Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

I’m going to sing the new Bundesbahnblues…#

Eine „Bahnhofcity“ nach der anderen drängt auf den Wiener Immobilienmarkt. Architektonische, städtebauliche Kriterien wirken dabei zweitrangig. Was offenkundig primär zählt, ist die erzielbare Büro- und Handelsfläche.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 15. November 2012)

Von

Reinhard Seiß


Bahnhof Wien Mitte
Wien Mitte I. Letzte Woche wurde der neue Bahnhof Wien Mitte (teil-)eröffnet. Hinter dem Bauträger steht Österreichs größte Bank mit offenbar besonderen Beziehungen zum Wiener Rathaus...
© Foto: APA / Neubauer

Ist es ein Zufall, dass dem 2007 verstorbenen Gerhard Bronner ausgerechnet am neuen Wiener Hauptbahnhof eine Straße gewidmet wird? Immerhin ist eines seiner berühmtesten Lieder, geschrieben 1956 und genial interpretiert von Helmut Qualtinger, „Der Bundesbahnblues“. Würden die beiden einstigen Wiener Kabarett- Größen heute ihren Blues zum Besten geben, böten sich als Stoff dafür durchaus die neuen Bahnhöfe und Bahnhofsviertel ihrer Heimatstadt an – etwa der vor genau einem Jahr wiedereröffnete Westbahnhof: Eingekeilt zwischen zwei voluminösen Neubauten überdauerte die denkmalgeschützte Halle aus den 1950er- Jahren die groß angelegte „Aufwertung“, die aus dem Bahnhof viel mehr machte als „nur“ einen Terminal für Reisende aus nah und fern: Nach Plänen der Architekten Heinz Neumann und Eric Steiner entstanden unter der Bahnhofshalle und um sie herum ein Einkaufszentrum mit 90 Geschäften auf einer Fläche von 17.000 Quadratmetern, 13.000 Quadratmeter Bürofläche, ein Billig-Hotel sowie ein Best of der gängigen Gastronomieketten.

Cashcows des Immobilienmarkts#

Dies entspricht durchaus dem internationalen Trend, die zentral gelegenen, gut erschlossenen und stark frequentierten Bahnhöfe in Cashcows des städtischen Immobilienmarkts zu verwandeln. Worin sich dieser und andere aktuelle Stationsbauten der Donaumetropole von vergleichbaren ausländischen Projekten hingegen unterscheiden, ist die äußere Erscheinung. Während neue Bahnhöfe andernorts auch heute im Bewusstsein um ihre zeichenhafte Bedeutung und ihre stadtbildprägende Wirkung mit entsprechendem Aufwand geplant und gebaut werden, geraten Wiens neue Bahnterminals zu Produkten billiger Investorenarchitektur. Die s zeigt sich am neuen Westbahnhof allem voran an der Fassade aus grauem Wellblech, die lediglich durch großformatige Werbescreens akzentuiert wird. Und der aufwendige „Wolkenbügel“, der über einem kaum nutzbaren Vorplatz schwebt, kann nur als affektierte Geste verstanden werden, die von der Banalität des Gesamtkomplexes ablenken soll. Die ÖBB bringen quasi als Rechtfertigung dafür vor, dass der Westbahnhof das erste Bauvorhaben der Bahn sei, bei dem es gelang, ein Infrastrukturprojekt zur Gänze durch seine immobilienwirtschaftliche Verwertung zu finanzieren.

Bahnhofsprojekt
Wien Mitte II Die 62.000 Quadratmeter Bürofläche, die kaum gewinnbringend zu vermieten gewesen wären, bespielt dankenswerterweise künftig die Stadt Wien mit ihren Bezirksfinanzämtern.
© beyer. co.at

Sozusagen einen Schritt weiter ging hier der letzte Woche teileröffnete jüngste Bahnhofsbau der Stadt – die voluminöse Überbauung des zentrumsnahen unterirdischen Verkehrsknotens Wien Mitte: Denn damit wird so richtig Geld verdient, auch wenn nicht der Immobilienmarkt allein dafür sorgte. Hinter dem Bauträger B.A.I. steht mit der Bank Austria Österreichs größte Bank, die 1991 aus der stadteigenen Zentralsparkasse hervorgegangen war und ein ganz besonderes Verhältnis zum Rathaus haben dürfte. Diesen Verdacht nähren nicht nur die planungs- wie demokratiepolitisch skandalösen Ränkespiele während der zwanzigjährigen (!) Planungs-, Umplanungs- und Neuplanungszeit von Wien Mitte, die neben Anrainern, Fachleuten oder auch Wiens Alt-Bürgermeister Helmut Zilk selbst die UNESCO gegen das Projekt aufbrachte – zumal die wahlweise vier, fünf, sechs oder neun vorgesehenen Hochhäuser unweit der Wiener Innenstadt deren Status als Weltkulturerbe infrage gestellt hätten. Auch die Verwertung des wuchtigen Komple xes, der das, was ihm an Höhe schlussendlich versagt geblieben ist, nun durch Dichte kompensiert, sorgt für eine mehr als schiefe Optik.

