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Der Roboter als Reporter#

Automatisierter Journalismus ist auf dem Vormarsch. Wozu sind Algorithmen fähig?#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 12. August 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Adrian Lobe


Symbolbild: Journalisten-Roboter
Was schreiben wir denn heute? Der Journalisten-Roboter ist noch nicht ganz so weit. © blutgruppe/corbis

Wien. Roboter sind auf dem Vormarsch. In Amazons Lagerhallen sortieren sie schon Waren. In japanischen Krankenhäusern ersetzen Roboter bereits Krankenschwestern. Und bald werden Roboterautos auch im Straßenverkehr unterwegs sein. Seit geraumer Zeit schreiben Roboter sogar Artikel. Als am 17. März 2014 in Los Angeles die Erde bebte, dauerte es nur drei Minuten, bis die "LA Times" eine erste Meldung publizierte. Geschrieben wurde sie von einem Programm namens Quakebot. Die Software ist so programmiert, dass sie auf einen Alarm des U.S. Geological Survey reagiert, der auf ein Erdbeben ab einer bestimmten Stärke folgt. Quakebot extrahiert die Informationen und fügt sie in den vorgefertigten Text ein. Die Tatsache, dass ein Computer einen Text schrieb, sorgte für deutlich mehr Aufsehen als die Meldung selbst. "Algorithmus macht Journalismus", jubilierte "Zeit Online", "Die Roboterjournalisten sind schon unter uns", schrieb die "Welt".

Die Nachrichtenagentur AP (Associated Press) nutzt seit Juli letzten Jahres ein Software-Tool namens Wordsmith, das automatisch Finanzberichte verfasst. Zum Beispiel Quartalsberichte börsennotierter Unternehmen. Wordsmith nutzt die Technik der Natural Language Generation, um aus Daten Texte zu generieren. In einer Pilotphase wurden die Meldungen von einem Redakteur gegengelesen. Seit Oktober gehen die Meldungen ohne menschliche Kontrolle heraus, wie Wirtschaftsredakteurin Philana Patterson dem American Press Institute sagte. Pro Quartal werden bei der AP 3000 automatisierte Meldungen generiert. Die Software wird von dem US-Unternehmen Automatic Insights geliefert. Die Meldungen folgen immer demselben Muster. Etwa: "Das in Cupertino basierte Unternehmen verzeichnete im letzten Quartal einen Umsatz von 18 Milliarden Dollar." Die Textbausteine stehen fest, der Algorithmus ergänzt die Lücken mit Daten, mit denen er gespeist wird. Automatic Insights schreibt, dass es auch die Syntax und den Stil zu variieren vermag.

Wortschmied ackert sich durch#

Mit Wordsmith könnten zudem auch Infografiken und Performanzanalysen (etwa über die Leistungsdaten von Sportlern) erstellt werden. Die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen: Die Redakteure können sich anspruchsvolleren Aufgaben wie Recherche oder Reportagen widmen und müssen sich nicht mehr mit mühsamen Bilanzzahlen herumschlagen - das erledigt der Computer schneller und zuverlässiger. Ein Sprecher von Automatic Insights teilt auf Anfrage mit: "Die Automatisierung ist besser für Kunden und Reporter, sie resultiert in weniger Fehlern und führt zu einer größeren Newsroom-Effizienz." Automatic Insights hat im vergangenen Jahr eine Milliarde Meldungen generiert - mehr als alle Medien zusammen. Michael White, Professor für Computerlinguistik an der Ohio State University, sagt im Gespräch: "Der zunehmende Einsatz von Roboterjournalisten in traditionellen Medienhäusern bedeutet, dass menschliche Journalisten sich auf die weniger routinisierten Aspekte des Journalismus fokussieren könnten." Etwa investigative Recherche.

Associated Press hat angekündigt, die Software auch im Sportressort einzusetzen. Damit könnte die Agentur auch über Ereignisse berichten, über die zuvor noch nie geschrieben hat, etwa über College-Matches oder Spiele unterklassiger Ligen. Dem Vernehmen nach will die AP die Algorithmen auch auf andere Bereiche ausdehnen. Lou Ferrara, Vizepräsident und Managing Editor bei der AP, sagte dem Portal Journalism.co.uk: "Wir hoffen, uns auf datengesteuerte Bereiche hinzubewegen, etwa Wahlprognosen oder Wettervorhersagen."

Wie komplex darf etwas sein?#

Die spannende Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt, ist: Können Algorithmen in ferner Zukunft auch komplexe Texte wie Kommentare oder Analysen verfassen, in denen logisches Denkvermögen und Kontextualisierung erforderlich sind? Das ist zunächst eine rein technische Frage, aber sie ist auch von der - bisweilen etwas defätistischen - Sorge begleitet, Maschinen könnten Journalisten dereinst den Job wegnehmen. Computerlinguistik-Professor White hält das für überzogen. "Das ist unwahrscheinlich, weil News eben nicht immer Routine sind. Zum Beispiel hatte die AP eine Story über Notre Dames Basketballcoach Mike Brey, der sein College-Team einen Tag nach dem Tod seiner Mutter zum Sieg führte. Solche Ereignisse treten nicht häufig genug ein, um den Roboterjournalisten zu trainieren." Will heißen: Das Unvorhergesehene überfordert die Maschine. Doch die Algorithmen können dazulernen - Stichwort "machine learning".

Das Chicagoer Unternehmen Narrative Science, einer der Pioniere des automatisierten Berichtens, hat jüngst die Software Quill entwickelt, die 10- bis 15-seitige Investment-Reports für Unternehmen schreibt. Zu den Kunden zählen unter anderem die Credit Suisse. Das liest sich recht passabel. Man merkt dem Text zwar an, dass er von einem Computer verfasst worden sein muss. Doch er vermittelt essenzielle Informationen. Und darauf kommt es an. Die Stilfrage ist zweitrangig.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 12. August 2015