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Eine Symbiose entwickelt sich zum Kampf #

Unberührte Landschaft und ein milliardenschweres Tunnelprojekt fungieren am Semmering als Gegenspieler in der modernen Zeit – eine Disharmonie zwischen Natur und Technik.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (28. Juli 2011)

Von

Clara Maier


Semmeringbahn
Romantik. Seit mehr als 150 Jahren tuckert die Semmeringbahn durch das Gebiet an der steirischniederösterreichischen Landesgrenze. Ein Tunnelprojekt will sie unter die Erde legen.
Foto: © Alliance for Nature

„Schau, da drüben, die hohen Felsen. Wunderschön ist es hier“, sagt eine herzliche Dame um die Sechzig und blickt mit einem wohltuenden Lächeln aus dem Fenster des Schnellzuges von Wien nach Graz, der Südbahnstrecke über den Semmering. Eine imposante Gebirgslandschaft, geprägt von tiefen Gräben, hohen Steilwänden und historischen Viadukten steigt vor ihr empor. „Aber bumpern tut’s auch ganz schön“, wirft ihr Gatte forsch ein. Wie der noch immer fl ott wirkende Mann im blaukarierten Hemd sehen auch eilig Reisende in der Idylle eher eine holprige, kurvenreiche Fahrt, vor allem im Abschnitt zwischen dem niederösterreichischen Gloggnitz und dem steirischen Mürzzuschlag. Eine Verbesserung soll jetzt ein Basistunnel schaffen, über den schon in den 1980er-Jahren debattiert wurde. Dieser könnte eine Verkürzung der Fahrzeit um etwa eine halbe Stunde und eine bequemere Fahrt ermöglichen. Um mit dem Projekt beginnen zu können, wartet die ÖBB nun auf einen positiven Umweltbescheid des Landes Niederösterreich, der im Herbst kommen soll. Fällt er positiv aus, könne man im Frühjahr 2012 mit dem 3,2 Milliarden Euro-Projekt beginnen und den Tunnel 2024 in Betrieb nehmen.

Ein harter Schlag für die Natur#

Als erste Eisenbahn weltweit erhielt die Ghega-Bahn, benannt nach dem Erbauer Carl Ritter von Ghega, mitsamt ihrer Umgebung vor dreizehn Jahren den Status einer UNESCO-Welterbestätte. Grund dafür waren die spektakuläre Gebirgslandschaft, die Qualität der Tunnel, Viadukte und anderen Bauten und die Pionierleistung im Eisenbahnbau. Heute zählt sie zu einer der neun österreichischen Welterbestätten und zu den weltweit drei geschützten Eisenbahnen. Dieser Status sei durch den Tunnelbau nicht bedroht, das sagte zumindest ÖBB-Projektleiter Gerhard Gobiet erst vor Kurzem bei einem Pressegespräch: „Die Bergstrecke wird aufgrund des Tunnels nicht stillgelegt. Wir brauchen sie mindestens einmal pro Woche, da einer der beiden Tunnelstollen zu dieser Zeit für Wartungsarbeiten gesperrt werden muss und die Züge auf die Bergstrecke ausweichen.“ Die Aufrechterhaltung eines permanenten Regelbetriebes sei jedoch von der politischen Bereitschaft der Länder Niederösterreich und Steiermark abhängig. Bleibt abzuwarten, ob die Politik nach Inbetriebnahme einer Hochleistungsbahn noch Interesse daran hat, das Unkraut auf den alten, brüchigen Gleisen der Ghega- Bahn jäten zu lassen.

Neben der Bahn selbst muss das umgebende Landschaftsgebiet durch das Tunnelprojekt maßgebliche Eingriffe hinnehmen. Es handelt sich bei dem Gebiet um ein äußerst komplexes Zusammenspiel diverser geologischer Bedingungen, wie es kaum anderswo vorherrscht. Der Landschaftsökologe Christian Schuhböck bemüht sich seit Jahren als Gründer und Geschäftsführer der „Alliance for Nature“ um den Semmering. Gegenüber der FURCHE erklärt er, warum durch den Tunnelbau die Landschaft in Gefahr ist: Vorherrschend sind in diesem Gebiet die Gesteinsarten Kalk und Dolomit. Da diese wasserdurchlässig sind, gräbt sich das Wasser trichterförmig in den Stein, formt Dolinen und sammelt sich darin. So entstehen im Inneren des Gesteins Quellen, die etwa zur Trinkwasserversorgung genutzt werden. Bei den vorgesehenen Arbeiten müsste man diese Wasseransammlungen anbohren und das Wasser würde verstärkt austreten, etwa 450 Liter pro Sekunde, also bis zu 38 Millionen Liter pro Tag. Das könne schlimmstenfalls zur Trockenlegung von bedeutsamen Feuchtgebieten in der Größe von bis zu 450 Quadratkilometer führen.

