Markante Marke, marktgerecht#
Was wurde aus den Puch-Radeln?Von Martin Krusche
Wo sind die Zeiten, da eine Unternehmerpersönlichkeit mit dem eigenen Namen für ein bedeutendes Produkt stand? Die sind im Museum gestapelt; von wenigen Ausnahmen abgesehen. Wo uns nun die Werbung heute immer häufiger Gefühle andient, nicht Produkte…
Aber halt! Der 1914 verstorbene Fabrikant Johann Puch galt als Virtuose des Anpreisens seiner Ware. Vor hundert Jahren wurden natürlich auch schon eher Emotionen angesprochen als Fakten vorgetragen. Das wirkt bis in die Gegenwart. Das hat auch amtliche Konsequenzen.
Wenn Sie auf der Autobahn an Graz vorbeikommen, sehen Sie die markante Fabriksanlage des Magna-Konzerns, wo zum Beispiel nach Jahrzehnten immer noch der Puch G gebaut wird. Aber der Wegweiser über der Autobahn nennt nicht Magna, sondern das Puchwerk.
Altmeister Johann Puch begann einst, angekaufte Ware zusammenzubauen, Fahrräder zu assemblieren, ebenso mit gebrauchten Fahrrädern zu handeln. Später produzierte er die nötigen Teile eines Fahrrades weitgehend selbst. Das galt lange nach seinem Tod in gewissem Ausmaß auch für das Grazer Puchwerk.
Fast alle benötigten Teile wurden im eigenen Betrieb gefertigt. (Alte Puchianer erzählen, am lautesten, annähernd unerträglich, sei die Maschine zur Herstellung der Fahrradketten gewesen.)
Fahrzeuge entstehen heute in einem vielstimmigen Konzert von eigenen Leuten und Zulieferern, von Vermarktern und Marktschreiern. Schon früh haben Importeure und Händler mitbestimmt, was gebaut wird. Das prominenteste Beispiel ist sicher Mercedes-Benz.
Der Diplomat und Automobil-Enthusiast Emil Jellinek orderte bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft Automobile nach bestimmten Vorgaben. Sie erhielten schließlich den Vornamen einer seiner Töchter: Mercedes.
Als die Steyr-Daimler-Puch AG 1987 ihre Fahrradproduktion an den italienischen Konzern Piaggio verkaufte, sorgte das in der Steiermark für allerhand Unmut, auch für lautstarke Proteste. Noch heute werden diverse Verschwörungstheorien liebevoll gepflegt, warum es wohl so gekommen sein.
Da ist von Korruption, Verrat, Mißwirtschaft und politischer Tücke die Rede. Wer gerne hinterher schlau ist, wußte schließlich auch: „Das war kurz vor einem neuen Fahrradboom in Europa“. Man habe also ein tolles Geschäft vergeudet.
Der höchst triviale Grund für das Abwandern der Fahrradproduktion in andere Hände war freilich banal. Eine zu große Halde in der Waffenproduktion und ein mißlungener Panzer-Deal, da das neutrale Österreich keine Waffen an kriegführende Länder liefern darf, versenkten den gerade schwächelnden Zweirad-Sektor. Es fehlten dem Konzern die Mittel aus der Waffenproduktion, um eine Umsatzflaute bei den Zweirädern abzufangen.
In solchen Fälle geschieht schon eine Ewigkeit und drei Tage das Naheligende. Es wird zerstückelt. Bereiche, die zu hohe Kosten aufhäufen, werden abgestoßen. Das war nach Ersten Weltkrieg nicht anders. Der legendäre Spekulant Camillo Castiglioni (1879-1957) hat mit solchen Geschäften ein sagenhaftes Vermögen gemacht. Er wollte damals auch den Grazer Standort liquidieren, um Kosten zu senken.
Castiglioni hatte den Ingenieur Giovanni Marcellino zum Liquidator bestimmt, doch der riet seinem Boss überraschend, den Grazer Standort für die Zweiradproduktion zu erhalten. Marcellino führte dort den Doppelkolben-Zweitakter ein, der zu einer Erfolgsgeschichte wurde. Graz behielt noch auf Jahrzehnte sein Puchwerk.
Sie sehen, große Konzerne ändern stets ihre Zusammensetzung. Das kann man heute auch am Nachfolger der historischen Steyr-Daimler-Puch AG, an Magna Steyr, ablesen. Salopp formuliert: Das ist seit hundert Jahren ganz normal. Werden also heute noch Puch-Fahrräder gebaut?
Es gibt im Fachhandel seit kurzer Zeit wieder Puch-Fahrräder. Das heißt, es gibt Fahrräder, welche das Puch-Logo tragen. Natürlich können sie nicht mit jenen Rädern verglichen werden, die Altmeister Puch gebaut hat. Die waren teure Wertgegenstände, aufwendig und gediegen in Material wie Verarbeitung. Solche Räder bekommt man heute in kleinen Schmieden zum angemessenen Preis.
