, die Apple eine Steuerzahlung von 13 Milliarden Euro verordnete. "Sie tut damit viel für die Entwicklung innovativer Unternehmen in Europa."

Digitalisierung braucht Regulierung#

Nun ist auch dem Kritiker Keen klar, das sich die Digitalisierung und Robotisierung der Welt nicht zurückdrehen lässt, und er will das auch gar nicht. "Es braucht aber - wie bei den Banken - Regulierung. Davon ist nichts zu sehen, die Googles dieser Welt schalten und walten, wie sie wollen."

Larry Page und Sergey Brin, Gründer von Google, Marc Zuckerberg von Facebook; Jeff Bezos von Amazon und Tim Cook (Apple) seien die ersten wirklich globalen Oligarchen, die in ihrem Wirken von keinen staatlichen oder supranationalen Organisationen kontrolliert werden.

Und während sie das Internet als Ort der Chancengleichheit definieren, in dem es keine Traditionen mehr gibt, ist in kaum einer anderen Branche die Konzentration so hoch. Die Leuchttürme des Silicon Valley haben sich wie ein Krake dort ausgebreitet. Wegen der enormen Kapitalkonzentration kaufen sie junge Start-ups noch im "Garagen-Stadium" auf, um sie in den eigenen Konzern zu integrieren. WhatsApp hatte, als Facebook das Unternehmen um 19 Milliarden Dollar kaufte, gerade einmal 55 Mitarbeiter. Google betreibt in eigenen Labors digitale Grundlagenforschung, und gibt dafür zehn Milliarden Dollar aus. Bezos von Amazon kaufte sich die angesehene Tageszeitung "Washington Post".

Die überwältigende Marktstellung dieser Unternehmen paart sich mit einer Art Weltverbesserungs-Philosophie ihrer Gründer, der die Politik derzeit nichts entgegenzusetzen hat. "Die politische Malaise verstärkt sich selbst und auch kleinste Reformen sind unwahrscheinlich geworden", beklagte sogar der konservative US-Politologe Francis Fukuyama.

Keen bezeichnet diese Entwicklung als "epic fucking fail", dem die Politik etwas entgegensetzen müsse. Bestehende digitale Plattformen haben jedenfalls mehr traditionelle Arbeitsplätze ersetzt, als selbst neue zu schaffen. Und die Mitarbeiter der "Großen Vier" genießen zwar ausgezeichnete Arbeitsbedingungen, aber dafür so gut wie keinen sozialen Schutz.

Ebenso ungelöst ist der Streit um Urheberrechte. Die großen Internet-Konzerne sorgen zwar für eine größere Verbreitung von Medien, Musik und vielerlei Dienstleistungen, vom Pizzadienst bis zum Arzt - aber halt gratis. Vor allem aus den Medien wird der Druck auf die Suchmaschine immer stärker. Als erste Reaktion darauf hat Google in Europa einen 150-Millionen-Euro-Fonds bereitgestellt, der innovativen Journalismus unterstützt.

Ungleichheit durch libertäre Entwicklungen#

Doch die ungebremste und unregulierte Digitalisierung sorgt mittlerweile auch im Geldhandel für Aufregung. Die Internet-Währung Bitcoin ist Anfang August massiv eingebrochen, nachdem eine Hongkonger Tauschplattform gehackt wurde und umgerechnet 56 Millionen Euro entwendet worden waren. Nun unterliegt Bitcoin keinerlei Aufsicht durch die Notenbanken - und scheint auch nicht sehr sicher zu sein.

Selbst wenn die digitale Währung nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, ist die fehlende Sicherheit beunruhigend. Und Bitcoin entzieht sich der Geldmenge, die ja eigentlich von den großen Notenbanken der Welt penibel gesteuert wird. Ein plötzlicher Anstieg dieser Geldmenge könnte zu inflationären Entwicklungen führen. Bitcoin wurde 2009 erstmals verwendet. Angeblich ist es von einem Australier erfunden worden, der sich ein japanisches Pseudonym gab. Den Notenbanken macht Bitcoin zusehends Probleme - aus den erläuterten Gründen.

Andrew Keens Fazit: Das Internet begünstigt libertäre Entwicklungen, die zu einer Art Feudalherrschaft und größerer Ungleichheit führen. Es sei denn, die Politik kann sich zu Regulierungen durchringen. Wie die allerdings in einer globalisierten Welt funktionieren sollen, ist ebenfalls ungeklärt - und ein anderes Thema...

Wiener Zeitung, Samstag, 3. September 2016