Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

"Würde nicht mit Kometen ins Bett gehen"#

Der Grazer Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann ist "Österreichs Wissenschafter des Jahres 2014".#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 7. Jänner 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann
Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann (64) brilliert durch sachliche mediale Auftritte.
© apa/Scheriau

Wien. Wolfgang Baumjohann, Direktor des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Akademie der Wissenschaften, fand sich im vergangenen Jahr besonders häufig vor der Kamera. Sein Institut ist an maßgeblichen Messinstrumenten der europäischen Kometenmission Rosetta beteiligt, die vom Fachmagazin "Science" zum Wissenschaftsereignis 2014 gekürt wurde. Seine präzise, unaufgeregte Art, komplexe Fragen der Forschung verständlich zu machen, machte den passionierten Weltraumforscher zu Österreichs verlässlicher Bodenstation. Am Mittwoch kürte der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Wolfgang Baumjohann zu Österreichs "Wissenschafter des Jahres 2014".

Mit der Auszeichnung würdigt der Klub vor allem das Bemühen von Forschern, ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen und so das Image der österreichischen Wissenschaft zu heben. Baumjohann hat aber nicht nur im Zuge der Mission Rosetta gezeigt, wie man sachlich, einfach und spannend Wissenschaft und Technologie einem breiten Publikum näherbringt. Vielmehr steht er seit Jahren den Medien und der Öffentlichkeit als Ansprechpartner zur Verfügung, hieß es im Wahlvorschlag der Klubmitglieder.

Der im nordrhein-westfälischen Hamm, Deutschland, geborene Forscher studierte Physik an der Universität Münster und habilitierte in Geophysik an der Universität München. 2001 wurde er nach Graz geholt, um ab 2004 die Leitung des IWF zu übernehmen, dessen Ruf als Spitzen-Institut er mit nun 80 Mitarbeitern fortlaufend ausbaut. "Als Wissenschafter wird man letztlich vom Steuerzahler finanziert, und man sollte ihm etwas davon zurückgeben", so Baumjohann: "Es ist schön, dass unsere Bemühungen gewürdigt werden." Da Grundlagenforschung Ländern ohne große natürliche Ressourcen ermöglicht, von ihren Erzeugnissen zu leben, müssten vor allem junge Leute dazu bewegt werden, sich für sie zu interessieren. Zum Glück interessiere der Weltraum "praktisch jeden - das macht die Vermittlung ein bisschen leichter".

Baumjohann forscht und publiziert zu Weltraumplasmaphysik, planetaren Magnetosphären und zum "Weltraumwetter". Neben 500 Journalartikeln ist er Mitautor von drei Büchern über Weltraumplasmaphysik, die an Unis Grundlage von Vorlesungen sind. Dass Österreich in der Spitzenliga der Raumforschung mitspielt, geht auf Erfolge im Instrumentenbau und Datenauswertungen des IWF zurück. Auf der Sonde Rosetta ist das IWF federführend für das Messgerät "Midas", das die Zusammensetzung des Kometenstaubs misst. "Wie sich zeigt, sieht der Staub anders aus, als wir dachten", sagt Baumjohann zur "Wiener Zeitung": "Er ist größer, flockiger und weniger kompakt. Deswegen konnten wir bisher nur einzelne Streifen, nicht alle Punkte der Staubmoleküle messen. Wesentliche Messungen folgen, wenn der Komet näher an die Sonne kommt, mehr ausgast und das ausströmende Gas den Staub mitreißt." Von den Messungen der Hauptaktivität im Februar und März erwarten sich die Forscher neue Erkenntnisse über die Herkunft organischen Lebens. Ihr Vorhandensein in Kometenstaub würde laut Baumjohann die Chancen, dass Leben auf anderen Planeten existiert, "eindeutig" erhöhen.

Schon im Dezember konnten Schweizer Kollegen im Rahmen der Mission nachweisen, dass das Wasser nicht von Kometen zur Erde gebracht wurde. "Asteroiden haben die gleiche Isotopenzusammensetzung wie Wasser auf der Erde, Kometen nicht. Aber dass das Wasser deswegen von ihnen kam, ist nicht erwiesen, denn vielleicht war es auf der Erde schon immer da. Um dies herauszufinden, müsste man in das Mantelgestein eindringen. Forschung ist aufgrund des hohen Drucks und der Hitze im Erdinneren schwieriger als im Weltraum, der einfach kalt ist - damit kann man leben."

Wie schwierig Kometen-Forschung trotz dieser vergleichsweise vereinfachten Umstände ist, zeigte die nicht ganz glücklich verlaufene Kometen-Landung im November. Bei dem schwierigsten Teil der Mission setzt der Roboter Philae am falschen Ort auf und konnte sich nicht im Boden verankern. Dadurch kamen vom IWF gebaute Sensoren zur Analyse der Bodenbeschaffenheit nicht zum Einsatz. Baumjohann findet dies "schade, aber man muss immer damit rechnen, dass nicht alles funktioniert." Warum der Verankerungsmechanismus nicht gefeuert wurde, werde derzeit erforscht.

Hat ein Forscher eine gefühlsmäßige Nähe zum Objekt seiner Beobachtung? "Ich würde mit einem Kometen nicht ins Bett gehen - dazu ist er viel zu kalt", scherzte Baumjohann: "Das Gefühlsmäßige an meiner Arbeit ist eher mit der Naturforschung an sich verbunden: Die Experimente der Natur zeigen, wie die Welt funktioniert."

Weitere Missionen#

Die Liste der kommenden IWF-Beteiligungen liest sich wie ein Who is Who der Raumforschung. Im März startet die Nasa-Mission MMS ("Magnetic Multiscale Mission") zur Messung der Magnetosphäre der Erde - das IWF ist mit einem Elektronenstrahl-Instrument beteiligt. 2016 folgt die europäisch-japanische Mission "Bepi Colombo" zum Merkur, wo die Grazer an beiden Magnetometern mitgebaut haben. Weiters bauen Baumjohann und seine Kollegen den Bordcomputer der europäischen Sonde "Solar Orbiter" zur Messung des Sonnen-Plasmas und ein Teleskop für die europäische "Cheops"-Mission mit, bei der untersucht wird, wie Exoplaneten funktionieren.

Baumjohann würde "am liebsten alle Missionen vollendet sehen. Aber auch ich habe die Rosetta-Mission von meinem Vorgänger geerbt, und es wird ein neuer Direktor kommen. Die kommenden sechs Jahre werden eine Phase der Übergabe sein - realistisch werde ich bei MMS noch wirklich mitmachen." Danach will der Weltraumphysiker die Höhen seiner Jugend erklimmen: als er einige 5000er-Gipfel bestieg.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 7. Jänner 2015