Die neuen Puch-Räder sind für ein Massenpublikum gefertigt, in einem überschaubaren Preis-Segment aufgestellt. Sie können überdies nicht mit den einstigen Grazer Produkten verglichen werden, die bis Mitte der 1980er gebaut wurden. Piaggio hat die Markenrechte 1997 an eine holländische Company (Cycleurope) verkauft. Von dort beschaffte sich die Firma Faber, ein Wiener Importeur, die Rechte, Fahrräder unter der Marke Puch auf den Markt zu bringen.
Nun hat dieser Name Puch nie an Glanz verloren; auch in den vielen Jahren preiswerter italienischer Massenprodukte Popularität bewahrt. Faber nutzt dieses Image. Die meisten Fahrrad-Komponenten kommen heute aus Asien, zusammengebaut wird vom Konzernriesen Cycleurope, die fertigen Produkte könnten auch eine beliebige andere Marke aufgedrückt bekommen.
Warum sind das also Puch-Räder?
Weil Massenfertigung eben nicht erst jetzt auf solche Art realisiert wird und weil das „Rebadging“, also das Umkupfern eines bestimmten Produktes, indem man es mit einem anderen Logo versieht, in der Fahrzeugbranche ganz normale Praxis ist. Ein Beispiel zur Erinnerung. Im Amerika der Nachkriegszeit trugen Puch-Produkte kein Puch-Logo, sondern wurden vom Kaufhausriesen Sears unter der Marke Allstate vertrieben.
Produkt, Marke und Markenimage sind verschiedene Kategorien. Es gilt als Faustregel, daß die Wiederbelebung einer einstmals renommierten Marke wesentlich billiger kommt, als die Einführung und das Etablieren einer neuen Marke. Faber handelt also mehrfach konsequent, wenn er Fahrräder in Österreich als Puch-Räder anbietet.
Die haben, das sei wiederholt, weder mit den Grazer Nachkriegsprodukten, noch mit den „Maschinen“ von Altmeister Puch etwas zu tun. Sie müssen sich auch daran nicht messen lassen, weil es eine andere Zeit ist, in der Fahrradproduktion und Wirtschaft völlig anders funktionieren.
Davon bleiben die kleinen Produzenten hochkarätiger Fahrräder ausgenommen, mit ihren kostbaren Fahrzeugen, die man speziell schätzen und entsprechend teurer bezahlen muß. Es gibt freilich auch andere Entwicklungen, deren Verbindung zu einer industriellen Vergangenheit nicht bloß Imagegründe haben.
Die Wiener Lohner-Werke entfalteten eine glanzvolle Geschichte, welche in den Anfängen des 19. Jahrhunderts verankert ist.
In den 1950er Jahren kamen zu dieser Geschichte einige Kapitel mit markanten österreichischen Motorrollern und Mopeds, worunter die Lohner Sissy gewiß das bekannteste Modell ist. 1970 übernahm die kanadische Firma Bombardier den ganzen Laden, die Marke verschwand aus Österreich.
Am 4.4.2013 berichteten die Salzburger nachrichten: „43 Jahre nach dem Verkauf der Wiener Lohnerwerke an den kanadischen Konzern Bombardier will nun Nachfahre Andreas Lohner mit einem neuen Elektroroller wieder an die glorreiche Firmengeschichte anschließen.“ (Quelle)
Diese Fahrzeuge haben natürlich auch nichts mehr mit den einstigen Lohner Mopeds gemeinsam, doch die Story des neuen Betriebes ist ganz anderer Art als die von Faber.
Am 26.11.2013 gab Lohner in der Presse ein anregendes Interview, in dem übrigens auch der hier schon erwähnte Camillo Castiglioni zur Sprache kam. Lohner: „Ein Kernsatz meines Vaters war: Eine langfristige Rendite von zwei bis vier Prozent ist eine anständige Rendite. Es kann zwar Glücksphasen geben, in denen du bei 20 Prozent liegst. Aber wenn es dafür keinen plausiblen Grund gibt, ist irgendetwas an dem Geschäft faul.“ (Quelle)
An einer Stelle heißt es in diesem Interview: „Ich habe im Jahr 2008 die Marke Lohner zurückbekommen, und damit hatte ich fünf Jahre Zeit, um irgendetwas damit zu machen.“ Johann Puch hatte keine Nachkommen, die sich auf ihn beziehen könnten. Die Welt hat sich geändert, Industrie und Wirtschaft wandeln sich gerade erneut. Die Frage „Werden heute noch Puch-Fahrräder gebaut?“ muß also mit Ja beantwortet werden, doch es nützt, wenn einem die Geschichte dazu nicht ganz unklar ist.