Bahnhofsprojekt
Mitte Dezember nimmt das Flaggschiff der Wiener Bahnhofsprojekte, der neue Hauptbahnhof, seinen provisorischen Betrieb auf.
© beyer. co.at

Zentrale Kundenferne#

Denn die 62.000 Quadratmeter Bürofläche, die über einem 30.000 Quadratmeter großen Einkaufszentrum gestapelt wurden, wären nur schwer gewinnbringend zu vermieten gewesen – wenn nicht die Stadt Wien beschlossen hätte, ihre bis dato dezentralen Bezirksfinanzämter aufzugeben und nach Wien Mitte zu übersiedeln. Was nach mehr Effizienz und Synergie klingt, bedeutet tatsächlich, dass die bisherigen kundennahen Amtsgebäude brachliegen werden – und deren staatlicher Eigentümer, die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), bei Weitem nicht alle auch wieder verwerten wird können. Und was mit Einsparungen argumentiert wird, erweist sich für die öffentliche Hand in Gestalt der BIG als dauerhafter Verlust von Mieteinnahmen, die künftig an den privaten Investor von Wien Mitte fließen: dem Vernehmen nach an die sechs Millionen Euro pro Jahr, netto.

Noch eine Dimension größer ist das Flaggschiff der Wiener Bahnhofsprojekte, das Mitte Dezember seinen provisorischen Betrieb aufnimmt: Wenn der neue Hauptbahnhof, der nach den Plänen der Architekten Theo Hotz, Ernst Hoffmann und Albert Wimmer anstelle der bisherigen Kopfbahnhöfe Wien Süd und Wien Ost als Durchgangsbahnhof fungiert, 2015 endgültig fertiggestellt sein wird, werden auf dem 59 Hektar großen Areal um ihn herum noch längere Zeit Baustellen zu sehen sein. In unmittelbarer Nähe des Terminals sollen insgesamt elf Hochhäuser mit Höhen von 60 bis 100 Metern vorwiegend Büros, aber auch einem Hotel und Wohnungen Platz geben. Und südlich dieses neuen Subzentrums der Stadt wird ein Viertel mit überwiegender Wohnnutzung um einen großen, neu angelegten Park herum entstehen. Insgesamt sind 550.000 Quadratmeter Bürofläche, 25.000 Quadratmeter Einkaufszentrenfläche, 5000 Wohnungen sowie ein Bildungscampus geplant beziehungsweise sind schon in Bau.

Bahnhofsprojekt
Urbanistische Überlegungen sind bei der Gesamtplanung gegenüber dem Bemühen um Bodenwertsteigerung offenkundig in den Hintergrund getreten.
© APA/Hotz/Hoffmann - Wimmer

Enorme Bebauungsdichte#

Kritik am Gesamtprojekt wurde freilich in mehrfacher Hinsicht laut. So liegen der städtebaulichen Konzeption für das ganze Entwicklungsgebiet weniger urbanistische Überlegungen als viel mehr die Bemühungen um eine entsprechende Bodenwertsteigerung zur Umwegfinanzierung des eine Milliarde Euro teuren Fern-, Regional- und Nahverkehrsknotens zugrunde. Vor allem im geplanten Hochhaus-Cluster führt dies zu einer enormen Bebauungsdichte, die massive Zweifel an der künftigen Aufenthaltsqualität in den verbleibenden Zwischenräumen schürt. Die Shopping Mall im Hauptbahnhof mit rund hundert Läden auf 20.000 Quadratmetern Verkaufsfläche wird eine massive Konkurrenz für die nahe gelegene Favoritenstraße mit ihrer ohnehin schwächelnden Geschäftsstruktur darstellen. Und schließlich bedeuten geplante 20.000 neue Arbeitsplätze und 13.000 zusätzliche Bewohner rund um den Bahnhof für das ohnehin bereits stark verkehrsbelastete Umfeld einen immensen Zuwachs an Autoverkehr.

Der grünen Wiener Planungs- und Verkehrsstadträtin sind die urbanistischen Defizite der bestehenden Planung für das Hauptbahnhofviertel ganz offensichtlich bewusst. Davon zeugt unter anderem ein kooperatives Expertenverfahren, welches das Rathaus jüngst zusammen mit den ÖBB initiierte, und das darauf abzielte, auf den noch nicht verkauften Baufeldern südöstlich des neuen Bahnhofs zu einem höherwertigen Städtebau zu kommen. Ob Wien tatsächlich eine Abkehr von der bisherigen Praxis der Bahnhofsentwicklung gelingt, wird sich aber vermutlich erst bei der diskutierten Neuüberbauung des Franz-Josefs-Bahnhofs erweisen können. Dort zeigt schon der Altbestand aus den 1970er-Jahren, wie wenig nachhaltig ein auf Flächenmaximierung basierender, großvolumiger und monofunktionaler Städtebau ist.

Der Autor Reinhard Seiß ist Raumplaner und Fachpublizist in Wien .

DIE FURCHE, 15. November 2012