Bei einem zuvor geplanten Tunnelprojekt hatte man mit einer Wassermenge von 70 Liter pro Sekunde kalkuliert, das Projekt wurde vom Land Niederösterreich aus umwelttechnischen Gründen abgelehnt und gestoppt. Den für das aktuelle Projekt noch ausständigen Bescheid des Landes Niederösterreich gemäß des Naturschutzgesetzes sowie weitere teilzentrierte Genehmigungsverfahren, die etwa das Wasserrechtsgesetz und den Denkmalschutz betreffen, soll es im Herbst geben.

27,3 Kilometer langer Tunnel
Strecke. Ein 27,3 Kilometer langer Tunnel soll den niederösterreichischen Ort Gloggnitz mit dem steirischen Mürzzuschlag verbinden.
Foto: © BEV

Die Austrocknung von Feuchtgebieten ist eine prekäre Sache, die Veränderung der darin ansässigen Vegetation eine zweite. „Ganze Waldbestände und deren Zusammensetzung könnten sich durch einen Tunnelbau verändern,“ sagt Schuhböck. Die Artenvielfalt und die natürliche Mischung von Weich- und Harthölzern und auch Tierarten, wie etwa der bedrohte Apollofalter, sind gefährdet. Dieser könnte in der neuen Flora womöglich nicht überleben und würde aussterben.

Natur und Technik in einem Konflikt#

„Es ist eine Symbiose zwischen Technik und Natur“, so kommentiert eine Reiseführerin in dem kleinen Bahnhäuschen am Semmering eine Video-Vorführung über die Bahn. Auf der Leinwand erscheinen Bergarbeiter aus dem 19. Jahrhundert, die die härteste Arbeit leisteten, die ihnen ihr Körper erlauben mochte. Sie haben „im Schweiße ihres Angesichts Felsen gesprengt, Steinblöcke gewälzt oder Abgründe überbrückt“, wie es Ferdinand von Saar in seiner Novelle „Die Steinklopfer“ beschreibt. Als sie fertiggestellt wurde, wurde die Bahn hoch gefeiert Mittlerweile ist sie seit mehr als 150 Jahren in Betrieb, doch die Wertschätzung der damaligen Technik ist lang vorüber. Die mit Begeisterung gepredigte „Symbiose“ hat sich mittlerweile zu einem Kampf zwischen fortschrittlicher Technik und unberührter Natur entwickelt. Auf der einen Seite steht eine leistungsfähige Verkehrsachse, die Österreich durch die Anbindung an die Adria im Süden sowie an das Baltikum im Norden noch wirtschaftsfähiger und attraktiver machen soll. Auf der anderen Seite steht die Natur, die Eingriffe in Flora und Fauna und maßgebliche Einschränkungen in ihrer Vielfalt hinnehmen muss. Ein Konflikt, mit dem oft sehr einseitig umgegangen wird.

UNESCO-Welterbestatus ist bedroht#

Der Semmering ist ein geschütztes Naturgebiet, für dessen Erhaltung sich Österreich durch einen Vertrag mit der UNESCO verpflichtet hat. Schubhöcks Befürchtung, dass der Welterbestatus durch den Tunnelbau aberkannt werden könnte, wird von der UNESCO nur undeutlich kommentiert. Gabriele Eschig, Generalsekretärin der österreichischen UNESCO -Kommission, sagt zuerst, dass die Kommission die geplanten Veränderungen an der Semmeringbahn akzeptiere und die Weiterentwicklung eines Weltkulturerbes befürworte. Doch dass das internationale UNESCO-Komitee den Welterbestatus später tatsächlich nicht entziehen wird, schließt sie gegenüber der FURCHE dann doch nicht aus: „Eine Aberkennung des Status nach schweren Eingriffen in die Natur ist immer möglich.“

Ob es zu diesen schweren Eingriffen kommt, steht noch nicht fest. Schuhböck geht davon aus, dass dem Tunnelprojekt von Seiten des Landes Niederösterreich aufgrund der – im Vergleich zum Vorprojekt sechsfach höheren – Gesamtwasserausleitung keine Baugenehmigung erteilt wird. Für ihn zählt neben dem Erhalt der kulturell bedeutsamen Semmeringbahn vor allem der Schutz der einzigartigen Landschaft und ihrer Vielfalt in Flora und Fauna. „Zugunsten des gigantischen Semmering-Basistunnels wird seit Jahren ein harmonisches ‚Gesamtkunstwerk‘ schrittweise auf ein Minimum reduziert“, bringt er es auf den Punkt. Durch eine derartige Veränderung drohe dem Gebiet sehr wohl die Aberkennung des UNESCO -Welterbestatus. Zugleich verändere sich ein ökologisch beachtenswertes Gebiet.

Buch, Weltkulturerbe Semmeringbahn

Weltkulturerbe Semmeringbahn Von Christian Schuhböck Kral-Verlag 2010. 144 Seiten, geb., eur 14,90

DIE FURCHE, 28. Juli 2011